Neue Proletarier

Trend-Denker Slavoj Žižek erklärt den Linken wieder einmal, wo der Hammer hängt
Ausgabe 50/2014

Die Aufgabe ist heute, die Grenzen des Möglichen und Unmöglichen neu zu bestimmen und präzise zu formulieren“, sagt Slavoj Žižek in seinem neuesten Buch Fordern wir das Unmögliche. In Zeiten der von vielen Linken hingebungsvoll beschworenen kapitalistischen Systemkrise stehen die Aktien von einen wie Žižek gut. So gut, dass sich auf Youtube die Parodie eines slowenischen Komikers auf den herrschafts- und ideologiekritischen Philosophen zum Renner entwickelt hat. Allerdings war der eben ins Rentenalter gekommene slowenische Starphilosoph, der zwischen London und Buenos Aires pendelt, schon vor Beginn der Krise bekannt. Für einen hegelianischen Marxisten, der gerne auch sagt, dass es darum ginge, endlich den Schritt hin zum leninistisch organisierten Antikapitalismus zu vollziehen, ist das schon eine Menge.

Bücher schreibt Slavoj Žižek am Fließband. Demnächst erscheint auf Deutsch sein 1.000-seitiges Mammutwerk über Hegel, bei S. Fischer erklärt er die für Marxisten so wichtige philosophische Kategorie des „Ereignisses“, zum Weihnachtsgeschäft bringt Suhrkamp Žižek-Witze auf den Markt und der Hamburger Laika-Verlag veröffentlichte nun also Fordern wir das Unmögliche, ein Interviewband.

Die 34 kurzen Texte bieten einen guten Einstieg in das Denken Žižeks, und sie sind wie immer auch ein Schlagabtausch mit der Gegenwart. Der „Borat der Philosophie“ arbeitet sich gern an Nachrichten-Headlines ab, auch wenn die Früchte dann mit übersetzungsbedingter Verzögerung in unserem Buchhandel landen.

Keine Angst mehr

Diesmal geht es um den Arabischen Frühling, die aktuellen wirtschaftlichen Krisen und inwieweit die Marx’sche Theorie darauf eine Antwort hat, aber auch um die Frage, ob sich der Kapitalismus überhaupt noch demokratische Rechte erlauben kann und – last but not least – welche Bedeutung die Politisierung in den Slums von Rio de Janeiro bis Lagos hat. Dabei verdeutlicht er noch einmal die historische Zäsur, in der wir uns einige Jahre nach den weltweiten Aufständen befinden. „Ich versuche also das Konzept des Proletariats neu zu definieren als ‚jene, die Teil einer Situation sind, ohne einen spezifischen Platz in ihr zu haben‘ (…) Wir müssen nur hinschauen, um die unterschiedlichen proletarischen Positionen zu erkennen.“

Gerne schwadroniert Žižek über die ideologischen Rahmenbedingungen des Kapitalismus, wobei er das Raster immer mithilfe von Filmen und psychoanalytischen Exkursen erklärt. In Fordern wir das Unmögliche blitzt ab und an aber auch die Frage nach dem revolutionären Subjekt auf, was sonst nicht unbedingt sein Hauptthema ist. Neben den Slumbewohnern, die laut Žižek wie die Proletarier – nach Marx – doppelt frei sind (frei von sozialen und ökonomischen Bedingungen im gewaltsam zusammengeworfenen Kollektiv des Slums und jenseits staatlicher Ordnung), bilden die Illegalen und Flüchtlinge die neue Klasse der Ausgeschlossenen. Auf sie trifft zu, was der Philosoph Giorgio Agamben als „Homo sacer“ bezeichnet; der Mensch, auf seine nackte Existenz reduziert.

Durch die Krise sind wir laut Žižek aber alle davon bedroht, zum Homo sacer zu werden. „Um zu vermeiden, tatsächlich einer zu werden, müssen wir Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Ich denke, das ist eine weitere proletarische Position unserer Zeit.“ Žižek geht es natürlich auch darum, für die, wie er es nennt, „proletarischen Positionen“ zu sensibilisieren. Wie aber die herrschaftskritischen Maßnahmen gegen die drohende Unterdrückung konkret aussehen sollen, bleibt er schuldig – obwohl er immerhin klarmacht, dass politische Betätigung vor allem auch etwas mit Machbarkeit zu tun hat. „Daher glaube ich, dass, wer eine Revolution will, Teil von Recht und Ordnung sein sollte. Es ist nicht ehrenrührig, wenn Menschen eine grundlegende Sicherheit wollen.“

Žižek befürwortet eine „boykottartige Gewalt“. Keine Angst vor der Obrigkeit zu haben, sie schlicht zu ignorieren: Das ist, was ihm vorschwebt. Dieser Ansatz eines zivilen Ungehorsams, der in der hiesigen außerparlamentarischen Linken so en vogue ist, kontrastiert wiederum mit Žižeks immer wiederkehrenden Verweis auf die „verslumten Peripherien in der dritten Welt (als) entscheidender geopolitischer Raum“, wobei er sich sogar positiv auf die maoistischen Guerillas in Indien bezieht. Insofern fordert Slavoj Žižek zwar ganz zu Recht das Unmögliche. Um die präzise Bestimmung und Formulierung dessen, was möglich oder unmöglich ist, bemüht er sich zwar, aber auf den Punkt kommt er nicht ganz.

Fordern wir das Unmögliche Slavoj Žižek Laika 2014, 144 S., 21 €

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