Vor Rassisten haben die meisten Menschen aus guten Gründen Angst. Wer den Mut hat, kann sich über Rassisten aber auch einfach lustig machen, so wie der im südlichen US-Bundesstaat Georgia geborene und heute in Los Angeles lebende schwarze Schriftsteller Percival Everett. Gemessen an dem ernsten, brisanten Thema, ist sein Roman Die Bäume fast schon gnadenlos komisch. 2022 war er damit für den renommierten Booker-Preis nominiert.
Seit 40 Jahren schon veröffentlicht der heute 66-jährige Everett Romane, die sich mit der afroamerikanischen Geschichte und Gegenwart beschäftigen. Die Bäume handelt von der entsetzlichen Tradition der Lynchjustiz. Als es 2021 im englischen Original erschien, fiel es in den USA mitten hinein in eine politische Debatte. Im März 2022 präsentierten Joe Biden und Kamala Harris ihr Anti-Lynchgesetz, um das mehr als einhundert Jahre im amerikanischen Parlament gestritten worden war. Lynchen wurde im Zuge einer strengen Bundesgesetzgebung für gewalttätige Hassverbrechen als eigenständiger Straftatbestand definiert. Der „Emmett Till Antilynching Act“ ist nach dem 14-jährigen Jungen benannt, der 1955 von weißen Rassisten in Mississippi entführt, gefoltert und ermordet wurde. Die Mörder wurden freigesprochen. Dieses für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA einschneidende Ereignis kam fiktionalisiert gerade erst Ende Januar mit dem Titel Till in die Kinos und bildet auch den Hintergrund für Everetts Roman.
In einem kleinen Kaff namens Money im Bundesstaat Mississippi, in dem Emmet Till umgebracht wurde, geschehen eine Reihe äußerst blutiger Morde, denen unter anderem die Nachkommen der Mörder von Emmet Till zum Opfer fallen. Aber auch andere weiße Männer, allesamt bekannte Rassisten und zum Teil Klan-Mitglieder, kommen ums Leben. Sie werden genauso ermordet aufgefunden wie 63 Jahre zuvor der junge Emmet Till, mit eingeschlagenem Schädel und Stacheldraht um den Hals. Neben den Leichen liegt jedes Mal der Leichnam eines toten schwarzen Mannes.
Auf den Fall werden Ed Morgan und Jim Davis, zwei schwarze Beamte der Staatspolizei von Mississippi, und die schwarze FBI-Agentin Herberta Hind angesetzt. Die ermitteln in dem 100-Seelen-Kaff. Der ortsansässige Sherriff ist ebenso wie seine Deputys ein bornierter Redneck, der kaum den Mund aufmachen kann, ohne einen rassistischen Spruch abzulassen. Das Gleiche gilt für fast alle Bewohner der kleinen Gemeinde. Ed, Jim und Herberta finden aber bald eine Verbündete in Gertrude, die im kleinen Diner mit dem Namen „Dinah“ jobbt, das so heißt, weil die bildungsferne Redneck-Gründerin des Lokals das Wort nicht richtig schreiben konnte.
Erinnert an Tarantino
Die Rednecks, die in diesem Ort leben, sind allesamt Volltrottel, bekennende Trump-Anhänger und werden in dem Roman hingebungsvoll als Idioten inszeniert. Stolz erzählen sie beim Bier in der Kneipe, dass sie bei einer Trump-Kundgebung waren und anwesenden Journalisten, „Fake-News-Leute“, wie sie sie nennen, Angst eingejagt haben. Für die drei schwarzen Ermittler, die sich fortwährend rassistische Beleidigungen anhören müssen, ist das eigentlich schwieriges Gelände. Doch die drei lassen einfach alles an sich abprallen.
Plötzlich gibt es jedoch immer mehr solcher Fälle, bei denen tote Rassisten neben den Leichen schwarzer Männer liegen. Die Spur führt zu einer Firma in Chicago, die Leichen präpariert und an wissenschaftliche Einrichtungen verkauft. Inszeniert jemand einen Rachefeldzug gegen weiße Rassisten? Gleichzeitig entdecken Ed und Jim bei einer 105-jährigen schwarzen Frau namens Mama Z ein gigantisches Archiv von Lynchmorden aus der Gegend, das sie im Lauf der Jahrzehnte angelegt hat, seit ihr Vater 1913 von weißen Rassisten ermordet wurde. Die schwarzen Ermittler arbeiten sich immer weiter in die Geschichte des Ortes vor, während gleichzeitig der Ku-Klux-Klan anfängt, brennende Kreuze aufzustellen, was dem Trio jedoch nur ein müdes Lächeln abringt. Denn die Kreuze, die die Dorftölpel anzünden, sehen eher aus wie brennende Müllhaufen.
Die Anzahl der Morde nimmt immer mehr zu und das nicht nur in Mississippi, sondern bald in den ganzen USA. Angeblich, so wird behauptet, strömten Gruppen schwarzer, aber auch asiatischer Männer durch die Städte, die „Steht auf!“ skandieren und Jagd machten auf weiße Rassisten. Nun bekommen es die Weißen plötzlich mit der Angst zu tun.
Aus dem anfänglichen Kriminalroman wird plötzlich ein Fantasy-Thriller. Die Bäume ist ein rasant erzählter, dialogreicher Roman, der mit seinem Humor ebenso an Spike Lees Film BlacKkKlansman (2018) erinnert wie an Quentin Tarantinos Slapstick-Rachedramen Inglourious Basterds (2009) und Django Unchained (2012). Percival Everett gelingt der Spagat, diesen eigenwilligen Genre-Mix nicht in eine platte Story abgleiten zu lassen. Ganz am Ende erlebt diese Geschichte eine verblüffende und sehr stimmige Auflösung, die zwar jenseits einer realistischen Krimilogik liegt oder gar der Wirklichkeit, aber den Kampf gegen Lynchjustiz und für Gerechtigkeit in eine faszinierende literarische Allegorie packt.
Dabei erlebte der Roman, der nach Verlegerangaben vom Autor kurz vor dem Mord an George Floyd fertiggestellt wurde, eine brisante aktuelle Entsprechung mit dem in den USA 2020 entstandenen Protestgeschehen. „Wir befinden uns in einem Krieg. Er dauert schon vierhundert Jahre, und jetzt schlagen wir zurück“, erklärt eine kämpferische schwarze Protagonistin in dem Roman. Die Bäume ist aber vor allem auch ein Buch gegen Donald Trump und die in weiten Teilen seiner Anhängerschaft vorherrschende Weltsicht. Nun, da Trump sich wieder für eine Präsidentschaftskandidatur warmläuft, ist Percival Everetts Roman auch 2023 brandaktuell.
Die Bäume Percival Everett Nikolaus Stingl (Übers.), Hanser 2023, 368 S., 26 €
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