Rücksicht auf wen?

Streit Die Alten ruinieren das Klima, die Schüler tragen weiter Maske? Es ist höchste Zeit für eine neue Generationendebatte
Ausgabe 34/2021

Lange habe ich verärgert weggehört, wenn von politischen „Generationenkonflikten“ die Rede war. Vermutlich geht es nicht wenigen so. Und der Verdacht, es handle sich dabei vor allem um eine Chiffre, die neoliberale Agenden durchzusetzen hilft, indem sie diese entpolitisiert, ist ja auch nicht abwegig. Man denke an die Rente: Wer es als gegeben setzt, dass die Gewinne aus der wachsenden Arbeitsproduktivität weit überwiegend vom Kapital vereinnahmt werden, dass Niedriglöhne die Einzahlungen schmälern, während gut verdienende Verbeamtete anderweitig versorgt werden, kann die Misere nur als „Kampf der Generationen“ verstehen, in dem immer weniger Junge unter der Finanzierung immer mehr Älterer stöhnen. Oder man denke an die „schwarze Null“: Wer will schon „auf Kosten der Kinder Schulden machen“? Da ist ja auch viel mehr Talkshow-Pfeffer drin als in diesen öden gesellschaftlichen Verteilungsfragen.

Neue Besen! Neue Skills!

Dass diese konformistische Form des Generationenkonflikt-Denkens so verbreitet ist, liegt – wie so oft – auch an popkulturellen Referenzen. Die sprichwörtlichen McKinsey-Berater kamen stets herüber wie Michael J. Fox, der in 1980er-Filmen à la Das Geheimnis meines Erfolges immer wieder den jungen, smarten, anpassungsfähigen und konkurrenzkampforientierten Angestellten eines neuen Typs zum Mitfiebern gab, zu dessen Gunsten man schon seit den Frühverrentungswellen der 1970er gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte aufs Altenteil geschoben hatte. Neue Besen kehren gut! Wir brauchen jetzt ganz neue Skills! Weg mit den altväterlichen, verkrusteten Strukturen!

Wer dem nicht misstraute, war schlicht naiv. Nun aber stellt nicht nur das Bundesverfassungsgericht in seinem Klima-Urteil, sondern auch die Covidpandemie die Generationenfrage in einer neuen Dringlichkeit, die gerade von progressiver Seite nicht ignoriert werden kann. Dabei gehören Klimakrise und Pandemie zusammen, begann diese doch – wahrscheinlich – in einer Zoonose, in einem Auf-die-Pelle-Rücken zwischen Mensch und Tier, das mit dem Raubbau am Planeten zu tun hat.

Das Schweigen über den gesellschaftlichen Ursprung des Virus korrespondiert nun mit der Selbstverständlichkeit, mit der man die Kinder die Covid-Zeche bezahlen lässt. Paternalistische Wohlfühl-Beileidsbekundungen gehen dem Politpersonal zwar leicht über die Lippen. Aber ist die Schule erst mal dicht, dann bleibt sie es auch für lange Zeit. Während in Betrieben alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, einen Arbeitsalltag ohne achtstündiges Maskentragen zu organisieren, springen die fortwährend bewegungsaktiven Kinder von früh bis spät mit Mund-Nasen-Schutz herum – immer wieder mit dem freundlich-bestimmten Hinweis, dass ältere Menschen geschützt werden müssten.

Dass die Bedürfnisse und Rechte von Kindern, die ganz zum Schluss geimpft werden und für die die Pandemie noch lange dauern wird, so schwer anzusprechen sind, liegt auch an ihrer mangelnden Medialisierbarkeit. Wie skandalisiere ich ausgebliebene Zukunft? Leicht lassen sich ökonomische, soziale und kulturelle Verwerfungen der Pandemie sichtbar machen, indem man etwa eine insolvente Gastwirtin interviewt, die ihr Herzblut und ihre Altersvorsorge in einen vergeblichen Rettungsversuch gesteckt hat – und deren Lokal nicht nur Essen bot, sondern vielleicht sozialer Anlaufpunkt des ganzen Viertels war. Den Jugendlichen aus einfachen Verhältnissen aber, der vielleicht Systementwickler oder Sachbearbeiter hätte werden können, wenn er jetzt nicht aus der Beschulung gerutscht wäre und der nun stattdessen Pakete ausfahren wird, den kann man nicht interviewen. Stattdessen in Beiträgen herumspekulierende Psychologinnen oder Soziologen bieten nicht die im Medienbetrieb geforderte „Authentizität“.

Die Zukunft ist nicht heute

Wieso soll meine siebenjährige Tochter, die sich regelmäßig gut gelaunt mit der Routine einer medizinischen Fachkraft selbst testet, aber das Maskentragen abgrundtief hasst, weiterhin all diese Rücksichtnahmen umsetzen? Für eine ältere Generation, die selbstzufrieden und fortwährend Fleisch isst, in den Urlaub fliegt, Auto fährt, die CDU wählt und in einem Eigenheim lebt, bei dessen Bau vielleicht eine gefährliche Flurversiegelung exekutiert werden musste – während aufgrund „leerer Kassen“ die Infrastruktur verfällt?

Das ist der Einstieg in eine ganz andere Generationendebatte als die altvertraute über die Rente. Der Unterschied ist der, dass die Neoliberalen eigentlich die Gegenwart meinen, wenn sie von den „künftigen Generationen“ reden: Jetzt die Steuern senken, jetzt das Arbeitsprodukt nach oben verschieben. Eine echte Generationendebatte bezöge sich hingegen auf die Zukunft. Eine ihrer Prämissen wäre der Abschied von der Kurzfristigkeit, die im höchstens bis morgen denkenden Shareholder-Kapitalismus die irrationale Maxime ist. In einer so geführten Generationendebatte sind die Karten ganz neu gemischt. Wir sollten rasch mit ihr beginnen.

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