Nachdem Mitte Dezember in Neu Delhi eine junge Frau von sechs Männern mehrfach vergewaltigt und mit einer Eisenstange traktiert worden war, kam es in ganz Indien zu heftigen Protesten. Mehr als 140 Personen wurden verletzt, ein Journalist und ein Polizist bei den Ausschreitungen getötet. Die Wut der Protestierenden richtet sich auch gegen die Staatsmacht. Den Behörden wird vorgeworfen, auf die zahlreichen Vergewaltigungen nicht angemessen zu reagieren.
Behördenwillkür, die eine Strafverfolgung von Vergewaltigern unmöglich macht, ist in Indien ein Dauerthema. Das zeigt auch das Buch Phoolan Devi – Die Rebellin, das mit zwei begleitenden DVDs im Laika-Verlag erschienen ist. Darin wird die Geschichte der „Bandit Queen“ erzählt, die neben ihren Raubzügen auch Racheakte an Vergewaltigern verübte und in den frühen achtziger Jahren in Indien zur Ikone der wehrhaften Frau stilisiert wurde.
Phoolan Devi wird 1963 als Tochter eines Bauern und Mitglied einer niederen Kaste im Bundesstaat Uttar Pradesh geboren. Sie gilt schon im Kindesalter als widerständig. Devi legt sich mit dem Dorfvorsteher an, dessen Sohn sie sexuell belästigt, und mit der Verwandtschaft, die gegen ihren Vater einen Erbstreit um Land gewinnt. Um das Mädchen loszuwerden, wird eine Ehe arrangiert, die Elfjährige wird mit einem 20 Jahre älteren Mann verheiratet. Obwohl solche Eheschließungen seit Mitte der fünfziger Jahre in Indien verboten sind, finden sie in ländlichen Regionen auch heute noch statt. Devi wird von ihrem Mann missbraucht, läuft davon, in der Folgezeit wird sie mehrfach vergewaltigt, einmal sogar vor den Augen ihrer Eltern. In einem kommunalen Schiedsverfahren wird sie bezichtigt, Männer verführt zu haben. Als einige Zeit danach Banditen das Dorf überfallen, wird sie entführt. Anfangs noch Gefangene, wird sie zur Lebensgefährtin des Anführers, bis sie schließlich selbst eine Bande befehligt.
Bis 1983, als sich Phoolan Devi den Behörden stellt, verübt sie zahlreiche Überfälle, über sechzig Morde lasten ihr die Behörden an. Mit Megaphon und Karabiner bewaffnet dringt die junge Frau mit ihrer ausschließlich aus Männern bestehenden Bande in Dörfer ein und pinselt auf die Türen der Häuser „Phoolan Devi, Königin der Banditen“. Ihrem früheren Ehemann bricht sie nach eigener Aussage bei einem Überfall Hände und Füße. Dann setzt sie ihn auf einen Esel und treibt ihn durch das Dorf – als Zeichen gegen derartige Ehen, wie sie sagt.
Sozialrebellin à la Hobsbawm
Die Beute der Raubzüge wird für gewöhnlich dreigeteilt: an die eigene Bande, an Arme aus den unteren Kasten und den Brahmanen vor Ort, der den Tempel der Rachegöttin Durga betreut. Als deren Inkarnation lässt sich Phoolan Devi von der Landbevölkerung feiern, aber auch als „Blumengöttin“, wie die Übersetzung ihres Hindi-Namens lautet, und sogar als „Unverwundbare“. Ende der siebziger Jahre organisieren sich Landbesitzer und entführen Devi. Zwei Wochen wird sie in dem Ort Behmai festgehalten und unzählige Male von ihren Peinigern vergewaltigt. Später kehrt sie zurück und tötet 22 Landbesitzer aus einer höheren Kaste. Das Massaker wird über die Region hinaus bekannt. Als Folge steht Devi ganz oben auf den Fahndungslisten der Behörden.
Phoolan Devi ist keine Revolutionärin, vielmehr verkörpert sie den klassischen Typus des Sozialrebellen. Sie versucht durch illegale Aktionen aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit heraus einen Ausgleich zu schaffen und achtet bei ihrem Kampf auf den sozialen Status potentieller Opfer. Dies ist auch die Definition von Eric Hobsbawm, der sich bereits in den sechziger Jahren mit dem Thema Sozialbanditen beschäftigte. Auf diesen sozialgeschichtlichen Aspekt geht der einleitende Essay des Laika-Bandes ein. Im Chambal-Tal, wo Devis Bande operiert, genießen Räuber bei der armen Landbevölkerung Heldenstatus. Bei Devi kommt die Rache an den Tätern einer strukturell verankerten Gewalt gegen Frauen im patriarchalischen ländlichen Indien hinzu.
Nach dem Massaker von Behmai werden 5.000 Soldaten in Marsch gesetzt, tausende Banditen im ganzen Bundesstaat werden verhaftet, viele getötet, die Regierung setzt ein Kopfgeld auf Devi aus. Schließlich ergibt sie sich in einer öffentlichen Zeremonie, der mehr als 10.000 ihrer Anhänger beiwohnen. Ihre Waffen legt sie vor einem Bild Ghandis und der Göttin Durga nieder. Phoolan Devi wird elf Jahre ohne Prozess inhaftiert. Die Behörden haben Angst vor einer öffentlichen Verhandlung, bei der Devi ihre Willkür anprangern könnte. 1993 wird sie vom zuständigen Ministerpräsidenten begnadigt, der sie vor seinen Wahlkampf-Karren spannt. Devi geht in die Politik, ab 1996 sitzt sie für die Sozialistische Partei im Nationalparlament. 2001 wird sie auf dem Weg ins Parlament mit drei Kopfschüssen auf offener Straße hingerichtet, angeblich von Angehörigen der von ihr ermordeten Vergewaltiger aus Behmai. Es kommt im ganzen Land zu Ausschreitungen. Die Behörden stellen die Ermittlungen gegen die Mörder bald ergebnislos ein.
Stoff für einen Blockbuster
Diese außergewöhnliche Geschichte wurde in Indien auch von der Kulturindustrie verarbeitet. Es erscheinen Bücher, Devis Taten werden in Liedern besungen, 1993 wird ein Kinofilm gedreht. Darin wird sie zur attraktiven Räuberbraut mit Sexappeal verklärt – ein perfider Mythos, den das vielfache Vergewaltigungsopfer 1983 bei seiner Festnahme selbst zerstört, als die von der Hetzjagd gezeichnete junge Frau derb fluchend Reporter in die Flucht schlägt.
Während der Dreharbeiten zu jenem Kinofilm sind Mirjam Quinte und Pepe Danquart nach Indien gefahren und haben eine Dokumentation über Devi gedreht, die dem Laika-Band beiliegt. Sie haben unter anderem Devins Mutter interviewt und die Dreharbeiten des Kinofilms begleitet, der mit der damals noch inhaftierten Devi nicht abgesprochen war. Später klagt sie erfolgreich gegen Vergewaltigungsszenen in dem Blockbuster, die schließlich entfernt werden. Für die Politikerin Devi sind die zentralen Themen Überwindung des Kastenwesens und Bildungspolitik für Frauen. Deren Rechte haben für sie vor allem mit aktiver Handlungsmacht zu tun, dementsprechend forderte sie öffentlich wiederholt: „Schlägt euch ein Mann, dann schlagt zurück, schlagt ihn zweimal!“
Phoolan Devi – Die Rebellin Bibliothek des Widerstands, Band 13 Laika-Verlag, 176 S., 2 DVDs, 24,90 € Florian Schmid ist freier Literaturkritiker
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