Vor drei Jahren machte der 1977 in Lima geborene und in Kalifornien lebende Daniel Alarcón mit seinem Debütroman Lost City Radio Furore. In Deutschland wurde ihm für die komplex komponierte Parabel über Gewalt, Bürgerkrieg und Diktatur in Lateinamerika der Literaturpreis des „Haus der Kulturen der Welt“ verliehen. Mit dem Band Stadt der Clowns kommen nun etwas ältere Erzählungen neu in deutscher Übersetzung heraus.
Stadt der Clowns vereinigt neun Erzählungen, die in Peru und mehrheitlich in Lima angesiedelt sind. Meist sind die Akteure Migranten, die aus der Provinz in die Großstadt gekommen sind. Sie sind entwurzelt, leben prekär und befinden sich nicht selten am Rand der Legalität, was mit Armut, in einigen Fällen auch mit staatlicher Repression zu tun hat. Immer wieder versuchen Alarcóns Figuren, sich aus der Unterschicht herauszukämpfen – mit mehr oder weniger großem Erfolg. Egal, ob es um einen Guerillero geht, dessen Leben von der Schulzeit über das Studium bis zur Flucht in den Urwald geschildert wird, oder um die Geschichte eines jungen Mannes, der sich in Lima ein neues Leben aufbaut, bis ihn die Vergangenheit seines Dorfes einholt – Daniel Alarcón versteht es auf geniale Weise, mit verschiedenen Erzählsträngen ganze Biografien en miniature zu entwerfen.
Dabei klingt seine Prosa ebenso pointiert wie lyrisch, eine Mischung, die selten so gut funktioniert wie hier. Es ist kein Wort zu viel oder zu wenig. Vor allem das Gefühl der Verlorenheit in einer fremden Stadt weiß er literarisch abzubilden.
Clowns als Allegorie des urbanen Menschen
„Wir waren Geister in der Menge, drei weitere angestellte Bürger der großen Stadt, wach und lebendig.“ So schildert Alarcón die Titel gebenden Clowns des Erzählbandes, über die ein Journalist eine Reportage schreibt und denen er sich als Clown verkleidet anschließt, während sie bettelnd und Kunststücke vorführend durch Lima ziehen. Dabei werden die Clowns zur Allegorie des entfremdeten Großstadtbewohners, der verkleidet und maskiert, scheinbar hilflos und stets prekarisiert um sein Auskommen kämpfen muss, indem er absurde Dinge vollführt. Während er im Clownskostüm für die Reportage recherchiert, erinnert sich der Ich-Erzähler an seine eigene Kindheit. Damals half er seinem Vater bei Renovierungen in den Häusern reicher Leute, in die sie hinterher einbrachen – unter anderem in das Haus eines Mitschülers, der ihn in der Schule wegen seiner ärmlichen Herkunft und dem schlecht beleumdeten Viertel, in dem er aufwuchs, verspottete.
Spiel mit den Identitäten
Sich zu verstellen, andere Identitäten anzunehmen und mit bisherigen Gewohnheiten zu brechen, um zu betrügen oder um einfach zu überleben, zieht sich als Motiv wie ein roter Faden durch diese Geschichten. So geht es in Alarcóns Erzählungen auch immer wieder um Grenzen, die gezogen oder überwunden werden, die unsichtbar bleiben oder sichtbar gemacht werden. Dabei spielen soziale Ausgrenzung und die Überwindung schichtspezifischer Barrieren ebenso eine Rolle wie die Migration vom Land in die Stadt und die damit verbundenen Hoffnungen, Sehnsüchte und Rückschläge.
In einer Erzählung geht es um eine Liebesbeziehung, die über die Jahre hinweg immer wieder von beiden Partnern infrage gestellt wird und die ganze Zeit kurz vor dem Ende steht. Die Frau will schließlich allein in die USA ziehen. Der peruanische Alltag wird dabei von einem mythisch verklärten „Nueva Jersey“ überschattet. Das geografische Jenseits wird dabei zur Allegorie auf die romantische Liebe, die immer in Reichweite ist, aber ebenso wenig real und verbindlich wird wie der stets erhoffte Umzug in die Staaten.
Eine neue Generation von Autoren
Daniel Alarcón ist in Lima geboren und kam als Dreijähriger in die USA, wo er auch heute noch wohnt. Mit Mitte zwanzig lebte er für einige Zeit in Peru. Die dortigen Eindrücke und seine Erfahrungen als Migrant verarbeitet er in seiner auf Englisch verfassten Prosa. Damit ist er nicht der einzige „Hispanic“, der in den USA mit der Aufarbeitung einer migrantischen Identität literarisch als englischsprachiger Schriftsteller mit spanischer Muttersprache erfolgreich ist. Junot Díaz erhielt für seinen grandiosen Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao 2008 sogar den Pulitzerpreis. Dabei fällt auf, dass beide Autoren eine sehr sozialkritische und politische Literatur produzieren. Gleichzeitig hat diese Prosa einen sehr coolen Sound, der nicht zuletzt auch durch spanischsprachige Einsprengsel erzeugt wird. Dabei wird die soziale Ästhetik zumeist männlicher, großstädtisch-migrantischer Identitäten in eine von Pop inspirierte, anspruchsvolle Literatur übertragen. Diese jungen lateinamerikanischen Autoren aus den USA sollte man weiterhin definitiv im Auge behalten.
Florian Schmid ist freier Literaturkritiker
Stadt der Clowns Daniel Alarcón, Friederike Meltendorf (Übers.) Klaus Wagenbach 2012, 187 S., 18,90 €
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