Space-Opera mit Volvos

Literatur Simon Stålenhags illustrierter Roman „Things from the Flood“ mixt rostige Stahlmonster und Zeitsprünge
Ausgabe 16/2021

Als Graphic Novel bezeichnet man gemeinhin einen anspruchsvollen Comic. Dabei würde dieser Begriff auch gut auf die illustrierten Romane des schwedischen Künstlers Simon Stålenhag passen, die auch schon als „erzählende Kunstbücher“ bezeichnet wurden. Tales from the Loop und die nun erschienene Fortsetzung Things from the Flood sind außergewöhnliche Bild- und Text-Bände, die sich sowieso einer einfachen Kategorisierung entziehen und nur schwer in eine gängige Format-Schublade passen. Stålenhag, 1984 geboren und in der Nähe von Stockholm aufgewachsen, stellt naive Pop-Art-Bilder im Stil von Ölgemälden digital her und kombiniert sie mit kurzen literarischen Texten. Angesiedelt sind seine Retro-Science-Fiction-Geschichten aus den 1980er- und 1990er-Jahren über einen ominösen Teilchenbeschleuniger in einer ländlichen Gegend Schwedens, auf den fiktiven Mälar-Inseln. Im vergangenen Jahr wurde der erste Teil Tales from the Loop (der Freitag 17/2020) von Amazon Prime als eine eher leise, im Arthouse-Stil inszenierte und von der Kritik gefeierte Serie verfilmt. Unter anderem führte Jodie Foster bei einer Folge Regie. Wobei die futuristischen Landschaften im Buch etwas fantastischer wirken als in der Serienadaption. Nun erscheint mit Things from the Flood auf Deutsch die Fortsetzung dieses Science-Fiction-Opus in Buchform.

Im Himmel hängen Roboter

Das Beachtliche an Stålenhags illustrierten Romanen ist das zugrunde liegende World-Building, er zeigt eine ganz eigenwillige und äußerst stimmungsvolle Vintage-Welt, die aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen erzählt wird. In dieser Fiktion gibt es eine sogenannte Magnetrin-Technologie, gigantische Flugmaschinen können damit im Himmel hängen, riesige Robotergestalten, die auch von einem Schrottplatz aus Star Wars stammen könnten. Der Horizont ist voller blinkender, überdimensionaler Stahlkonstruktionen. Inmitten der meist winterlichen, ländlichen und kleinstädtischen Gegend liegt der für den ersten Teil titelgebende Loop, ein Teilchenbeschleuniger, der wie ein Zugang zu einer anderen Dimension oder Physik ist. In der nun erschienenen Fortsetzung Things from the Flood wird klar, dass durch den mittlerweile stillgelegten Loop eine Art schwarzes Loch, ein Durchgang zu einem anderen Planeten, geöffnet wurde.

Durch einen Polsprung, wie wir erfahren, eignet sich außerdem die nördliche Hemisphäre nicht mehr für die an den Polarkreisen entlangschwebenden Luftfrachtschiffe. Und eine große Überschwemmung, die mit den kaum beherrschbaren außerirdischen Kräften des Loops zu tun hat, hat weite Teile der Gegend einfach absaufen lassen.

Ließ sich Tales from the Loop vor allem als ebenso kritischer wie auch sentimentaler Abgesang auf den schwedischen Wohlfahrtsstaat der 1970er-Jahre lesen, so erzählt Things from the Flood nun von einem digitalen Umbau und nachhaltigen Veränderungen im ökonomischen und sozialen Alltag. War der erste Teil fast im Stil einer Anthologie angelegt, die von den Kleinstadtbewohnern erzählte und ihren aberwitzigen Abenteuern mit Zeitreisen und Sprüngen in andere Dimensionen, in denen sie sich dann auch mal selbst in einer anderen Version begegneten, so hat die Fortsetzung eine Handlung, die um eine Person zentriert ist. Darin erzählt ein Teenager vom Loop, der verlassen wird, von ganzen Industrieanlagen, die plötzlich brachliegen, und neuen, nicht weniger futuristischen Installationen wie riesigen Rechnern, turmhohen Wohnblocks und eigenartigen Satellitenschüsseln, die in der Landschaft stehen. Stålenhags Bilder leben vor allem von den Gegensätzen des ländlichen Schwedens mit seinen rot-weißen Holzhäusern, wie man sie aus den Verfilmungen von Astrid-Lindgren-Büchern kennt, und den großen, oft ausrangierten und vor sich hin rostenden Maschinen, die verblüffend gut in diese Bilderbuchlandschaften passen.

Da in Tales from the Loop wie auch in Things from the Flood vor allem Kinder und Jugendliche im Zentrum der Handlung stehen, wurden Stålenhags Bücher immer wieder mit Stranger Things und Dark verglichen. In diesen Serien wie auch im Loop-Universum werden die 1980er als popkulturelle Fundgrube ausgeschlachtet. Dass gerade die minutiöse Inszenierung dieses Jahrzehnts so erfolgreich ist, mag auch damit zu tun haben, dass die Alterskohorte der geburtenstarken 1960er-Jahrgänge gerne Teenagergeschichten aus ihrer eigenen Vergangenheit sieht. Wobei sich auch Jüngere begeistert identifizieren. Die Coming-of-Age-Geschichte erzählt von Schulfrust, erstem Verliebtsein, dem Verhältnis zu den Eltern und sehr großem Interesse an den geheimnisvollen Vorgängen auf den Mälar-Inseln. Die titelgebende Flut scheint außerirdischen Ursprungs zu sein, was eine Untersuchung nach sich zieht. Und immer wieder faszinieren die technologischen Absurditäten, etwa eine Metallkugel im Garten eines Freundes, die einen Menschen tele-transportiert, sobald man in sie hineinsteigt. Irgendwann breitet sich dann plötzlich auch noch eine Art Infektion unter den Maschinen aus und seltsame Geschwüre winden sich aus Schrotthaufen heraus. Außerdem kommen immer mehr Roboter aus Russland in die Gegend, wo ein gesetzliches Verbot künstlicher Lebensformen zu einer großen Flucht der intelligenten Maschinen führt.

Simon Stålenhags illustrierte Romane sind wilde Ritte durch alle möglichen Sub-Genres der Fantastik. Motivisch sind sie fest in einer Tradition der Science-Fiction verankert, die wie etwa in Andrei Tarkowskis Stalker oder in Alex Garlands Auslöschung (beides filmische Adaptionen literarischer Vorlagen) den Kontakt von Menschen mit einer nur schwer zu verstehenden Technologie in Szene setzen. Bei Stålenhag tauchen dann immer mal wieder Dinosaurier oder riesige Insekten auf.

Eine ganze Reihe von insgesamt 28 Dinosauriern hat Stålenhag übrigens auch für das schwedische Naturhistorische Museum in Stockholm gemalt. In seinen Büchern überrascht vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der Volvos, alte Computer, Telefone mit Wählscheiben, Einfamilienhäuser neben Kampfrobotern wie aus Space-Operas und prähistorischen Ungeheuern zu sehen sind. Ob Amazon Prime die Serie Tales from the Loop fortsetzt, ist noch unklar. Eigentlich ein Muss.

Info

Things from the Flood: Ein illustrierter Roman (Das Loop-Universum, Band 2) Simon Stålenhag Stefan Pluschkat (Übers.), Fischer Tor 2021, 132 S., 34 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden