Die 38-jährige Attica Locke schreibt verdammt gute Polit-Krimiromane, verdient ihre Brötchen aber vor allem als Skriptschreiberin für Serien. Seit Kurzem läuft auf Netflix mit From Scratch ihre Serienadaption der Autobiografie ihrer Schwester, der Schauspielerin Tembi Locke, eine tragische Liebesgeschichte, die auch von der Überwindung kultureller Barrieren erzählt. Attica Locke, die nach eigenen Angaben Regisseurin werden will, hat unter anderem auch am Drehbuch der mehrfach ausgezeichneten rassismuskritischen Serie When They See Us mitgearbeitet. Die politischen, kulturellen und sozialen Befindlichkeiten der afroamerikanischen Community sind ihr großes Thema. Und darum geht es auch in den mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Romanen der 1974 in Houston
der 1974 in Houston geborenen Autorin, der ihre bürgerrechtsbewegten Eltern den Vornamen in Anlehnung an den Gefängnisaufstand von Attica 1971 gaben. Ihr im englischen Original bereits 2015 erschienener Roman Pleasantville ist nun auf Deutsch erhältlich und bietet auf gut 450 Seiten eine komplexe und rasant erzählte Krimigeschichte aus dem texanischen Houston. Wie schon in ihrem von der Kritik gefeierten Debüt Black Water Rising steht der schwarze Bürgerrechtsanwalt und ehemalige Black-Panther-Aktivist Jay Porter im Zentrum der Erzählung.Mitte der 1990er kämpft der gerade verwitwete Anwalt Jay Porter, mittlerweile in den Vierzigern mit zwei jugendlichen Kindern, für die Bewohner der titelgebenden Gemeinde Pleasantville, die vor allem von afroamerikanischen Kleinbürgern bewohnt wird. Schon seit Jahren versucht er, deren Rechte nach dem Brand in einer nahe gelegenen Pharmafabrik geltend zu machen, leider nur mit mäßigem Erfolg. Die Stimmung in dem Houstoner Viertel ist mitten im Bürgermeisterwahlkampf, bei dem ein Bewohner des afroamerikanisch dominierten Pleasantville für die Demokraten gegen eine weiße Kandidatin der Republikaner antritt, sowieso aufgeheizt. Als dann ausgerechnet am 5. November 1996, an dem Abend, an dem Bill Clinton zum zweiten Mal die Präsidentschaftswahl gewinnt, eine 15-jährige Wahlkampfhelferin aus dem Viertel verschwindet, nach einigen Tagen ermordet aufgefunden wird und der Verdacht auf den Wahlkampfmanager Neal fällt, den Neffen des schwarzen Kandidaten Axel Hathorne, wird die Situation noch angespannter. Ausgerechnet die Staatsanwaltschaft, deren Leiterin die weiße Kandidatin Sandy Wolcott ist, erhebt Anklage gegen Neal, dessen Verteidigung Jay Porter übernimmt.Attica Locke entwirft auf diesen 450 dialogreichen und durchgängig spannend geschriebenen Seiten einen vielschichtigen urbanen Kosmos, in dem es um Machtambitionen, die Rolle der Medien, um verpasste Lebenschancen, familiäre Trauer, Solidarität, gemeinsame politische Kämpfe der Nachbarschaft gegen scheinbar übermächtige Konzerne, schwarze Alltagskultur in der texanischen Metropole und einen von der Öffentlichkeit mit angehaltenem Atem verfolgten Mordprozess geht. Dabei schafft sie es immer wieder, die Spannungs- und Eskalationsschraube auf unerwartete Weise weiterzudrehen. Vor dem Geschworenengericht geht es bald nicht nur um den Mordfall, sondern auch um die ganze Bürgermeisterwahl und damit verbundene Strategien und Winkelzüge, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Für einige republikanische Wahlstrategen scheint die Bürgermeisterwahl in Houston vor allem der Testlauf für eine nachhaltige Verschiebung politischer Machtverhältnisse zu sein. Denn der Eigentümer des Baseball-Profiteams im benachbarten Dallas, Gouverneur George W. Bush, läuft sich bereits warm, um als nächster Republikaner den Sprung ins Weiße Haus zu wagen.Inspiriert vom VaterAttica Locke weiß, worüber sie schreibt. Ihr Vater war Staatsanwalt in Houston und kandidierte 2009 vergeblich ums Bürgermeisteramt in der viertgrößten Stadt der USA. Die Idee zu dem Roman kam Attica Locke während der Wahlkampagne ihres Vaters, als sie zu Besuch in Houston war, wie sie der Los Angeles Times erzählte. „Ich zog ein ,Locke for Mayor‘-T-Shirt an, fuhr herum, und es war, als würde ich 30 Jahre später durch ‚Black Water Rising‘ fahren. Da waren Gewerkschaftler und schwarze Prediger, U-Bahn-Reporter und Ölmänner. Ich stand mit meiner Schwester an einer Ampel und sagte: ‚Das ist ein Buch.‘ “Das wirklich Faszinierende an Pleasantville ist Attica Lockes Fähigkeit, diese Geschichte nicht als plattes politisches Lehrstück zu erzählen, sondern die unterschiedlichen, komplexen und sich oft widersprechenden Interessen verschiedenster Akteure zu einem stimmigen Plot zusammenzufügen. Da taucht dann Jays ehemalige linksradikale Ex-Geliebte aus der Jugend auf, die mittlerweile für die Konzerne und die rechte Politkaste die Kastanien aus dem Feuer holt und in einem bestimmten Moment trotzdem ihrem Freund Jay hilft. Und über die richtige Vertretung schwarzer nachbarschaftlicher Interessen entbrennt bald ein wilder Streit. Ganz einfach, weil in der Politik mitunter sehr viele verschiedene Interessen und Aspekte eine Rolle spielen.Placeholder infobox-1