Transit

Asyl „Die Suchenden“ erzählt von den Schrecken der Flucht und der quälenden Apathie des Wartens
Ausgabe 28/2018
„Die Suchenden“ bietet einen längst überfälligen Perspektivwechsel
„Die Suchenden“ bietet einen längst überfälligen Perspektivwechsel

Foto: Christophe Archambault/AFP/Getty Images

Bücher von Geflüchteten selbst gibt es hierzulande noch wenig. Bekanntester Fall dürfte wohl der irakischstämmige Schriftsteller Abbas Khider mit seinem Roman Ohrfeige (der Freitag 09/2016) sein. Dagegen gibt es kaum literarische Erzählungen von afrikanischen Geflüchteten, die hier in Deutschland leben. Insofern schließt der jetzt im Unrast-Verlag erschienene gut 170 Seiten lange und überaus flott erzählte Roman Die Suchenden des 1981 in Kamerun geborenen und aufgewachsenen Rodrigue Péguy Takou Ndie regelrecht eine Lücke. Für Takou Ndie, der auf Französisch schreibt und dessen Bücher auch in Frankreich erscheinen, ist es bereits der dritte Roman über die Themen Flucht und Asyl und der erste, der nun ins Deutsche übersetzt wurde. Takou Ndie, der Ökonomie studiert und in Kamerun als freier Autor gearbeitet hat, bis er aus politischen Gründen ins Exil gehen musste, lebt seit 2013 in Deutschland.

Takou Ndies literarisches Alter Ego, ein namenloser Mann in den Dreißigern, der aus einem nicht näher benannten afrikanischen Land stammt, erzählt von seiner Flucht und dem Leben in einem Asylbewerberheim irgendwo in Brandenburg nahe Berlin. Schon die Anfangsszene des Romans ist verstörend. Der Erzähler sitzt auf dem Bett seiner Unterkunft und hält den endgültigen Ablehnungsbescheid in Händen, während Polizisten schon an die Tür hämmern, um ihn abzuholen. In einer Rückschau folgt nun die Geschichte seiner Flucht, angefangen beim lange gehegten Traum, zu emigrieren, vom für viele andere tödlichen Weg durch die Wüste, vom brutalen Rassismus nordafrikanischer Grenzbeamter, vom kollektiven Horror vor der Überfahrt über das Mittelmeer und vom geglückten Sprung über den Grenzzaun im spanisch-marokkanischen Melilla. In Europa jedoch ist der Albtraum noch lange nicht zu Ende. Über Barcelona und Paris geht es schließlich nach Deutschland, das vermeintlich sichere Ziel, das sich dann als ein anderer Albtraum erweist.

„Sie haben mich vor langer Zeit in ein passives, apathisches, antriebsloses Wesen verwandelt. Mein Dasein hier besteht aus nichts als Anträgen, Lethargie, Dämmerzustand; die Fähigkeit, selbst etwas zustande zu bringen, habe ich verloren, während ich die zum Leben in der Abhängigkeit von Europa und Deutschland erlernt habe.“

Takou Ndie beschreibt schonungslos den ganz normalen Alltag zahlreicher Geflüchteter. Das tut beim Lesen manchmal richtiggehend weh. Eindringlich beschreibt er die Ängste, das ewige Warten auf den Ausgang des Asylverfahrens und den Druck, dem sich sein Protagonist nicht nur durch die deutschen Behörden, sondern auch durch die Familie in Afrika ausgesetzt sieht. Ein Stück weit Abhilfe scheint – wenigstens für einige Zeit – seine politische Betätigung in den Protesten der Geflüchteten zu bringen. Er trifft auf andere Menschen, die mit ihm das Schicksal des Wartens und die ständige Angst vor Abschiebung teilen.

Brachiale Polizei

Takou Ndie eröffnet ein ganzes Panorama unterschiedlicher Fluchtgeschichten. Da wartet der Wohnheimnachbar mehr als ein Jahrzehnt auf seinen Bescheid oder die Mutter jahrelang auf eine Geburtsurkunde ihres in Deutschland geborenen Kindes. Andere Menschen, denen der Erzähler während seiner Odyssee begegnet ist, sind in diesen mitunter sehr tempo- und handlungsreichen Roman eingewoben. Zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit gibt es brutale polizeiliche Zugriffe, es kommt zu einem Suizid und es geht um Streitigkeiten in der Asylbewerberunterkunft.

Takou Ndie greift in seinem Roman viele der Themen auf, die derzeit in den Medien präsent sind und landauf, landab diskutiert werden – Horst Seehofers unsägliche Pläne für „Transitzentren“, die neokolonialen Zustände in Europa und Afrika, brachiale Polizeieinsätze in Ellwangen, das europäische Grenzregime. Die Suchenden bietet einen längst überfälligen Perspektivwechsel auf diese Thematik, die Takou Ndie in aufwühlende, dichte Prosa zu packen weiß.

Info

Die Suchenden Rodrigue Péguy Takou Ndie Inga Frohn, Lena Müller (Übers.), Afrique-Europe-Interact (Hrsg.), Unrast- Verlag 2018, 176 S., 14 €

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