Ungereimt und düster

Literatur Jason Schwartz wühlt sich durchs kulturelle Gedärm des 19. Jahrhunderts
Ausgabe 13/2019
Überreste des 19. Jahrhunderts in der Postmoderne: Häuser im viktorianischen Stil in San Francisco
Überreste des 19. Jahrhunderts in der Postmoderne: Häuser im viktorianischen Stil in San Francisco

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Der nur 120 Seiten lange Roman Johann der Posthume von Jason Schwartz ist ein außergewöhnliches Buch. Dem einen oder anderen Leser dürfte es aber nicht ganz leichtfallen, sich auf diese sehr verständlich, um nicht zu sagen süffig geschriebene Prosa an der Grenze zwischen Essay, Lyrik und kulturwissenschaftlicher Enzyklopädie einzulassen. Schwartz, Jahrgang 1967, kommt aus New York, lebt mittlerweile in Florida und lehrt an der dortigen Universität unter anderem Creative Writing.

Vielen gilt er als bedeutender avantgardistischer Autor in den USA. Obwohl er bisher lediglich zwei Romane veröffentlicht hat. John the Posthumous, bereits 2013 erschienen, bringt nun der Diaphanes-Verlag in der neuen Reihe „Forward Fiction“ nach Deutschland. Mit dieser will man unkonventioneller Literatur, die es im heutigen profitorientierten Literaturbetrieb immer schwerer hat, eine Plattform bieten. Wer in diesem Buch eine stringente Handlung sucht, wird allerdings enttäuscht. Jason Schwartz knüpft in seinem „Post-Gothic-Roman“, wie der Verlag das Buch so schön bewirbt, unterschiedliche, im Großen und Ganzen minutiöse Beschreibungen von Häusern, Ehebetten, Strafmaßnahmen, Krankheiten, sexuellen Begierden, Verbrechen und Bränden zu einem schillernden Textkorpus zusammen, der bei der Lektüre ebenso verstört wie begeistert.

Johann der Posthume ließe sich natürlich auch als gut hundertseitiges Gedicht abtun, nur wird das diesem Prosatext, der sich der kulturellen Eingeweide des 19. Jahrhunderts bedient und sie maßgerecht ausschlachtet, nicht gerecht. Auch wenn sich der Leser hin und wieder fragen wird, was passiert da eigentlich in diesem Buch, erzeugt der Text einen unglaublichen Sog und wartet mit einer enormen Bandbreite an Stilen, Bedeutungen und Assoziationen auf. Mal geht es um Bibelstellen und deren Übersetzungen, dann um Illustrationen gehörnter Dämonen, die diese Bücher bewohnen. Immer wieder geistern tote Kinder und verlassene Ehefrauen durch die bis zur letzten Dachsparre beschriebenen viktorianischen Villen und heruntergekommenen Häuser. Der Sound, den das Buch dabei entstehen lässt und der sich am besten entwickelt, wenn man die eine oder andere Seite auch mal laut liest, macht Lust auf mehr. „Abendliche Gimpel werden am Rande der Eichen gesichtet, jenseits des Lusthäuschens, einer nach dem anderen. Goldammern fallen auf den Weg. Die Ketten entsprechen zuweilen dem Timbre einer Männerstimme. Ein gewisses Hexenzeichen beschreibt ein lebendig begrabenes Kind.“

Titelgeber ist Johann I., Erbe des französischen Königsthrons seines Vaters Ludwig X. Johann kam 1316 bereits nach dem Tod seines Vaters zur Welt und verstarb auch schon im Alter von vier Tagen.

Jason Schwartz dirigiert diese sprachliche Elegie historischer Sedimente, die ein wenig wie eine aberwitzige Mischung aus Michel Foucault und Jorge Luis Borges klingt, mit großer Virtuosität. Beachtlich ist hier auch die Leistung des Übersetzers, um dieses Buch auch auf Deutsch so mitreißend klingen zu lassen. Besorgt hat das der österreichische Philosoph Andreas L. Hofbauer, der in den vergangenen Jahren auch immer wieder den slowenischen Vielschreiber Slavoj Žižek übersetzt und zuletzt auch Jeremy Benthams im Original 1797 erschienenes Panopticon erstmals ins Deutsche übertragen hat. Wer sich also jenseits eingefahrener Leseroutinen und vorgefertigter Literaturhäppchen zum bequemen Reinbeißen auch mal auf eine etwas andere, anstrengendere, aber durchaus faszinierende Lektüretour begeben will, sollte sich Jason Schwartz’ Kultbuch nicht entgehen lassen.

Info

Johann der Posthume Jason Schwartz Andreas L. Hofbauer (Übers.), Diaphanes 2019, 120 S., 10 €

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