Worker’s play time

Means TV Links zu sein, ist wieder hip in den USA. Kommt bald ein sozialistischer Streamingdienst?
Ausgabe 25/2019

Als in den 1980er Jahren das Privatfernsehen in deutschen Wohnzimmern Einzug hielt, war dem eine jahrelange Lobbyarbeit der Unionsparteien vorangegangen. Die Konservativen, die Sat 1, RTL und anderen Medienunternehmen den Weg in den Fernsehmarkt ebneten, erhofften sich wohl nicht zuletzt auch eine neue, politisch für sie günstigere mediale Heimat jenseits der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die nach dem „roten Jahrzehnt“ der 1970er den Unionsparteien als zu links galten. In Zeiten der Digitalisierung ist ein solcher Aufwand, der damals sogar bis hin zur Verabschiedung eines Rundfunkstaatsvertrages ging, schwer vorstellbar. Wie einfach es heutzutage sein kann, sich die Produktionsmittel „anzueignen“ und erfolgreich ins Mediengeschäft – in diesem Fall von links – einzusteigen, machen in den USA gerade Naomi Burton, 29, und Nick Hayes, 21, vor. Genauer gesagt, sie stecken noch mitten in den Vorbereitungen. Die beiden Filmemacher hatten sich kurz nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten bei einem Treffen der Democratic Socialists of America (DSA), der linken Strömung der Demokraten, in ihrer Heimatstadt Detroit kennengelernt. Anstatt weiter irgendwelche Werbeclips zu schneiden, beschlossen die beiden kurzerhand, sich zusammenzutun, eine eigene Firma zu gründen und für sie politisch relevante Themen zu bearbeiten.

Alexandrias Schuhe

Means TV heißt ihre Firma, deren Name sich von „means of production“ für Produktionsmittel ableitet. Mit diesem popkulturell-frechen Modus, der ein bisschen nach Marxismus klingt, treffen die beiden genau den Ton der im Moment so erfolgreichen US-amerikanischen Lower-Middle- und Working-Class-Linken, die in großen Zahlen in die DSA eintreten. Nun soll aus der Firma, die bisher Kampagnenvideos linker Demokraten für vergleichsweise schmale Budgets drehte, ein ganzer Internet-TV-Sender werden, der im Stil eines Streamingdienstes wie Netflix ein komplettes Programm anbietet. Eine Trickfilmserie à la Simpsons, aber mit linksradikaler Ausrichtung, soll es ebenso geben wie antikapitalistische Soap Operas, natürlich Dokumentationen, aber auch Spielfilme. Popkulturelle Mittel sollen in den Dienst linker Politik gestellt werden. Um ein Streaming_angebot für mehrere Monate anzubieten, sammeln die beiden derzeit per Crowdfunding Geld, wobei die Kollekte bisher schleppend verläuft. Von den angestrebten 500.000 Dollar Startkapital sind gut 20 Prozent zusammen.

Aber der demokratische Sozialismus, den hierzulande neben Kevin Kühnert auch gerne mal die Fridays-for-Future-Aktivistinnen als Schlagwort in den Mund nehmen, erfreut sich in den USA gerade großer Beliebtheit. Die Anfang der 1980er gegründeten Democratic Socialists of America, die meist um die 5.000 Mitglieder hatten, erleben seit der Wahl Trumps einen regelrechten Höhenflug und haben gerade erst die 50.000-Mitglieder-Schallmauer durchbrochen und zahlreiche Vertreter in die im November neu gewählten Parlamente geschickt. Messbaren Anteil an diesem Erfolg hatten eben auch Naomi Burton und Nick Hayes mit ihrem viral, ausschließlich im Netz verbreiteten Kampagnenvideo für das telegene Aushängeschild der DSA, Alexandria Ocasio-Cortez. Die dominikanisch-stämmige Tochter von Betreibern eines Taco-Restaurants aus der Bronx schlug bekanntlich den langjährigen Abgeordneten der Demokraten Joe Crowley.

In ihrem millionenfach geklickten Video zeigten Burton und Hayes die Kandidatin nicht nur im freundlichen Gespräch mit der Nachbarschaft und bei anderen öffentlichen Auftritten, sondern auch, wie sie auf die Subway wartend ihre Slipper gegen Schuhe mit Absätzen austauscht. Ein charakteristischer Moment, der Ocasio-Cortez’ Identität als im Restaurant arbeitende Frau herausstellte, die auf dem Weg zum „MacJob“ in ihre Arbeitsmontur steigt. Dieser sozialrealistische Zugang zur urbanen working class begeisterte unzählige Menschen, die in der digitalen Medienwelt mithilfe von Kommentaren und Likes eben auch direkt reagieren können. Dass Naomi Burton und Nick Hayes nun mit einem weitergehenden Projekt an diesen Erfolg anknüpfen wollen, ist verständlich.

Wobei Netflix selbst gerade erst mit der Doku Knock down the House über den Wahlkampf von vier progressiven Demokratinnen, darunter Alexandria Ocasio-Cortes, den Hype um junge, linke Politikerinnen in seinem Streamingangebot überaus erfolgreich und massentauglich verarbeitet hat. Ob Naomi Burton und Nick Hayes ihrem professionellen Vorbild wirklich Konkurrenz machen können und Means TV eine funktionierende Streamingplattform mit einem breiten Angebot wird, lässt sich nach dem durchaus werbewirksamen Testprogramm bei Youtube noch nicht wirklich abschätzen. Dort treten in den gut zwei Dutzend Clips, die selten länger als drei Minuten dauern, vor allem junge, hippe, mitunter reichlich tätowierte Menschen auf, die zumeist ironisch und recht selbstsicher linke Positionen vertreten und sowohl den Kapitalismus als auch den American Way of Life durch den Kakao ziehen.

Das reicht von einer Reportage aus den Eingeweiden des ländlichen Amerika, in der zwei Aktivisten vor einer von Bergbau zerstörten Landschaft über den Zusammenhang von Kapitalismus und Klimapolitik sprechen, über einen ziemlich rau gemachten Trickfilm, der eine Gruppe aufgebrachter Menschen dabei zeigt, wie sie ein Bürogebäude stürmen, bis hin zu einer Komikerin, die Anleitungen für das Überleben im neoliberalen Kapitalismus ohne Krankenversicherung gibt und einem Hipster, der als „Marxist und Roofer“ (Fassadenkletterer) erklärt, warum es wichtig ist, sich den Begriff der working class wieder anzueignen. Stellenweise mutet dieses Probeprogramm, das auch Reportagen von aktuellen Arbeitskämpfen bietet, wie didaktisches Linke-Szene-Bildungsfernsehen an. Es gibt aber auch Aufnahmen eines Stand-up-Comedians in einem Club, der sich mit Wortwitz an der US-Armee und ihrem „imperialistischen“ Auftrag abarbeitet, und ein fingiertes Interview mit zwei Exil-Venezolanern und Guaido-Anhängern, die in ihrer Luxuswohnung in Brooklyn von ihrer vermeintlich prekären Situation berichten. Unterm Strich ist es ein freches und flottes Programm, das linke und Trump-kritische Positionen auf ungewohnte Weise recht selbstverständlich in Szene setzt. Alle Clips sind professionell gemacht. Von einem ganzen Programm, wie es eine Streamingplattform anbietet, ist Means TV aber mit diesen Häppchen noch weit entfernt. Derzeit dürften die beiden jungen Filmemacher allerdings sowieso noch mit ihrem Großauftrag für Bernie Sanders’ Präsidentschaftswahlkampagne beschäftigt sein.

Ein Stück weit erinnert der Hype, den die beiden Macher von Means TV ausgelöst haben, an die Erfolgsgeschichte der Vierteljahreszeitschrift Jacobin, der Haus-und Hof-Postille der demokratischen Sozialisten. Deren Abozahlen kletterten in den vergangenen Jahren steil nach oben und haben jetzt die 40.000er-Marke erreicht. Die dazugehörige Internetseite ist mit mehr als einer Million Klicks im Monat zu eine linken Medieninstitution geworden. Gegründet hatte die linke Theoriezeitschrift vor acht Jahren der damals 22-jährige Bhaskar Sunkara. Seit letztem Jahr hat das popkulturell gelayoutete Magazin, dessen Texte auch schon der Suhrkamp-Verlag in einer Anthologie herausbrachte, mit dem Ada-Magazin sogar ein deutsches Online-Partnermagazin.

Nimm dies, Hegemonie

Der Erfolg von Jacobin ist Ausdruck der Aufbruchstimmung, die das Milieu der demokratischen Sozialisten in den USA nach den Wahlerfolgen im vergangenen Herbst erfasst hat. Es geht den Akteuren der DSA ebenso wie den Machern von Means TV darum, ihre eigene Wahrnehmung als politisierte working class breiter zu verankern, weswegen der Begriff geradezu inflationär gebraucht wird, sowohl in den Means-TV-Testprogramm-Clips als auch in den Texten von Jacobin.

Die Medien, vor allem das Fernsehen zu nutzen, ist natürlich mit der Idee verbunden, an der bestehenden kulturellen Hegemonie zumindest zu kratzen. Das ist dann wohl auch der Anspruch, der hinter dem schön klingenden Schlagwort „sozialistisches Netflix“ steht. Es geht um Breitenwirkung über das eigene politische, soziale und kulturelle Ghetto hinaus. Und diese Breitenwirkung soll weniger didaktisch als vielmehr unterhaltsam daherkommen und dabei helfen, einen „linken Lifestyle“ zu kreieren, der bei aller ökonomischer Härte politisches Selbstbewusstsein transportiert.

Genau das wollen auch die bisher produzierten Clips ausdrücken. Ob das im größeren Maßstab funktioniert oder doch eher als subkulturelle Nabelschau linker akademischer Großstädter enden wird, muss sich erweisen. Wobei das gesteckte Ziel finanziell zumindest erreichbar sein sollte. Denn dass in dieser Aufbruchstimmung mehrere tausend Abonnenten perspektivisch auch eine linke Streamingplattform unterstützen könnten, liegt auf der Hand. Es zeigt aber auch die Unmittelbarkeit des digitalen Medienbetriebs, der viel niedrigschwelliger einen direkten Zugriff auf die „Produktionsmittel“ zulässt und Interessierte im direkten Umfeld sowohl für Produktionen rekrutieren oder zum herrschaftskritischen Medienkonsum animieren kann. Mal sehen, ob das Crowdfunding doch noch den erhofften Erfolg bringt – oder ob am Ende Bernie Sanders, der übrigens kein Mitglied der DSA ist, die antikapitalistische Medien-Kriegskasse füllt.

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