Die neoliberale Hegemonie demontieren

Die Buchmacher Einige Ideen in Nick Srniceks und Alex Williams' neuem Akzelerationismus-Buch sind nicht so neu, wie sie scheinen
Alles nur Symbolpolitik?
Alles nur Symbolpolitik?

Bild: Spencer Platt/Getty Images

Als ebenso exotische wie attraktive Spielart linker Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie wird derzeit der Akzelerationismus gehandelt. Der fordert unter Ausnutzung technologischer Innovationen eine Überwindung der Arbeitsgesellschaft und versteht sich als politisches Strategiekonzept, um die Hegemonie des Neoliberalismus zu demontieren. „Die Heimat der Linken war immer die Zukunft, und sie gilt es zurückzuerobern“, so eine Forderung der beiden aus Großbritannien stammenden Vordenker Nick Srnicek und Alex Williams, die 2013 mit ihrem Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik Furore machten. Wobei – wie so oft bei solchen Moden – das linksliberal-bürgerliche Feuilleton begeistert jubelt, die radikale politische Linke dem aber recht skeptisch gegenübersteht.

Nun haben die beiden Mittdreißiger ihre Ideen in dem Buch Die Zukunft erfinden etwas ausführlicher ausgearbeitet. Srnicek und Williams gehen von einer ganz ähnlichen Grundannahme aus wie unlängst Paul Mason in seinem viel beachteten Buch Postkapitalismus. Es gehe nicht darum, den derzeitigen Kapitalismus zu zerstören, sondern als „Sprungbrett zum Postkapitalismus“ zu nutzen. Dazu bedarf es aber einiger Veränderungen linker Politik. Im Fokus ihrer Kritik steht das, was sie als „Folkpolitik“ bezeichnen. Das umfasst die Praktiken der jüngsten Protestbewegungen von den Globalisierungsgegnern bis Occupy. Denn in diesen Bewegungen wird vor allem versucht, mittels Symbolpolitik temporäre autonome Freiräume zu erkämpfen, die aber über das eigene Protestghetto nicht hinausreichen und keine weiterführende Perspektive eröffnen. Dazu brauche es langfristigere Strategien.

Eine neue Gegenhegemonie

Um die neoliberale Hegemonie ernsthaft unter Druck zu setzen, müsse eine neue Gegenhegemonie entwickelt werden. Zentral ist bei dieser Veränderung des gesellschaftlichen Common Sense eine Überwindung der Arbeitsgesellschaft. Das beginnt damit, den protestantischen Arbeitsethos über den Haufen zu werfen und endet bei der Demontage klassischer gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Politik, die auf Vollbeschäftigung und Lohnarbeit setzen.

Denn Lohnarbeit als soziale Grundlage des kapitalistischen Gesellschaftssystems spielt heute eh eine immer geringere Rolle. Durch Automatisierung wird sich dieser Umstand noch verschärfen. Die Automatisierung wird, so Srnicek und Williams, von der Linken gemeinhin zum vermeintlichen Übel hochstilisiert. Das ist ein strategischer Fehler, sagen sie. Es gelte vielmehr der Technologisierung gegenüber aufgeschlossen zu sein. Sie mache letztlich eine postkapitalistische Welt mit ganz neuen Konfigurationen von Arbeit erst möglich. Die Beschleunigung wird hier zur Chiffre einer emanzipatorischen Politik, auf die es zu setzen gelte

Latent technikfeindlich

Auch die undogmatische radikale Linke mit ihren lokalistischen und horizontalen Politikansätzen halten Srnicek und Williams für latent technikfeindlich. Nur ob sie mit dieser Einschätzung richtig liegen, ist fraglich angesichts zahlreicher Ansätze wie ihn etwa Donny Harraway schon Mitte der 1980er in ihrem auch auf Deutsch gerade neu aufgelegten Cyborg-Manifest postulierte. Darin plädiert sie für eine subversive Aneignung technologischer Neuerungen.

Auch auf dem Kongress „reproduce (future)“ zur Kritik am digitalen Kapitalismus des linksradikalen Bündnisses „ums ganze“ Ende November 2016 in Hamburg fand beileibe kein plattes Technologie-Bashing statt wie das Srnicek und Williams überall in der Linken sehen. Einige ihrer Kritikpunkte an linker Politikpraxis erinnern außerdem stark an Strategiedebatten, die hierzulande Anfang der 1990er geführt wurden. Insofern sind einige Gedanken in diesem Buch nicht ganz so neu, wie sie scheinen.

info

Die Zukunft erfinden. Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit Nick Srnicek, Alex Williams Thomas Atzert (Übersetzung), Edition Tiamat 2016, 384 Seiten, 24 €

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