Die Diskussion um das vorläufige Verbot der Fahrtvermittlungsplattform Uber hat daran erinnert, dass Start-ups ja doch nicht immer nur bejubelt werden. Während die Kunden sie meist als superkreativ feiern, sehen Taxifahrer oder Hotelangestellte in Firmen wie Uber und Airbnb die unbarmherzigen Vernichter ihrer Lebensgrundlage.
Auch große Unternehmen pflegen eine zwiespältige Beziehung zu Start-ups. Die Angst, deren Innovationen könnten das eigene Geschäftsmodell grundsätzlich in Frage stellen, ist immer mit dabei. Digitale Giganten wie Google hatten zwar noch nie ein Problem, mit der Vereinnahmung der Kleinen die eigene Monopolstellung auszubauen. Unternehmen der Mobilfunkindustrie wurden jedoch von Skype, Whatsapp und Konsorten Richtung Sinnkrise getrieben, Kaufhäuser wie Karstadt von Onlineplattformen.
Statt weiter vor Schreck zu erstarren, versucht man inzwischen, aufeinander zuzugehen. Wie bei der Langen Nacht der Start-ups in Berlin. „Es geht um Entmystifizierung“, sagt Cem Ergün-Müller, der Erfinder der Veranstaltung. Viele Jungunternehmer hätten zu großen Respekt vor den Konzernen und trauten sich nicht, sie anzusprechen. Und viele Unternehmen stellten sich Start-ups als ein Sammelsurium autistischer Nerds vor.
Miet-Lego-Steine
An diesem Samstag präsentieren rund 100 Jungunternehmer an zwei Standorten ihre Geschäftsideen. Dazu findet ein Live-Pitching-Wettbewerb statt, in 90 Sekunden muss die Jury überzeugt werden. Von Bedürfnissen, die selbst dem potenziellen Kunden fremd sind – zum Beispiel dreidimensionalen Drohnenbildern für Touristen, dem Schreiben eigener Sportevent-Liveticker oder so individualisierten Produkten wie Bier zum Selbermischen. Oder von alten Bedürfnissen: Lego-Steine zum Mieten, Buchzusammenfassungen für Lesefaule und eine digitale Fee, die vom Zahnarzttermin über den Kindergeburtstag bis hin zur Putzfrau einfach alles organisiert. Manche Start-ups lösen auch Probleme, die vorher überhaupt nicht existierten, etwa mit der Vermittlungsbörse für Spaziergangsgefährten.
Die Einfälle sind manchmal tatsächlich genial, oft trivial, gelegentlich lustig. Vertreter wichtiger Konzerne wie Telekom, Lufthansa, Karstadt, Audi oder BMW mischen sich unter die Gäste, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. „Klopft einfach an unsere Tür!“, sagt ein Telekom-Sprecher betont offen. Kontakte knüpfen ist hier naturgemäß alles, die Mittagspause hat im Programmheft den treffenden Untertitel „Networking“. Hände schütteln, Visitenkarten verteilen, alle fünf Sekunden ein neuer Flyer in der Hand. Auf den Tischen liegen sogenannte Emergency Business Cards mit verschiedenen Botschaften, besser gesagt messages: „To future fistbumping“. Oder „Let’s have Coffee soon“ und „Call me“. Sprüche, die ein bisschen ironisch sind und dabei so freundlich und inhaltsleer klingen, dass sie immer passen. Man weiß schließlich nie, wem man noch über den Weg läuft.
Doch nicht nur die Ideen, auch die Ideologien dahinter werden ausgestellt, die kapitalistischen Grundtugenden an jeder Ecke beschworen. Wo man auch hinkommt, gibt es motivational speeches: „Jeder Einzelne von euch ist besonders. Jeder von euch hat das Potenzial, Großes zu erreichen“, sagt ein Keynote-Speaker. Immer wieder zeigt er bedeutungsschwer auf das Publikum, macht kurze Pausen, setzt dann zu leidenschaftlichen Ausbrüchen an. Steve Jobs hat wirklich tiefe Spuren auf dieser Erde hinterlassen.
Das Ziel der Rhetorik liegt auf der Hand: Alles muss dem Traum geopfert werden, volles Risiko. Selbst als neutraler Zuschauer bekommt man plötzlich Lust, auch mal irgendwas zu gründen. Warum auch nicht, Scheitern ist ja keine Schande mehr und gehört längst zur Erfolgsgeschichte. Mittlerweile finden weltweit FailCons, Kongresse übers Versagen, statt, bei denen sich Ex-Start-up-Gründer austauschen: aus seinen Fehlern lernen, um noch besser zu werden, Niederlagen als Voraussetzung für Selbstoptimierung. Samuel Becketts bitteres fail again, fail better wurde so zum geflügelten Wort der Start-up-Szene.
Silicon-Valley-Neusprech
Silicon Valley ist auch in der deutschen Hauptstadt als Vorbild allgegenwärtig, ein ganz bestimmter Neusprech dient als Basis. Aus dem Vokabular: Man gründet keine Firmen, man hat Visionen; man arbeitet nicht, man erfüllt seinen Traum; man denkt nicht an Absatzmärkte, man kümmert sich um Kundenzufriedenheit. Diese Haltung, dieser Geist findet sich auch in den Werbetafeln für die Start-up-Nacht wieder. „Das sind keine Augenringe, das sind Schatten großer Taten“, verkünden Berliner U-Bahn- und Plakatwände im reinsten Selbstausbeuterdeutsch.
Ein Redner erzählt von Erweckungserlebnissen in einem Industriegebiet in Kalifornien, dazu gestikuliert er aufgeregt: „Ich dachte immer, ich sei ein Entrepreneur, aber im Silicon Valley habe ich gemerkt, dass ich immer nur ein Businessman war, denn ein Businessman macht Geschäfte, und ein Entrepreneur hat eine Bestimmung.“ Es gehe darum, die Welt endlich zu einem besseren Ort zu machen. Man wirtschafte nicht nur einfach, man verändere das Leben der Menschen. „Don’t choose profit, choose the people“, predigt er. Such nicht den Profit, such dir die Menschen aus. Halleluja.
Draußen wird es dunkel, drinnen sind die Vorträge und Diskussionen vorbei. Der Discjockey missbraucht einen Song des Berliner Liedermachers Funny van Dannen: „Baut kleine, geile Firmen auf / baut kleine, geile Firmen auf …“ Krawatten werden gelockert, es gibt Flaschenbier und bunte Cocktails mit Schirmchen. Richtig gefeiert wird aber nicht, da sind ja immer noch ein paar Hände, die noch nicht geschüttelt wurden.
Etwa zur selben Zeit geht an diesem Samstag auch die Lange Nacht der Religion zu Ende.
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