Gute Stadt, böse Stadt

Netzkultur Eine neue App warnt vor gefährlichen Gegenden und sorgt damit für Entrüstung. Das Konzept sei rassistisch. Problematisch ist aber vor allem die Segregation des Stadtraums

Es ist die Urangst des Städtetouristen. Einmal falsch abgebogen und schon ist man mit seiner kleinen Bauchtasche dem Unwillen eines vermeintlichen Molochs ausgeliefert, inmitten dunkler Gestalten und dubioser Aktivitäten. Die Smartphone App SketchFactor soll dem vorbeugen. "Sketchy" bedeutet so viel wie zwielichtig und es ist den Nutzern selbst überlassen die "relative sketchiness“ einer Nachbarschaft einzustufen. Jeder Nutzer kann mit Einträgen vor möglichen Gefahren oder Besonderheiten warnen. Es gibt verschiedene Warnstufen, von "weird“ über "creepy“ bis "dangerous“. Zu jedem Eintrag werden auch Uhrzeit und Ort der potentiellen Gefahr gespeichert. Daraus entsteht eine Karte mit Markierungen, die sich zu No-go-Areas verdichten. So soll der Nutzer gefährliche Stadtteile meiden können.

Betroffen von den negativen Markierung sind oft Nachbarschaften, in denen viele Schwarze leben. In amerikanischen Medien und sozialen Netzwerken wurde die App deshalb als rassistisch kritisiert. Gerade in Amerika ist man aufmerksam – die tragischen Todesfälle schwarzer Jugendlicher wie Trayvon Martin vor zwei Jahren zeugen von den Abgründen des "racial profiling“. Erst vor wenigen Tagen sorgte der Tod von Michael Brown für eine Welle des Zorns.

Auch bei SketchFactor besteht die Gefahr von „racial profiling“. Einer digitalen Bürgerwehr, die kollektiv auf den Mann mit dem Kapuzenpulli starrt. Die Entwickler haben das wohl geahnt, und versucht, dem vorzubeugen: rassistische Bewertungen können gemeldet werden. Die App selbst mag also nicht rassistisch sein – trotzdem bleibt das Problem bestehen, dass sie dem subtilen Rassismus in der alltäglichen Wahrnehmung eine Plattform bietet.

Das andere Problem der App ist aber, dass die Bewertungen auf Intuitionen basieren. SketchFactor ist ein Forum für merkwürdiges Unwohlsein und ungute Bauchgefühle. Analytische oder statistische Elemente sind (zumindest noch) nicht Teil der App. So berichten Nutzer etwa von unfreundlichen Begegnungen, verrückten Männern die ohne Hose auf Plätzen tanzen, von Jugendlichen die Gras rauchen oder einfach nur von von komischen Blicken die ausgetauscht wurden. Auch die Präsenz von Obdachlosen empfinden viele als „sketchy“. Alles, was nicht ins Weltbild passt, kann problematisiert werden. Mit den tatsächlichen Lebensrealitäten in einem Stadtteil muss das nicht viel zu tun haben.

Sicherlich gibt es unsichere Gegenden und es macht Sinn, dem entgegenwirken zu wollen. Die Journalistin und Stadtaktivistin Jane Jacobs forderte bereits in den 60er Jahren „eyes upon the street“, also Augen, die auf die Straße gerichtet sind, um für Sicherheit auf New Yorks Straßen zu sorgen. Doch damit sind keine polizeilichen Kontrolle oder gar Kameras gemeint. Auch Smartphone-Apps kannte die gute Frau noch nicht. Es geht Jacobs vielmehr um eine regulierenden Selbstkontrolle der Gesellschaft. Die Anwesenheit anderer Menschen schafft Sicherheit. Nicht bestimmte Personen sind kriminell, sondern bestimmte Räume ermöglichen Kriminalität. Es bedarf einer Belebtheit der Straßen und nicht einer Verbannung von bestimmten Personen. Und die Straßen dürfen nicht gemieden, sie müssen benutzt werden.

Die App kann deshalb als technisches Hilfsmittel dennoch hilfreich sein. Sie muss nur anders eingesetzt werden. Der Anspruch sollte nicht nur darin liegen, als Tourist ungestört durch die Stadt flanieren zu können. Statt Gefahren aus dem Weg zu gehen, können Mitmenschen mobilisiert werden, um Zivilcourage zu zeigen. Denn wirklich gefährlich wird es, wenn bestimmte Gebiete abgeschrieben und sich selbst überlassen werden. Das ist das eigentliche Problem bei SketchFactor. Es deckt keine Realität auf, sondern produziert sie. Die Masse an Daten hat zwar nichts mit den Lebensrealitäten vor Ort zu tun, aber der Glaube an ihre Richtigkeit genügt, um ganze Nachbarschaften zu diskreditieren. Die systematische Stigmatisierung von Räumen wird so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

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Florian Buchmayr

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