Wehrhafte Kannen

Stilkunde Das Berliner Museum der Dinge erinnert daran, wie am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit der großen Werkbundausstellung Politik gemacht wurde
Ausgabe 40/2014
Hotelgeschirr propagiert im „Deutschen Warenbuch“ von 1915
Hotelgeschirr propagiert im „Deutschen Warenbuch“ von 1915

Foto: Armin Herrmann / Sammlung Werkbundarchiv / Museum der Dinge

Made in Germany“ gilt seit rund 100 Jahren als Gütesiegel. Das Label ist ein milliardenschwerer Exportschlager. Weniger bekannt: Ursprünglich war es als Stigma gedacht. Mit dem Merchandise Marks Act von 1887 hatte das britische Königreich die Kennzeichnung „Made in Germany“ als Warnung vor billiger und oft mangelhafter Importware aus Deutschland eingeführt. Der Plan ging bekanntlich schief.

Wie es zu dieser Kehrtwende kam, dem geht das Museum der Dinge in Berlin nun anhand der Kölner Werkbundausstellung von 1914 nach. Mit dieser Leistungsschau der deutschen Warenlandschaft präsentierte man sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs stolz der Weltöffentlichkeit. 1907 hatten Künstler, Architekten, Handwerker und industrielle Unternehmer den Werkbund gegründet, um Konsumenten und Produzenten auf eine neue Warenkultur einzuschwören. Nach Jahrzehnten regionalistischer Tendenzen im deutschen Flickenteppich bemühte sich der Werkbund um eine allgemeine Orientierung. Sachlich und funktional, so sollten die neuen Waren sein.

Die damalige Ausstellung war ein Großereignis, getragen von viel Fortschrittsoptimismus. Mit gewaltigem Tamtam wurde sie in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. eröffnet. Der Euphorie lag eine Sehnsucht nach Vereinheitlichung zugrunde. Die modernen, schlichten Formen waren auch eine Kampfansage an den profanen Massengeschmack der unteren Klassen, an überbordende Ornamente und Kitschmotive. Die Omnipräsenz von Waren war zu jener Zeit neu, der Umgang damit noch ungeübt. Der Werkbund wollte – unterstützt von Ausstellungen, Broschüren und Lehrbüchern – geschmackssicher in die Moderne führen.

Die Waren sollten aber auch ein Spiegel des neuen deutschen Selbstbewusstseins sein. Auch wenn der Einfluss der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung unverkennbar ist: Für die Beteiligten war der neue Stil der deutsche Stil. Die neue Form die deutsche Form. Man wollte international nicht nur mitmischen, sondern, mehr noch, den Ton angeben. Viele fabulierten gar von der Eroberung der Welt durch die deutsche Form.

Doch kein Hurrakitsch

Die Diktion hatte nicht selten militaristische und nationalistische Untertöne. Die Werkbundausstellung wurde als Wehrschau bezeichnet. Friedrich Naumann, der zu den Mitbegründern des Werkbunds zählt, sprach gar davon, es handle sich „nicht mehr nur um Geschmacksurteile, sondern um volkswirtschaftliche Entscheidungsschlachten“. Auch Hermann Muthesius kämpfte leidenschaftlich für eine „Weltgeltung der deutschen Form“. Es gebe, sagte der Architekt und Wortführer des Werkbunds, etwas Höheres, als die Welt zu finanzieren, zu belehren oder zu beherrschen. Nämlich der Welt mit der eigenen Warenkultur „ein Gesicht zu geben“. Imperiale Fantasien also mit Schneebesen, Teekanne und Bügeleisen. Die Banalität der ausgestellten Dinge steht dem Pathos der Produzenten gegenüber. Erst durch den Kontrast zu weit verbreiteten Alltagswaren jener Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wie die Besucher der Werkbundausstellung 1914 vor der neuen Schlichtheit eines Einmachglases ehrfurchtsvoll innehalten konnten.

Dem kühlen und zeitlosen Stil eines WMF-Geschirrs stehen in der Berliner Ausstellung Spardosen in Form der Dicken Bertha, des Mörsergeschützes, und ein Tellerservice mit dem Abbild des Kaisers gegenüber. Vieles ist zusätzlich in Schwarz-Weiß-Rot, den damaligen Nationalfarben, eingefärbt. Hier jedoch hörte die Deutschtümelei der Werkbündler auf. Derartige Erzeugnisse wurden von ihnen als Hurrakitsch abgetan. Allein die Liebe zur Qualität galt im Werkbund als patriotisch.

Elegant, aber ehrlich wollten die Vertreter des Werkbunds auch die Werbung gestalten. Vorbild waren die ikonischen Plakate des Künstlers Lucian Bernhard für Adler-Schreibmaschinen. Kunst wurde ein immer wichtigerer Faktor, ein Hauch von Erhabenheit zum Muss. Verpackungen verbreiteten sich zu jener Zeit rasend schnell, und neben dem Gebrauchswert und der eigentlichen Substanz brauchten Waren erstmals auch eine ansprechende Hülle. Getreu dem Motto „Gute Ware in gefälliger Form“ von Hermann Bahlsen, dessen Keksfabrik in Hannover ebenfalls dem Werkbund angehörte.

Heute, auch das zeigt die Ausstellung im Museum der Dinge, wird vom Toaster bis zum Grillanzünder alles Erdenkliche mit dem Label „Made in Germany“ beworben. Die Träume und Ambitionen des Werkbunds hingegen wurden bereits 1914 von der Realität eingeholt. Als der Erste Weltkrieg begann, musste die Schau vorzeitig abgebrochen werden. Wie zum Hohn wurden zum Andenken an die Ausstellung 1914 kitschige Souvenirmuscheln produziert. Woher sie kamen und von wem sie hergestellt wurden, ist unbekannt. Aber sie zeigen, dass der Kampf gegen den schlechten Geschmack nicht wirklich gewonnen werden konnte.

Made in Germany – Politik mit Dingen. Der Deutsche Werkbund 1914 Museum der Dinge Berlin, bis 2. Februar 2015

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