Wir wissen, wo du schläfst

Armut Im dänischen Odense werden Obdachlose mit Peilsendern ausgestattet. Die Daten sollen die soziale Infrastruktur verbessern, bergen aber die Gefahr des Missbrauchs
Wir wissen, wo du schläfst

Foto: Sergei Supinsky/ AFP/ Getty Images

Es hört sich ganz schön dystopisch an. Jeder Schritt von Obdachlosen soll aufgezeichnet werden. Sie sind ständig aufspürbar, man weiß wo sie waren und wo sie gerade hingehen. Es klingt nach staatlicher kontrollierter Überwachung, nach Law and Order. Doch die Behörden der dänischen Stadt Odense beschwichtigen. Bei dem Pilotprojekt gehe es um etwas ganz anderes. Man will mehr über den Alltag von Obdachlosen erfahren. Ihre Wege und Routinen sollen analysiert werden, um Hilfsprogramme besser auf sie abstimmen zu können. So kann man durch die entstehenden Daten eruieren, wo sanitäre Anlagen, Notübernachtungen oder Essensausgaben am effektivsten untergebracht werden können. Zudem sei das Tragen der Peilsender freiwillig. Die Analyse erfolgt anonym, denn welche Person welchen Peilsender trägt, ist nicht bekannt. Auch die Obdachlosen selbst geben positives Feedback. Sie freuen sich, dass man sich für sie und ihren Tagesablauf interessiert.

Zumeist dienen sogenannte Bedürfnisevaluierungen der Marktforschung. Da werden ellenlange Analysen über Wahrnehmung und Zufriedenheit der Kunden ertsellt, um Dienstleistungen oder Produktte anzupassen und zu vereinfachen. Obdachlose spielen da normalerweise keine Rolle. Im Gegenteil: Ihre prekäre Situation wird ausgenutzt um beispielsweise Medikamente zu testen, die sie sich selbst nie leisten könnten. In amerikanischen Städten mit hoher Population an Obdachlosen werben Forschungsinstitute gezielt in Obdachlosenheimen für ihre Studien. Potentielle Kunden sind sie jedoch nicht und werden deshalb von der empirischen Sozialforschung links liegen gelassen. Dabei haben auch sie auch ein Recht auf ein besseres Leben.

Dass in Odense nun das Leben der Obdachlosen im Fokus steht, liegt wohl daran, dass auch die involvierten dänischen Behörden einen Nutzen aus den Daten ziehen. Einerseits können sie so ihre Hilfsleistungen besser an Mann und Frau bringen, was so sinnvoll wie begrüßenswert ist. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Daten für andere Zwecke missbraucht werden. Der Blick in andere Städte zeigt, wie "kreativ" Stadtverwaltungen vorgehen, um den Kampf gegen Obdachlose aufzunehmen. Mülleimer, die das Flaschensammeln erschweren, musikalische Beschallung, Sprinkleranlagen, Metallspitzen oder abgerundete Bänke auf denen man nicht schlafen kann. Es ist durchaus vorstellbar, dass die GPS-Daten nicht nur für, sondern auch gegen die Obdachlosen verwendet werden könnten.

So ambitioniert das dänische Projekt auch sein mag, es hat einen fahlen Beigeschmack. Während immer breitere Schichten des Bürgertums in den letzten Jahren eine gewisse Sensibilität für Gefahren des Überwachungsstaates entwickelt haben, so mangelt es gerade im Fall von Obdachlosen an dieser Sensibilität. Recht auf Privatheit und Geheimnisse werden ihnen schneller abgesprochen als irgendeiner anderen Personengruppe. Städtische Obdachlose führen ihr Leben in der Öffentlichkeit, stets den kritischen Blicken der Passanten ausgeliefert. Man sieht, wie sie ihre Wäsche zusammenlegen, wie sie schlafen oder essen. Der alltägliche Blick darauf lässt möglicherweise in Vergessenheit geraten, dass auch sie ein Leben führen, dessen Privatsphäre geschützt werden muss. Bürgerliche Rechte sind nicht an den Besitz einer Wohnung gebunden.

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