Die Suche nach dem freudigen, schönen Leben

Zeitgeschichte Am 2. Mai dieses Jahres jährte sich der Todestag Gustav Landauers zum 100. Mal. Wer war dieser Mensch, der mit seinem geistesrevolutionären Ansatz bis heute polarisiert?

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Gustav Landauer in den frühen 1890er Jahren
Gustav Landauer in den frühen 1890er Jahren

Foto: Wikimedia (gemeinfrei)

Der Name Landauers ist heute eher wenigen Menschen bekannt. In der BRD sowie in der DDR blieb sein Wirken aus jeweils konträren ideologischen Bewegründen weitgehend unbeachtet. In den letzten Wochen erklang sein Name oft im Zusammenhang mit der Münchener Räterepublik, deren Niederschlagung am 1. Mai 1919 auch er einen Tag später zum Opfer fiel. Doch das politische bzw. „antipolitische“ Schaffen des jüdischen Journalisten, Philosophen, Pazifisten und Anarchisten umfasste viel mehr als sein letztes Lebensjahr und sollte nicht nur auf sein Wirken während der Räterepublik in Bayern reduziert werden.

Geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe als Sohn eines Schuhladenbesitzers, studierte der 18-jährige Landauer zunächst in Heidelberg Germanistik und Philosophie. Nach zwei Semestern zog es ihn erstmals nach Berlin. Zwischen 1890-1891 führte er sein Studium in Straßburg fort, wo er sich ausführlich mit den Schriften von Schopenhauer, Kant und Nietzsche beschäftigte. In dieser Zeit las er auch August Bebels „Die Frau und der Socialismus“ und ging erstmals auf Tuchfühlung mit dem Sozialismus, stellte aber gleichzeitig der Sozialdemokratie ein vernichtendes Urteil aus. Zurück in Berlin wohnte er in der heutigen Torstraße 155. In diesem von Armut geprägten Arbeiterviertel war er mit den negativen Auswirkungen der industriellen Revolution und den sozialen Fragen der Zeit konfrontiert. Landauer wurde Mitglied der „Freien Volksbühne“, die überwiegend sozialkritische Stücke für die Arbeiter*innenschaft auf die Bühne brachte. In diesem neuen Umfeld verschmolzen seine Vorlieben für das Theater, die Literatur und den Sozialismus. Landauer machte Bekanntschaft mit den sogenannten „Jungen“, die sich als Opposition innerhalb der SPD gegen die zentralistisch geführte Parteiführung gebildet hatten. Dieser Kreis trat schließlich aus der SPD aus und gründete den „Verein unabhängiger Sozialisten“ (VuS), dem Landauer Anfang des Jahres 1892 beitrat. Der Verein repräsentierte von Anfang an zwei Flügel: die „revolutionären Sozialdemokraten“, die im Grunde nur mit der Art und Weise der Parteiführung unzufrieden waren und einer radikaleren Fraktion, die eher zum Anarchismus neigte. Das Sprachrohr des Vereins war die Zeitung der „Sozialist“, für den Landauer bald erste Artikel schrieb. Im gleichen Jahr beendete er seinen Roman „Der Todesprediger“, der ein Jahr später veröffentlicht wurde. Unter den Mitgliedern der „Freien Volksbühne“ kam es unterdessen ebenfalls zu Auseinandersetzungen zwischen den Sozialdemokraten und den unabhängigen Sozialisten, die bis dato in wichtigen Gremien des Vereins saßen. In der Folge vollzog sich auch dort eine Spaltung und die unabhängigen gründeten die „Neue Freie Volksbühne“, in deren künstlerischen Beirat Landauer gewählt wurde.

„Nennen wir uns Anarchisten“

Nach kurzem Aufenthalt in der Schweiz, wo er seine erste Frau heiratete, erhielt Landauer im Februar 1893 den Posten des Chefredakteurs von der „Sozialist“. Er vertrat mittlerweile zunehmend anarchistische Positionen, denen eine gewisse Bewunderung für den anarchistischen Attentäter Ravachol vorausging. Seine Ansichten prägten maßgeblich die Inhalte des „Sozialist“. In der Folge gewann das Blatt immer mehr Leser aus libertären Kreisen, zum Unbehagen der revolutionären Sozialdemokraten. Nach zähen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Zeitung, und einer gescheiterten Übernahme, zogen sich diese schließlich zurück. Der „Sozialist“ wurde daraufhin reorganisiert, die Belegschaft bestand nun aus unabhängigen Sozialisten und bekennenden Anarchisten. Der Name wurde mit dem Untertitel „Organ aller Revolutionäre“ versehen. Im August 1893 fuhr Landauer als Delegierter zum Internationalen Sozialisten Kongress in Zürich und erlebte dort den Ausschluss der unabhängigen Sozialisten und Anarchisten, maßgeblich auf Betreiben der SPD, aus der II. Internationalen hautnah mit. Dieses Erlebnis manifestierte seine Abneigung gegenüber den Sozialdemokraten erheblich. Unterdessen kam es in Europa immer wieder zu anarchistischen Attentaten, die dem Anarchismus ein bis heute anhaltendes Stigma von Terrorismus und Chaos anhefteten. Zwar distanzierte sich Landauer eindeutig von den Gewalttätern, die Politische Polizei in Berlin stellte ihn dennoch unter genaue Beobachtung. Aufgrund verschiedener Artikel in der „Sozialist“ und einiger Reden auf Versammlungen musste Landauer im Herbst 1893 für knapp ein Jahr ins Gefängnis. Die Zeitung sah sich auch ohne ihn weiterhin strenger Verfolgung ausgesetzt und stellte im Januar 1895 den Druck vorläufig ein.

Aus der Haft entlassen veröffentlichte Landauer die Schrift „Der Anarchismus in Deutschland“. Darin wendete er sich gegen den vom Marxismus gepredigten Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats, da diese nur ein neues Unterdrückungsverhältnis hervorbringe. Der Anarchismus sollte seines Erachtens offen für alle Gesellschaftsschichten sein und dazu beitragen, die Klassengegensätze zu überwinden, in dem er „[…] die Wiedergeburt des Menschengeistes, um die Neuerzeugung des Menschenwillens und der produktiven Idee großer Gemeinschaften“ anstrebe. In diesem Sinne setzte sich Landauer für Produktions- und Konsumgenossenschaften ein, die den Menschen ein neues Bewusstsein und Miteinander ermöglichen sollten. Nur so schien in seinen Augen eine freie sozialistische Gesellschaft erreichbar. Mit der Absage an den Klassenkampf stieß er jedoch nicht nur bei Sozialdemokraten, sondern auch bei Teilen des anarchistischen Lagers auf Ablehnung.

„Revolution heißt neuer Geist“

Im August 1895 wurde der „Sozialist“ neu herausgebracht, diesmal mit dem Untertitel: „Organ für Anarchismus-Sozialismus“. Kurz darauf übernahm Landauer wieder die Leitung der Redaktion. Die Neuauflage sah sich von Beginn an erneuter Kritik ausgesetzt. Das lag zum einen an einer stetigen Parteinahme für die Genossenschaftsidee. Zum anderen war die Tonalität des Blattes deutlich gemäßigter als zuvor, um den Behörden keinen Zündstoff für eine erneute Verfolgung zu liefern. Daher waren die Texte kaum mehr zur Agitation geeignet, stattdessen erhielten viele wissenschaftliche und theoretische Artikel Einzug, die für die Arbeiter*innenschaft aber kaum mehr verständlich waren. Am einsetzenden Niedergang der Zeitung konnte auch die neue Beilage „Der arme Konrad“, welcher reine Agitations- und Propagandazwecke erfüllen sollte, nichts ändern. Aus dem Kritikerkreis entstand eine anarchistische Konkurrenzzeitung, die 1899 schließlich zur Einstellung des „Sozialist“ führte. Während der Jahrhundertwende saß Landauer wegen einer Verleumdungsklage wieder im Gefängnis. Dort beschäftigte er sich eingehend mit „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ von seinem Freund Fritz Mauthner und begann in „Skepsis und Mystik“ seine politischen Vorstellungen, philosophisch zu begründen. Bereits davor hatte er sich immer weiter vom „proletarischen Anarchismus“ distanziert. Die Hoffnung auf eine baldige anarchistische Massenbewegung war für ihn in weite Ferne gerückt. Der Revolution müsse eine vollständige Bewusstseinsveränderung der Menschen vorrangehen, die nur in kleinen Gemeinschaften erlangt werden könne.

Diese Denkrichtung setzte sich nach seiner Entlassung fort. Landauer lebte zu dieser Zeit in Friedrichshagen und verkehrte dort in dem gleichnamigen Dichterkreis, wo er u.a. Bekanntschaft mit den Brüdern Julius und Heinrich Hart, Martin Buber und Erich Mühsam machte. Mit letzteren sollte ihn eine innige Freundschaft bis an sein Lebensende verbinden. Im Herbst des Jahres 1900 ging aus einem Teil der Literatenrunde die „Neue Gemeinschaft“ hervor, in der die Theorien der Produktions- und Konsumgenossenschaft in der Praxis erprobt werden sollten. Jedoch äußerte sich bei Landauer schon bald eine zunehmende Enttäuschung gegenüber der überheblichen Erkenntnistheorie der Harts, die auf einer geistlichen Ebene stagnierte. Als Konsequenz kehrte Landauer der Gemeinschaft den Rücken zu und zog mit seiner neuen Lebensgefährtin, der Dichterin Hedwig Lachmann, in die Nähe von London. In unmittelbarer Nachbarschaft wohnte Peter Kropotkin. Zwar pflegten die beiden Kontakte, zu einer wirklichen Freundschaft sollte es jedoch nicht kommen, da zwischen ihnen zu große Meinungsunterschiede herrschten. Da Landauer keine Anstellung in England fand, musste das Paar 1902 das Land wieder verlassen. Zurück in Berlin fokussierte er sich erneut auf sein literarisches Schaffen und hielt Abstand vom politischen Treiben. Der sein Leben lang unter Geldmangel leidende Landauer verdiente seinen Lebensunterhalt zu dieser Zeit als Buchhändler und Übersetzer.

Nach fast 10-jähriger Abstinenz startete Landauer sein politisches Comeback. In Vorbereitung dazu veröffentlichte er 1907 die „Dreißig sozialistische Thesen“ und ein Geschichtsphilosophisches Werk „Die Revolution“. Ein Jahr später trat er mit dem Vortrag „Aufruf zum Sozialismus“ wieder öffentlich als Redner auf. Landauer orientierte sich an seinen früheren Ideen und formulierte diese weiter aus. Um seine Theorie in die Praxis umzusetzen gründete er 1908 den „Sozialistischen Bund“, als dessen Sprachrohr Landauer den „Sozialist“ neu erscheinen ließ. Der Bund war eine Föderation von Siedlungen und Genossenschaften, die durch Rätesysteme zum Sozialismus führen sollten. Doch Landauers klare Positionierung gegen den Generalstreik und den Klassenkampf, sowie seine eigene Unnachgiebigkeit, ließen sein Projekt nach anfänglichen Erfolgen eingehen. Ab 1911 widmete er sich vermehrt anderen Dingen. So war er eine treibende Kraft bei dem Unternehmen, für die „Die Neue Freie Volksbühne“ ein eigenes Theater zu verwirklichen. Für die Umsetzung und Finanzierung kam es zu einer Wiedervereinigung dieser mit der „Freien Volksbühne“. Der Bau der Volksbühne am heutigen Rosa Luxemburg Platz wurde 1914 fertiggestellt. Zusätzlich trat Landauer ab 1911 im Zuge der „Zweiten Marokkokrise“ als Mahner vor einem großen europäischen Krieg auf. Um einen solchen zu verhindern, schlug er einen Generalstreik vor, nannte ihn aber „freien Arbeitertag“. Zwar hielt er diesen nicht für das entscheidende Mittel, um die Revolution herbeizuführen, jedoch um den aufziehenden Krieg abzuwenden.

„In der ganzen Naturgeschichte kenne ich kein ekelhafteres Lebewesen als die Sozialdemokratische Partei“

Die allgemeine Kriegsbegeisterung, die auch unter Freunden Landauers verbreitet war, machte ihm schwer zu schaffen, woraufhin er sich von der Außenwelt völlig abkapselte. Die Novemberevolution 1918 und seine Berufung durch Kurt Eisner nach München erweckten in ihm die Hoffnung, seinen Traum von einer neuen, besseren Gesellschaft doch noch umsetzen zu können. Er hoffte, dass die Schrecken und die Not des Krieges eine Bewusstseinsveränderung in den Menschen angestoßen, und die Revolution den Weg für die notwendige spirituelle Umkehr des deutschen Volkes geebnet hätten. Dort anzusetzen war Landauers Ziel, als ihn Eisner bat „an der Umbildung der Seelen mitzuarbeiten“. Doch schon bald musste er einsehen, dass eine geistliche Umwandlung in den Köpfen nicht stattgefunden hatte.

Neben der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung Bayerns und setzte Landauer sich vehement für einen Zusammenschluss von basisdemokratisch organisierten, autonomen Republiken in ganz Deutschland ein. Dabei sprach er sich deutlich gegen die neue Zentralregierung in Berlin und die Wahlen zur Nationalversammlung aus und warnte ausdrücklich vor einer neuen Diktatur, die daraus entstehen würde. Nach dem Mord an Eisner am 21. Februar 1919 kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen dem Rätekongress und dem neugewählten Landtag. Das Kabinett um Johannes Hoffmann (SPD) wurde zwar in Bayern allgemein als Regierung anerkannt, nicht aber in München. Am 7. April, Landauers 49. Geburtstag, wurde die Räterepublik unter Zustimmung der SPD ausgerufen und er bekam den Posten des Volksbeauftragten für Volksbildung zugesprochen. Nach nur sechs Tagen kam es zum Putschversuch von reaktionären Kräften. Die Kommunisten übernahmen die Führung und Landauer zog sich enttäuscht zurück. Am 1. Mai zogen auf Befehl Gustav Noskes (SPD) Reichswehr- und Freikorpsverbände in München ein und besiegelten das Ende der Räterepublik. Gustav Landauer wurde im Haus der Witwe Eisners festgenommen und einen Tag später zunächst schwer misshandelt und schließlich erschossen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Florian Sachse

ist Zeithistoriker und freier Journalist. Lebt und arbeitet in Berlin

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