»Kommt Schwimmen« Das Seebad Mariendorf

Ausstellung Das Tempelhof Museum zeigt die wechselvolle Geschichte eines untergegangenen Schwimmbades und erzählt gleichzeitig deutsche Geschichte aus der Mikroperspektive

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Der Begriff Seebad weckt unwillkürlich Urlaubsgefühle in uns. Der Berliner Ortsteil Mariendorf liegt zwar weder an der Nord- noch an der Ostsee – dennoch war das dortige Seebad über Jahrzehnte ein Anziehungspunkt für Groß und Klein. Ende der 1920er-Jahre galt es als die »größte und schönste Sportbadeanstalt von Groß-Berlin« mit bis zu 4000 Gästen täglich. Aber nicht nur Schwimmbegeisterte kamen hier auf ihre Kosten: Das Bad war ein beliebtes Ausflugsziel und hatte neben einem Restaurant und regelmäßigen Konzerten auch als Naturidyll mit Parkanlage, Seeterrassen und Wasserfall einiges zu bieten. Zeitweilig war es darüber hinaus eine der relevantesten Wettkampfstätten für den deutschen Schwimmsport. Davon zeugen die deutschen Meisterschaften 1911 sowie die Ausscheidungswettkämpfe für die Olympischen Spiele 1912, die in Mariendorf ausgerichtet wurden.

Die Geschichte der Badeanstalt ist untrennbar mit der Geschichte der jüdischen Gründerfamilie Lewissohn verbunden. Unermüdlich trieb der 20-jährige Adolf Lewissohn seit 1872 den Ausbau des Grundstückes voran. Nach der Eröffnung 1876 erweiterte er beinahe jährlich die Anlage. Zur Finanzierung musste der Besitzer der Badeanstalt neue Geschäftsfelder erschließen. Im Winter nutzte er seine Wasserflächen, um Natureis zu ernten, das er an die Berliner Brauereien verkaufte. Er war außerdem als Grundstücksmakler erfolgreich. Zu seinen Verdiensten zählt u.a. die Ansiedlung der Mariendorfer Gasanstalt, die ihrer Zeit die größte in und um Berlin war und zudem als wichtigster Steuerzahler für den Ort galt. Und auch der erste Tempelhofer Bürgermeister Friedrich Mussehl sowie der „Vater des Teltowkanals“, der Landrat Ernst von Stubenrauch, holten sich regelmäßig den Rat von Adolf Lewissohn und schätzten dessen Expertise.

Nach dem Ersten Weltkrieg prägten vor allem finanzielle Schwierigkeiten die Geschichte des Seebades, doch Mitte der 1920er-Jahre florierte der Betrieb wieder. Allerdings sollten die glänzenden Zeiten nicht von Dauer sein. Die Weltwirtschaftskrise 1929 sowie der zunehmende Antisemitismus sorgten für einen schleichenden Niedergang der Anlage. Nach dem Tod des Gründers übernahm seine Tochter Helene Lewissohn die Leitung. Schon bald sah sie sich öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt. Die Gästezahl nahm rapide ab und es häuften sich Steuerschulden und unbezahlte Rechnungen. 1934 stellten die Nationalsozialisten das Unternehmen unter Zwangsverwaltung und ein Jahr später musste ein Teil des Grundstücks erheblich unter Wert verkauft werden. Der andere Teil wurde schließlich 1939 zwangsversteigert. Helene Lewissohn überlebte den Holocaust und kämpfte nach dem Ende der NS-Diktatur vergeblich um Entschädigung für den Verlust ihres Familienbesitzes. 1957 starb sie als verarmte und gebrochene Frau.

Das Seebad entsprach Ende der 1940er-Jahre nach einer Zwischennutzung als Lazarett während des Zweiten Weltkrieges nicht mehr den Anforderungen der Zeit. Zwar konnte es für ein paar Jahre notdürftig instandgesetzt werden, doch 1950 erfolgte die endgültige Schließung. In der unmittelbaren Nachkriegszeit boten die ehemaligen Säle des Wohn- und Restaurantgebäudes der Familie Lewissohn dem Bezirksamt Tempelhof einen willkommenen Zufluchtsort. In den Räumen konstituierte sich u.a. die erste Bezirksverordnetenversammlung und makaberer Weise tagte dort auch die erste Entnazifizierungskommission des Bezirks. Das Gebäude wurde Mitte der 1950er-Jahre in ein Hospital umgewandelt und in den 1980er-Jahren abgerissen. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Seniorenresidenz - an den Glanz, der einst von diesem Ort ausging, erinnert nur noch ein Teil des alten Wasserfalls.

Die Ausstellung erzählt am Beispiel des Seebades Mariendorf deutsche Geschichte von der Gründer- bis zur Nachkriegszeit. Zu sehen sind neben zahlreichen historischen Fotografien und Dokumenten auch Wandbilder der Künstlerin Friederike von Hellermann, die die lebendige und idyllische Szenerie des Seebades wieder auferstehen lassen.

Florian Sachse ist wissenschaftlicher Volontär bei den Museen Tempelhof-Schöneberg und Kurator der Ausstellung.

Dieser Text erschien zunächst gedruckt in leicht veränderter Form im Museumsjournal 3-2021.

»›Kommt schwimmen‹. Das Seebad Mariendorf 1876 bis 1950«

Noch bis zum 10. Oktober

Tempelhof Museum

Alt-Mariendorf 43
12107 Berlin

Mo - Do 10 - 18 Uhr
Fr 10 - 14 Uhr
So 11 - 15 Uhr

museen-tempelhof-schoeneberg.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Florian Sachse

ist Zeithistoriker und freier Journalist. Lebt und arbeitet in Berlin

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