Von wegen westliche Werte

Pressefreiheit Der aktuelle Bericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) zeigt deutlich, wie widersprüchlich das Gebaren des Westens ist

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Von wegen westliche Werte

Bild: Reporter ohne Grenzen

Sie gilt als eines der wesentlichen Merkmale einer Demokratie – die Pressefreiheit. Neben der Exekutive, der Legislative und der Judikative werden die Medien auch gerne als die vierte Gewalt bezeichnet. Sie soll ein politisches Kontrollorgan sein, das bei der demokratischen Willensbildung eine tragende Rolle spielt und einen essenziellen Bestandteil der freien Meinungsäußerung ausmacht. Dass die sogenannten westlichen Werte gerne mit zweierlei Maß gemessen werden, ist dabei nichts Neues. Da, wo sie verteidigt werden sollen, werden in ihrem Namen Verbrechen begangen, für die sich jeder Anhänger dieser angeblichen Wertegemeinschaft schämen müsste.

Wie die am 25. April 2018 veröffentlichte „Rangliste der Pressefreiheit 2018“ von ROG, in der 180 Länder erfasst worden, belegt, steht es nicht gut um die freie Gestaltungsmöglichkeit für Medien im „Zentrum der westlichen Welt“. Laut dem Bericht, stellt der europäische Kontinent die Region der Erde dar, in der sich die Lage für JournalistInnen weltweit am erheblichsten verschlechtert hat. Zurückführen lässt sich dieser Zustand insbesondere auf autoritäre Regierungsformen und den repressiven Umgang mit der Presse in den betroffenen Ländern. Der Rangliste zufolge ist die Pressefreiheit im Vergleich zum Vorjahr in Malta (Rang 65, -18), Tschechien (34, -11), der Slowakei (27, -10) und Serbien (76, -10) am rückläufigsten. Alle vier Länder liegen in Europa, die ersten drei sind sogar EU-Mitglieder. Neben den deutlichen Absteigern, sind auch die Platzierungen weiterer EU-Staaten besorgniserregend. Polen rutschte vier Plätze auf Rang 58 ab, Ungarn zwei Plätze auf Rang 73. Auch Frankreich rangiert nur auf Platz 33, konnte sich jedoch um sechs Plätze verbessern. Deutschland konnte einen Rang nach oben auf Platz 15 klettern. Allerdings wird in Bezug auf die Bundesrepublik insbesondere das repressive Verhalten gegenüber JournalistInnen um den G-20 Gipfel, sowie das 2017 erlassene BND-Gesetz kritisiert. Großbritannien landet unverändert auf Platz 40, dicht gefolgt von den USA (Platz 45). Erwähnenswert erscheint auch die weiterhin äußerst kritische Lage beim NATO-Mitglied Türkei (157, -2). Laut ROG gibt es in keinem anderen Land mehr inhaftierte JournalistInnen als in Erdogans Scheindemokratie.

Die Vorstandssprecherin von ROG Katja Gloger kommentierte den Bericht folgendermaßen: „Demokratien leben von öffentlicher Debatte und Kritik. Wer gegen unbequeme Journalistinnen und Journalisten polemisiert oder gar hetzt und die Glaubwürdigkeit der Medien pauschal in Zweifel zieht, zerstört bewusst die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft.“ Weiter heißt es: „Hass und Verachtung gegen Journalistinnen und Journalisten zu schüren, ist in Zeiten des Vormarschs populistischer Kräfte ein Spiel mit dem Feuer. Leider erleben wir das zunehmend auch in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.“ Zumindest zeigt der Bericht auch, dass nicht alle europäischen Staaten diesem Trend folgen: Die ersten drei Plätze belegen Norwegen (1, 0), Schweden (2, 0) und die Niederlande (3, +2).

Dennoch sollte uns das Gesamtergebnis nachdenklich stimmen. Repression, Rechtspopulismus und autoritäre Regierungen sind in Europa auf dem Vormarsch. Ein Faktum, welches nicht außer Acht gelassen werden sollte, wenn Politiker mal wieder die Moralkodexkeule schwingen und dabei vergessen, dass auch vor der eigenen Haustür die Demokratie erheblich zu bröckeln beginnt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Florian Sachse

ist Zeithistoriker und freier Journalist. Lebt und arbeitet in Berlin

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