Vom Maidan an die Front

Ultras Ukraine Ein Artikel von Ralf Heck über die Ultrabewegung in der Ukraine

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Bei dem vorliegenden Artikel Ukraine: Vom Maidan an die Front handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer ausführlichen Studie mit dem Titel Zwischen Eigentor und Aufstand – Ultras in den gegenwärtigen Revolten aus der kürzlich erschienenen vierten Ausgabe der Zeitschrift Kosmoprolet. Einzelexemplare können für 5€ hier bestellt werden.

Das Vermögen, in der Revolte aufzugehen, zeigten auch die organisierten Fußballfans in der Ukraine – wobei die dortige Revolte kaum Anlass zum Optimismus gibt. Auch wenn ihr Auslöser die Wut auf ein immer autoritärer und korrupter agierendes Regime war, schien sie vor allem vom Wunsch nach einer starken Nation getrieben zu sein.1 Mit großer Wahrscheinlichkeit steht am Ende eine weitere Abschleifung des Sozialstaates durch eine EU-freundliche Regierung, verbunden mit fortdauernd bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Osten des Landes. Dass trotz Massenarmut und Oligarchenmacht praktisch keine sozialen Forderungen laut wurden, dürfte den neuen Machthabern die angesichts des drohenden Staatsbankrotts unausweichlichen Sozialkürzungen erheblich erleichtern. Auf die vermeintliche Freiheit, die sich mit dem Sturz Janukowitschs durchsetzte, folgt nun die Austerität.

Im Gegensatz zu Çarşı und den relativ antiautoritären Ultragruppen in Nordafrika gehören unter Ultras im Osten Europas faschistische Symbole und ein offen zur Schau gestellter Antisemitismus ebenso zum guten Ton wie heftigste Prügeleien. Ultras des Vereins Dynamo Kiew, aber auch die Ultra-Gruppe Banderstadt2 von Karpaty Lwiw, einem bis in die höchsten Führungsgremien hinein rechtsextremen Verein3, kontrollierten in der Vergangenheit die Tickets an den Eingängen der Stadien, um sicherzustellen, dass nur »weiße« Ukrainer hineingelangen, Feindseligkeit gegenüber Tartaren, Nationalismus und slawischer »Rassenstolz« sind keine Seltenheit.4 Einem Aufruf der Swoboda-Partei in Lviv gegen die »Überfremdung« der ukrainischen Liga folgten 5.000 Fans – unter großer Beteiligung der dortigen Ultras. Dies ist auch ein Indiz dafür, dass sich hinter der Parole »Gegen den modernen Fußball« und den »Fuck off Euro 2012«-Bannern der ukrainischen Ultra-Szene im Vorfeld der Europameisterschaften, die gemeinsam von der Ukraine und Polen ausgetragen wurden, auch viele regressive Momente finden lassen. Eine Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports und der persönlichen Bereicherung von korrupten Verbandsfunktionären ist durchaus kompatibel mit rechtem Gedankengut. Die Entwicklungen im Fußball werden als Konspiration des internationalen Finanzkapitals interpretiert, der man eine Re-Regionalisierung und Re-Nationalisierung entgegensetzen müsse sowie eine völkische Identität fernab des »Multikulti-Diktats« von UEFA und FIFA. Abgesehen von den Fans des (mittlerweile insolventen) Vereins Arsenal Kiew5, die sich antifaschistisch positionierten und während der Saison inner- wie außerhalb der Stadien oftmals heftiger Angriffe erwehren mussten, scheint sich die dortige Fanszene eher in den Schattierungen des Rechtsseins zu unterscheiden, was allerdings nicht bedeutet, dass alle Ultras über ein stramm faschistisches Bewusstsein verfügen. Obwohl es vielerorts Sympathien für den Rechten Sektor und die Swoboda-Partei, zum Teil auch personelle Überschneidungen und Zusammenarbeit mit ihnen gibt, handelt es sich bei den Ultras um eigenständige Gruppen, auch wenn die taz verschwörungstheoretisch davon ausgeht, dass »diese Leute von irgendjemandem gesteuert (werden): Die Aggressivität von Fußballfans, die sich da auf dem politischem Feld entlädt, ist für die Ultras eine Entscheidung, die sie kaum selbstständig getroffen haben dürften.«6

Die ukrainischen Ultras stehen eher rechts, sie sind autoritärer und bandenmäßiger organisiert als in anderen Ländern und erinnern in ihrer sozialen Zusammensetzung eher an die Hooligans. Dennoch eint sie (neben dem Hass auf die Ordnungskräfte) etwas mit den Fußballfreunden aus der Türkei und Nordafrika. Im Augenblick des Aufstandes schlossen 34 Ultragruppen aus den drei ersten Ligen ein Friedensabkommen, das gegenseitige Angriffe und Beleidigungen auf unbestimmte Zeit aussetzte, um sich gemeinsam am »Widerstand« zu beteiligen.7 Die ehemals verfeindeten Gruppierungen fanden sich auf der gleichen Seite der Barrikade zusammen und erklärten kurze Zeit später in einem gemeinsamen Aufruf, nicht für einen Anschluss an Europa oder »für Julia, Vitali, Arseniy oder Oleh, nicht gegen Russland und die Russen« auf die Straße zu gehen, sondern »für die Kiewer, für unsere Stadt, für unser Land, für unsere Ehre!«. Mag die Beteiligung der Ultras aus dem westukrainischen Kiew und Lviv an den Maidan-Protesten keine große Überraschung sein, so ist es erstaunlich, dass sich auch die Gruppen im Osten und Südosten des Landes sowie auf der Krim, ob russisch- oder ukrainischsprachig, hinter den Aufruf stellten. Hinter der Botschaft, nicht im Dienste eines der Oppositionspolitiker zu stehen, und der Haltung zu Russland, die einen Kontrast zu den faschistischen und russophob ausgerichteten Parteien bildet, verbirgt sich ein kleinster gemeinsamer Nenner der diversen Strömungen innerhalb der Ultra-Szene: das bedingungslose Eintreten für die nationale Unabhängigkeit. Während des Aufstands schützten sie Demonstranten vor regimetreuen Schlägerbanden, und es ist fraglich, ob der relativ schnelle Sturz Janukowitschs auch ohne ihre Beteiligung vonstattengegangen wäre. Sicherlich waren die massiven Übergriffe der Polizei auf die Demonstranten der Auslöser, auf den Maidan zu strömen und gemeinsam gegen die Sicherheitskräfte vorzugehen. Sehr schnell wurden die Proteste jedoch von einem vehementen Nationalismus dominiert, den die Ultras mit ihrem Geschwätz von »unserem Land« und »unserer Ehre« selbst befeuerten. Entsprechend gibt es keinen Grund, sich Illusionen über einen emanzipativen Charakter ihres Treibens zu machen. Ein Sprecher der Ultras von Dynamo Kiew erklärte denn auch, dass sich einige ihrer Mitglieder dem Rechten Sektor und anderen »Selbstverteidigungsgruppen« angeschlossen hätten.8 Und während die Gefolgschaft für Politiker in dem Ultra-Aufruf noch abgelehnt worden war, flankierten diese Gruppen während des Aufstands nun die Interessen genau jener Politiker und wachten streng darüber, dass keine sozialkritischen, die nationale Einheit gefährdenden Slogans verbreitet wurden. Linke und anarchistische Aktivisten wurden mit dem Vorwurf vom Maidan verdrängt, sie wollten die Proteste für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren. Auch an dem für zahlreiche Menschen tödlichen Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, in dem sich Anti-Maidan-Aktivisten verbarrikadiert hatten, waren viele Ultras beteiligt. Die Transparente in den Stadien, die seit dem Sturz des Regimes in den Stadien flattern, verheißen ebenso nichts Gutes. Kein Wort über die soziale Misere, stattdessen: Freiheit oder Tod, Krim ist Ukraine und Ukraine über Alles. Einige Fußballfans setzen dies auch praktisch in die Tat um und organisieren gegenwärtig die nationale Mobilmachung in einem der zahlreichen Rekrutierungszentren des Landes. Andere befinden sich schon an der Front im Osten9 in Donezk, wo sie sich unter anderem mit serbischen, auf der russischen Seite kämpfenden Hooligans auf dem wirklichen Schlachtfeld fernab der Fußballplätze blutig duellieren.

1 Keinesfalls soll hier der russische Nationalismus samt seiner Expansionsgelüste verharmlost werden. Wir lehnen ihn genauso strikt ab wie den ukrainischen, aber er ist an dieser Stelle nicht unser Thema.

2 Benannt nach Stepan Bandera, ukrainischer Nationalist, Antisemit und Nazi-Kollaborateur.

3 Als das Stadion des Vereins bis 2018 für Länderspiele gesperrt wurde, weil auf den Zuschauerrängen nationalistische Symbole gezeigt wurden, erklärte der Verein, dass er fortan auswärts in Rot-Schwarz (den Farben der Faschisten) auflaufen werde: »Unser Club wird sich niemals und unter keinen Umständen von dem lossagen, worauf unsere Großväter und Väter stolz waren. Ehre den Helden.«

4 Vgl. Olaf Sundermeyer, Tor zum Osten: Besuch in einer wilden Fußballwelt, Göttingen 2012.

5 Diese Gruppierung ist allerdings mit ihren maximal 150 Anhängern sehr klein.

6 Die größte Gefahr lauert in der Provinz, die tageszeitung, 27.1.2014.

7 Vgl. David McArdle/Manuel Veth, Ukrainian Ultras and the Unorthodox Revolution, online abrufbar unter: futbolgrad.com.

8 Revolution in der Ukraine: Interview mit Ultras Dynamo Kiew, Blickfang Ultra 20 (2014).

9 So auch die Ultras von Arsenal Kiew. Vgl. Daniel Ryser/Philipp Natzke, Krieger in coolen Turnschuhen, WOZ, 2.10.2014.

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Geschrieben von

footballuprising

Von Ralf Heck (twitter.com/Ralf__Heck). Aktueller Artikel: Die italienische Liga ist längst nicht mehr die schönste der Welt (NZZ am Sonntag 27.01.)

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