Stellvertretend für sprachanalytische Ansätze gehe ich von der Pragmatischen Maxime von Charles
S. Peirce aus: Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben können,
wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff
dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.
Aussagen über einen Gott jenseits menschlicher Erfahrung sind sinnlos.
Seiendes existiert, Gott existiert nicht.
Die Anerkennung atheistischer Interpretationen christlicher Tradition kann innerhalb der Kirchen zu
einem freieren Glauben führen, ohne Verklausulierungen, Verschweigen oder offene Konfrontation
zu philosophischen Traditionen seit der Aufklärung.
Das Interesse am Christentum als lebendigem kulturellem Erbe wird dann nicht durch eine für
überholt gehaltene Metaphysik behindert. Es kann über die Kirchen hinaus verstärkt Motivation für
Handeln bieten, und die Verständigung auf gemeinsame Werte wird erleichtert.
Der interreligiöse Dialog wird von der Belastung des Absolutheitsanspruchs einer vom Sohn Gottes
gestifteten Religion befreit.
Die Idee der Menschwerdung Gottes betont die Diesseitigkeit und den praktisch-ethischen Sinn des
Christentums: Die Faszination von einem Propheten, einem Menschen, der Orientierung und Leitbild ist.
Praktischer Kern eines theistischen wie atheistischen Christentums sind Glaube, Hoffnung und
Liebe.
Von Gott reden heißt über kollektive Erfahrungen reden, über das, was einer Gemeinschaft heilig
ist, über ein Grundverständnis von Wirklichkeit (“das Sein”), über Werte.
Offenbarung heißt Sanktionierung dieser Aussagen und Erzählungen. Ihr Inhalt hängt damit auch
von der Verteilung von Macht ab.
Ziel einer atheistischen Interpretation ist nicht Auswahl noch sinnvoll erscheinender
Überzeugungen, sondern die Herausforderung durch die Gesamtheit christlicher Tradition, die in
konsequentem Erfahrungsbezug neu verstanden wird.
Ob einfach die grundsätzliche Beschränktheit menschlicher Erkenntnis anerkannt wird oder das
bleibende Geheimnis von Wirklichkeit mit dem Namen Gott bezeichnet wird, wird in diesem Sinn
ununterscheidbar.
Reden von Gott kann nicht aufheben, dass Wahrheit subjektiv ist, obwohl eine erstaunliche
theoretische Übereinstimmung über das Gute besteht.
Theologie des Kreuzes heißt auch Anerkennung dieser Schwäche. Eine offene, gerechte
Gesellschaft lässt sich aufbauen durch geduldiges Beobachten von Verhaltensweisen und Strukturen
auch ihrer Feinde sowie durch gemeinsame Aktion. 1
Zentraler Inhalt christlichen Glaubens bleibt die Auseinandersetzung mit Leiden. Die
Theodizeefrage kann jedoch nicht objektivistisch gestellt werden, als Paradox eines freien,
allmächtigen und gütigen Gottes, der seit Menschengedenken unermessliche Grausamkeiten zulässt.
Ein solcher Gott ist seit Auschwitz tot.
Ein Verständnis von Gebet im Sinn einer wirksamen, frei beantworteten Bitte an Gott ist nicht
haltbar, sinnvoll können aber Interpretationen sein wie “Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet
der Seele” (Malebranche).
Vielen genügen säkulare Kultur und Kommunikation als religiöse Erfahrung. Explizitere
Erfahrungen können Meditation, Ritual, Gottesdienst, Musik oder Tanz vermitteln.
Erfahrungsbezug von Glaubensaussagen bedeutet Anerkennung ihrer Geschichtlichkeit.
Transzendenz bedeutet Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit des Bestehenden. Alttestamentliche
Propheten oder Psalmen halten fest, dass nur Gott, nicht der König heilig ist.
Ein “immanentes” Kriterium zur Unterscheidung von Wahrheit, Irrtum und Lüge ist das
Konsensprinzip. Es legt innerkirchliche Demokratie nahe. Welche Rolle Hierarchie und traditionelle
Festlegungen (Dogmen) als Korrektiv, zur Wahrung von Kontinuität und Zusammenhalt spielen
können, muss – zumindest in der katholischen und orthodoxen Kirche – neu ausgehandelt werden.
Ohne Bezug auf eine religiöse Sonderwelt lässt sich auch der Sonderweg des Zölibats kaum als
verpflichtend halten.
Der Blick auf die Geschichte und das Konsensprinzip führen zum Abschied von der Priesterweihe
nur für Männer, von einer Abwertung von Homosexualität, vom weitgehenden Verbot von
Empfängnisverhütung und von naturrechtlichen Begründungen in der Ethik allgemein.
Fundamentalistischer, autoritätshöriger Glaube ist persönlich unterdrückend und eine Gefahr für
den gesellschaftlichen und internationalen Frieden (auch in “charismatischer” Spielart). Wörtliche
Bibelinterpretation führt zu Absurditäten wie der Ablehnung des Evolutionsprinzips und zu
gesellschaftlicher Intoleranz. Jegliche Form christlicher Überheblichkeit muss bekämpft werden,
insbesondere wenn sie sich mit rassistischer Ausgrenzung verbindet.
....................
1 Formulierung vgl. Karl Popper, The Open Society and its Ennemies, 1945.
Kommentare 6
Aussagen über einen Gott jenseits menschlicher Erfahrung sind sinnlos. Seiendes existiert, Gott existiert nicht.
Eine Aussage, die mir sehr sympathisch ist. Aus gesetzesreligiöser Sicht verwerfen Sie damit allerdings ein Fundamentalaxiom und öffnen nebenbei Tür und Tor für poly- und pantheistische, vor allem aber für möglicherweise immanente Gottheiten. Was mir auch sehr sympathisch ist, Ihnen aber kaum die Sympathien von Gläubigen einbringen wird, da Gläubigkeit m.E. immer auch den Glauben an die Gültigkeit einer Auslegungstradition impliziert.
Der interreligiöse Dialog wird von der Belastung des Absolutheitsanspruchs einer vom Sohn Gottes
gestifteten Religion befreit.
Die Frage lautet, ob das nicht dem Sicherheitsbedürfnis entgegenwirkt, das durch eine absolute Wahrheit denen erfüllt wird, die das sacrificio intellectu begehen.
Die Idee der Menschwerdung Gottes betont die Diesseitigkeit und den praktisch-ethischen Sinn des Christentums: Die Faszination von einem Propheten, einem Menschen, der Orientierung und Leitbild ist.
Man erhebt Menschen immer nur auf eigenes Risiko und zum eigenen Schaden zu (s)einem Idol. Das betrifft auch alle Gottessöhne und -töchter.
Praktischer Kern eines theistischen wie atheistischen Christentums sind Glaube, Hoffnung und Liebe.
Theorie. Praktischer Kern ist die gelebte Praxis.
Von Gott reden heißt über kollektive Erfahrungen reden, über das, was einer Gemeinschaft heilig ist, über ein Grundverständnis von Wirklichkeit (“das Sein”), über Werte.
Die Nagelprobe ist nicht die Verständigung über gemeinsame Werte sondern die Frage, wie es mit denen gehalten wird, die diese Werte nicht teilen, ohne deswegen Feind zu sein. Davon abgesehen: Über Gott reden, heißt gerade nicht, über Erfahrungen zu reden (was übrigens in Ihrer Aussage weiter oben implizit enthalten ist, derzufolge Gott nicht existiert).
Ziel einer atheistischen Interpretation ist nicht Auswahl noch sinnvoll erscheinender Überzeugungen, sondern die Herausforderung durch die Gesamtheit christlicher Tradition, die in konsequentem Erfahrungsbezug neu verstanden wird.
Kann man so sehen, ja. Wenn aber die Gesamtheit christlicher Tradition als sinnentleert empfunden wird, erübrigt sich das. Wieder die Frage: Was machen wir mit denen, bei denen das der Fall ist?
... obwohl eine erstaunliche
theoretische Übereinstimmung über das Gute besteht
Ist das so? Ernsthaft, ich bezweifele es. Innerhalb einer Interessengemeinschaft mag dieser Konsens gegeben sein, zwischen unterschiedlichen Interessengemeinschaften kaum. Darüber hinaus wäre zu bedenken, ob die gut-böse-Dichotomie menschlicher Verhaltensweisen nicht im Ursprung all der Bösartigkeit liegt, die Menschen sich im Umgang miteinander so erlauben. Integrale Psychen bedienen weder plakative Forderungen nach Güte noch nach Bösartigkeit, sie sind als integrale Psychen etwas ganz anderes.
Eine offene, gerechte Gesellschaft lässt sich aufbauen durch geduldiges Beobachten von Verhaltensweisen und Strukturen
auch ihrer Feinde sowie durch gemeinsame Aktion.
Theorie. Reine Theorie.
Die Theodizeefrage kann jedoch nicht objektivistisch gestellt werden, als Paradox eines freien, allmächtigen und gütigen Gottes, der seit Menschengedenken unermessliche Grausamkeiten zulässt.
Ein solcher Gott ist seit Auschwitz tot.
Warum nicht? Das wäre doch mal spannend, die Frage endlich aus den Fängen des Paradoxons zu befreien, oder nicht? Und das einzige, was dafür notwendig ist, betrifft die Preisgabe oder Modifikation von Zuschreibungen wie "gütig" oder "allmächtig". Möglicherweise ist er noch nicht mal frei.
Der allmächtig/gütige Gott vor Auschwitz ist nicht tot, er hat nie gelebt. Er besetzte selbst innerhalb der Fiktion "Gott" noch mal eine eigene Stufe erhöhter Fiktionalität. Oder wie hätten die Amalekiter den gütigen Gott der Israeliten lobpreisen sollen, oder die Einwohner von Jericho oder von Sodom und anderen phönizischen Siedlungen?
“Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele” (Malebranche).
!!!!!
Transzendenz bedeutet Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit des Bestehenden.
Mag sein. Andererseits beweist die Sehnsucht nach einer Sache nicht die Existenz dieser Sache. "Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit des Bestehenden" mag auch Hinweis auf notwendige Arbeit sein, die zu leisten ist.
Ein “immanentes” Kriterium zur Unterscheidung von Wahrheit, Irrtum und Lüge ist das Konsensprinzip.
Sorry, ehe ich das glaube, geht die Welt unter. Das Konsensprinzip schafft Konventionen, die möglicherweise dazu geeignet sind, im Sinne sozialer Gerechtigkeit zu wirken. Mit "Wahrheit" hat das nicht das Geringste zu tun.
Der Blick auf die Geschichte und das Konsensprinzip führen zum Abschied von ...
Nein, tut er nicht. Die aufgelisteten Sachverhalte stellen einen Konsens nach Kirchenrecht dar. Das Konsensprinzip führt also nur zu deren Abschied, wenn der Konsens geändert wird. Dafür, dass dies von ernstzunehmenden Machtfaktoren innerhalb der RKK nachdrücklich betrieben wird, gibt es keinen Beleg. Tatsächlich leisten erhebliche Teile der Kurie entsprechenden Ambitionen des derzeitigen Papstes massiven Widerstand.
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Schöne Ideen, einen Tick zu optimistisch^^
Hallo Lethe,
danke für den ausführlichen Kommentar. Hier erst mal nur zwei Erklärungen:
Über Gott reden, heißt gerade nicht, über Erfahrungen zu reden (was übrigens in Ihrer Aussage weiter oben implizit enthalten ist, derzufolge Gott nicht existiert).
Ich meine nicht Aussagen über Gott als ein jenseitiges Wesen, sondern Aussagen mit dem Begriff "Gott" als Subjekt, die Grundstrukturen von Erfahrung beschreiben (die immer interpretiert ist). Kann man also auch ohne "Gott" formulieren. So drückt "Gott ist gütig" ein Vertrauen in die Wirklichkeit aus, das immerhin durch einige Erfahrungen gedeckt ist. Das Beispiel des Gewaltverzichts Jesu bei der Bedrohung seines Lebens kann helfen, Schwierigkeiten, Leiden auszuhalten - und sich zu wehren und mit anderen solidarisch zu sein.
Das Konsensprinzip schafft Konventionen, die möglicherweise dazu geeignet sind, im Sinne sozialer Gerechtigkeit zu wirken. Mit "Wahrheit" hat das nicht das Geringste zu tun.
Beim Konsensprinzip denke ich zunächst an wissenschaftliche Wahrheit. Die ist - wie gesellschaftliche Konventionen - nicht unabänderlich und hängt vom vorgegebenen Theorierahmen ab. Wenn sie einzelnen Erfahrungen nicht widerspricht, ist es die derzeit bestmögliche Wahrheit.
Ethische Wahrheit hängt immer von letztlich nicht zu begründenden Prämissen ab. Aber wenn man z.B. Überwindung von Armut als gemeinsames Ziel hat, kann man durchaus konstruktiv darüber streiten, ob Wirtschaftswachstum durch Steuersenkung oder Umverteilung der bessere Weg sind. Wenn die Erfahrungen aller gleichrangig sind, weiß ich auch, wie die Antwort ausfällt...
Und auch in der katholischen Kirche muss nicht nur der Konsens der Kirchenrechtler zählen, sondern der aller.
@ Lethe:
"Gültigkeit einer Auslegungstradition": Auch mit einer "integralen Psyche" kann man eine (kirchliche) Tradition als Heimat schätzen. Wird sie aber nicht abgrenzend objektivieren als in direkter oder subtiler Form vom Himmel gefallener Wille Gottes.
Ein weiteres Beispiel für eine auf mögliche Erfahrung, auf eine praktische Einstellung bezogene Aussage über Gott:
"Doch er, der im Himmel thront, lacht, der Herr verspottet sie." (Psalm 2,4)
Also Reden von Gott als Grundverständnis von Wirklichkeit, Ausdruck eines Werturteils. Ist in meinem Beitrag "Trump, die NPD und Mahler auch für Atheisten" erläutert, der eine Anwendung der Bemerkungen hier darstellt.
Aussagen mit dem Begriff "Gott" als Subjekt, die Grundstrukturen von Erfahrung beschreiben
Ja, natürlich kann man das machen. Die Frage ist nur, warum sollte ein - theoretisch - emanzipiertes Wesen wie ein aufgeklärter Mensch seine Erfahrungen über einen quasi-externalisierten Zugriff verarbeiten? Was bringt es mir, meine Erfahrungswelten als Ausfluss göttlicher Erfahrung umzudeuten, wo doch nirgends in diesen Erfahrungen Gott sichtbar wurde?
So drückt "Gott ist gütig" ein Vertrauen in die Wirklichkeit aus, das immerhin durch einige Erfahrungen gedeckt ist.
Ein Schmerz zerstört 1000 Freuden. Eine Freude bleibt gegenüber 1000 Schmerzen beteutungslos. "Einige" Erfahrungen ändern nichts an der Leidensintensität, die von Wirklichkeit auferlegt wird.
Das Beispiel des Gewaltverzichts Jesu bei der Bedrohung seines Lebens kann helfen, Schwierigkeiten, Leiden auszuhalten - und sich zu wehren und mit anderen solidarisch zu sein.
Das "sich wehren" entnehmen Sie aber nicht den Darstellungen des Martyriums bei den Evangelisten, das ist spätere Re-Interpretation, als klar wurde, dass das Hinhalten der anderen Backe verdammt schmerzhaft ist. Davon abgesehen wird der Gewaltverzicht etwas relativiert durch die Gewalt anlässlich der "Tempelreinigung", ganz zu schweigen, was Jesus in den Apokryphen so alles treibt. Und ganz generell ist "Leiden auszuhalten" eine etwas fragliche Empfehlung - oder würden Sie einem Auschwitz-Opfer geraten haben, sein "Leiden auszuhalten"? Ich nehme das nicht an, trotzdem wäre es wünschenswert, mit derartigen Formulierungen etwas vorsichtiger zu sein.
Der springende Punkt ist, es bleibt ein Abwägungsprozess, wann Gegenwehr und wann Akzeptanz förderlich ist, und keine der beiden Maßnahmen kann pauschal empfohlen oder diskreditiert werden.
Aber wenn man z.B. Überwindung von Armut als gemeinsames Ziel hat ...
Und wenn man dieses Ziel nicht als gemeinsames Ziel hat? Wenn die Welt z.B. von Sonntagsreden auch an Werktagen wimmelt, die dergleichen Ziele propagieren, aber 90 Prozent aller realen Aktivitäten diese menschenfreundlichen Ziele mit Füßen treten? Auch seitens Christen und Atheisten? Was dann?
Und auch in der katholischen Kirche muss nicht nur der Konsens der Kirchenrechtler zählen, sondern der aller.
Müssen? Nein, müssen nicht, in der Tat. Aber die Realität ist die, dass Kirchenrecht vom Kirchenrechtler kommt, und der sitzt in der Kurie, nicht im Laiengremium. Und wenn Sie sich die Situation außerhalb Deutschlands anschauen, ist die RKK auch nicht annähernd so aufgeklärt demokratisch, wie sie sich in Deutschland den Anschein gibt. So wenig letzteres auch der Fall sein mag, da geht woanders noch viel weniger^^
Auch mit einer "integralen Psyche" kann man eine (kirchliche) Tradition als Heimat schätzen.
Mag sein. Der Regelfall wird es nicht sein, denn es hieße, der gerade erst entronnenen Dichotomie abermals den Status von Bedeutsamkeit einzuräumen.
auf eine praktische Einstellung bezogene Aussage über Gott:
"Doch er, der im Himmel thront, lacht, der Herr verspottet sie." (Psalm 2,4)
Nur dass diese Aussage, als eine Aussage über Gott, falsch ist. Es ist ein Mensch, der lacht.
Die Frage ist nur, warum sollte ein - theoretisch - emanzipiertes Wesen wie ein aufgeklärter Mensch seine Erfahrungen über einen quasi-externalisierten Zugriff verarbeiten?
Von sollen rede ich schon mal gar nicht. Mir geht es - wie vielen in und außerhalb der Kirchen auch - nur um ein neues Verständnis christlicher Tradition, falls man eine Beziehung dazu hat. Aber sie ist nun mal wichtiger Teil unserer Geschichte in Europa. Ihre Energie kann man nutzen, wenn man - z.B. - die autoritären Fallen und Gewaltexzesse kritisiert hat.
Es ist dann ein rein symbolischer (Symbol für mögliche Erfahrungen, nicht für etwas die an Tatsachen gebundene Erkenntnis Übersteigendes), poetischer Gebrauch theologischer Begriffe. Selbst dann habe ich persönlich auch Schwierigkeiten mit traditionellen Formulierungen. Liturgie und Gebet z.B. sind "Hardcore", da an einen personalisierten Gott gerichtet.
In die Diskussion um Gewaltverzicht und Leiden möchte ich hier nicht näher einsteigen. Da sind Worte - wie Sie richtig bemerken - oft missverständlich, können zynisch wirken. Schon im Titel "Widerstand und Ergebung" geben Dietrich Bonhoeffers Briefe aus dem Gefängnis für mich eine Richtung an. Übrigens hat mich auch seine Vorstellung vom religionslosen Christentum stark beeinflusst.
Aber wenn man z.B. Überwindung von Armut als gemeinsames Ziel hat ... - Und wenn man dieses Ziel nicht als gemeinsames Ziel hat?
Da sind wir wieder bei meiner These, dass Theologie des Kreuzes auch Anerkennung der Schwäche heißt, dass Wahrheit subjektiv ist. Aber "Wahrheit" sollte ich besser für Realitätserkenntnis reservieren, in der Ethik nur vom Guten reden. Muss ja nicht eine gut-böse-Dichotomie, Abwehr, gar gewaltsame Bekämpfung des "Bösen" bedeuten (s. Ihr erster Beitrag), sondern einfach persönliche Ziele. Man kann nur versuchen, andere zu überzeugen, und eigenes faires Verhalten (z.B. im Welthandel) und Verzicht auf militärische Durchsetzung von Interessen vermeidet langfristig die Eskalation von Konflikten, fördert "gute", gerechte Reaktionen, das Teilen der eigenen demokratischen Ziele. Diktatoren kann man aber nur auf der Machtebene (zu der auch Öffentlichkeit zählt) begegnen. Dass die meisten die hehren Ziele teilen, erkennen Sie ja auch an:
Wenn die Welt z.B. von Sonntagsreden auch an Werktagen wimmelt, die dergleichen Ziele propagieren, aber 90 Prozent aller realen Aktivitäten diese menschenfreundlichen Ziele mit Füßen treten?
Das kann man in rationaler Diskussion (oder auch emotionaler, und mit sozialem Druck wie Demonstrationen) kritisieren, Lügen entlarven. Ich finde, auf theoretischer Ebene gibt es durchaus historische Fortschritte. Die Menschenrechte sind - als abstraktes, aber nicht ganz inhaltsleeres Ziel - weitgehend anerkannt, und in so ziemlich jedem Land wollen die Menschen Freiheit. (Wenn es persönlich nicht so weh tut und den eigenen Interessen dient, ist nur neuerdings wieder die Führer-Sehnsucht oft stärker.)
Wenn emanzipatorische religiöse und kulturelle Traditionen stärker werden und sich verbinden, kann das motivieren und helfen, Gerechtigkeit durchzusetzen. Amerikanische Präsidenten z.B. müssen sich immer religiös rechtfertigen. Da spielt es dann schon eine Rolle, ob reaktionäre oder demokratische Tendenzen in den Kirchen überwiegen. Und auch die Sicht von Atheisten auf christliche Tradition spielt eine Rolle.