Das große Spiel

Tibet Wenn China erneute Krisen in Tibet verhindern will, sollte es mit dem Dalai Lama reden

Olympia ruft die Jugend der Welt!" Unter diesem Slogan ist das moderne Olympia einmal angetreten. Aber es gibt wohl niemanden mehr, der von dieser Großveranstaltung, in der sich Kommerz, Doping und der Kampf von führenden Gruppen alter Männer um politische Hegemonie unentwirrbar miteinander mischen, Schritte in Richtung auf eine bessere, friedlichere Welt erhoffen. Auch die chinesische Jugend erwartet bestenfalls von diesen Spielen, dass die Chinesen als Gastgeber endlich sichtbar ohne weitere imperialistische Diskriminierung an den Tischen der Völkergemeinschaft Platz nehmen können.

Die Volkrepublik China hat ein problematisches Erbe zu verwalten - wie die meisten großen Nationalstaaten der Welt ist sie aus einem multiethnischen Reich hervorgegangen, mit einer administrativ durchgesetzten Reichssprache, einem privilegierten Reichsvolk und einer Geschichte der Zwangsassimilation von Minderheiten. Innerhalb der EU gilt als Antwort darauf inzwischen eine Charta der Minderheitenrechte. Die Antwort des Separatismus wird dagegen zumeist abgelehnt. Auch im Völkerrecht ergibt sich aus dem Prinzip der "Selbstbestimmung der Nationen" kein "Recht auf Sezession".

China hat nicht nur die bekannten Probleme mit Taiwan und Hongkong. Neben dem alten "Reichsvolk" der Han-Chinesen gibt es zahlreiche und zum Teil große Minderheitsvölker, wie etwa die Ujguren in den zentralasiatischen Provinzen. Die Auseinandersetzung über den Status von Tibet betrifft daher die Frage der staatlichen Einheit Chinas. Manche Kommentatoren sind rasch mit der These vom "Völkergefängnis" zur Hand und fordern die Auflösung dieser "Reichsstaaten" in ganz viele kleine Nationalstaaten. Dass das aber wirklich kein sinnvoll anwendbares Konzept ist, hat die Geschichte Osteuropas und des Balkans in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts gezeigt: Weder eine tragfähige Friedensordnung, noch Minderheitenrechte, noch gar individuelle Menschenrechte waren auf diesem Wege zu erreichen.

Der Dalai Lama hat nicht zufällig immer wieder betont, dass es nicht um die "Unabhängigkeit Tibets" geht, sondern um die kulturelle Autonomie der Tibeter und um die Freiheit der Religionsausübung für die Anhänger seiner Strömung des Buddhismus, und er betont auch immer wieder seine strikte Forderung nach Gewaltlosigkeit aller tibetischen Aktionen. Die chinesische Regierung beruft sich auf Beweise dafür, dass seine Exilregierung hinter den gegenwärtigen Aktionen stecke, um das Gespräch mit ihm zu verweigern. Von anderen Exiltibetern gehen nicht nur Forderungen nach Unabhängigkeit eines Groß-Tibet aus, sondern auch klare Aufforderungen zu gewalttätigen Protesten - im Fall einer tibetischen Jugendorganisation sogar der Aufruf zum bewaffneten Kampf. Die Praxis vor Ort liegt zum Teil durchaus auf dieser Linie - etwa das gezielte Abfackeln von Läden von Han-Chinesen und Muslimen aus "Protest gegen Überfremdung".

Dennoch gibt es keinen anderen Weg als den, mit dem Dalai Lama zu reden - auch um ihn dazu herauszufordern, mehr dafür zu tun, dass die Gewalttätigkeiten eingestellt werden und dass kulturelle Autonomie und Religionsfreiheit in Tibet wirklich für alle gelten. Die chinesische Regierung sollte sich auch bei Nicolas Sarkozy erkunden, was alles droht, wenn Jugendliche in ihrem Heimatland ohne Chance auf Bildung und Arbeit marginalisiert bleiben, wie dies offenbar vielen jugendlichen Tibetern widerfährt.

Ein Olympia-Boykott wäre kein Schritt nach vorn. Er würde die chinesische Bevölkerung, die von den gewalttätigen Angriffen verängstigt ist und keineswegs problembewusst, noch klarer hinter ihre Regierung bringen - anstatt deren autoritäre Polizei- und Zensurmethoden zu problematisieren. Die Debatte darüber ist nur ein weiterer Hebel im "Großen Spiel" um die Vormachtstellung in Asien, das die USA zur Zeit gegen China spielen. Um eine wirksame Politik der Menschen- und Bürgerrechte geht es dabei jedenfalls nicht.

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Geschrieben von

Frieder Otto Wolf

Ich lehre als Honorarprofessor Philosophie an der Freien Universität Berlin, bin Mitinitiator des Forums Neue Politik der Arbeit und Humanist.

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