Zeit für einen neuen Aufbruch

Doppeltes Versagen Die Grünen sind heute nicht mehr die erste Adresse für alternative Politik – sie werden für diese aber nicht weniger gebraucht als die SPD

Heute morgen sah ich eine Aktion der Piratenpartei: Junge Leute hatten sich ausgezogen, in schwarzem Unterzeug, die Mädchen brav mit BHs, und demonstrierten auf dem Flughafen mit den entsprechende Sprüchen auf blanker Haut gegen den Anspruch des Überwachungsstaats auf Durchsichtigkeit der Bürger. Ein massiver Polizeieinsatz „begleitete“ sie.

Vermutlich wird das Thema wichtig bleiben, auch wenn die Protestierenden älter und weniger phantasievoll in ihren Aktionen werden. Nach 30 Jahren werden sie dann ein Teil des politischen Establishments sein, als eigenständige Formation oder von bestehenden Parteien aufgesogen.

Das 30-jährige Jubiläum der Grünen könnte nach diesem Modell betrachtet werden – selbstzufrieden, wie dies Fritz Kuhn zelebriert, oder auch in entlarvender Absicht, wie dies unter altlinken Verächtern der Grünen verbreitet ist. Dann wäre nichts Wichtiges daraus zu lernen. Das wäre jedoch ein schwer wiegender Fehler.

In der Geschichte der Grünen geht es um ein allgemeineres Problem demokratischer Politik – nämlich darum, wie sie die sich seit den sechziger Jahren entfaltende globale ökologische Krise bearbeiten und bewältigen kann. Und es geht um ein Problem der neueren deutschen Politik, das ebenfalls seit den sechziger Jahren akut ist, nämlich wie eine historische Alternative in Politik übersetzt werden kann.

Allerdings geht es im Zusammenhang mit den Grünen um diese Probleme im Modus des Versagens: An die Stelle radikaler Perspektiven, die nicht in Veränderungen übersetzt werden konnten, sind immer wieder kleine partei- und auch koalitionspolitische Veränderungen getreten, die dem parlamentarischen und ministerialen Personal der Partei immerhin Entfaltungschancen geboten haben.

Die entscheidende Frage

Die globale ökologische Krise hat sich als wesentlich tiefgreifender erwiesen, als die ersten technokratischen Prognosen über die „Grenzen des Wachstums“ dies erkennen ließen. Die radikaleren Ökologen der ersten Stunden der internationalen Umweltbewegung können sich bestätigt fühlen: Mit Klimakrise, Ozonloch und einem galoppierenden Artenschwund ist die Menschheit inzwischen zu einem destruktiven Faktor in erdgeschichtlichen Maßstäben geworden. Der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Menschheit und der Belastbarkeit der Biosphäre ist unabweisbar geworden: Mit wie vielen Menschen und mit welchem Lebensstil kann sich die Biosphäre überhaupt noch auf eine Weise regenerieren, damit auf der Erde die Menschen auch in Zukunft leben können?

Schon unter den Bundeskanzlern Konrad Adenauer und Ludwig Erhard hat die Opposition die Frage gestellt, wie eine Alternative politisch durchgesetzt werden könnte, die nichts mit dem anderen deutschen Staat zu tun haben sollte. Dies hat die SPD unter Brandt und Wehner zunächst in strategische Anpassungen übersetzt, um dann zumindest „mehr Demokratie wagen“ zu können. Der Preis dafür war so hoch, dass eigentlich von „der Alternative“ nichts mehr übrig blieb.

Mitte der siebziger Jahre gab es dadurch den Raum für eine neue Politik im Namen der Alternative. Bürgerinitiativen betraten die Bühne und organisierten sich in alternativen Listen. Daraus wurden im Januar 1980 die Grünen. Zumal seit Rudolf Bahros Bestseller „Die Alternative“ den allermeisten Linken endgültig klar war, dass die DDR kein Modell für eine andere Gesellschaft sein konnte.

Wie Neoliberale aufgeführt

In zwei Punkten haben die Grünen dann versagt, vielleicht notgedrungen. Der Zusammenbruch des Realsozialismus hat global jede, auch die ökologische Kapitalismuskritik, in Verruf gebracht; und die deutsche Einheit hat die Möglichkeit für eine rot-grüne Politik des sozialökologischen Umbaus unter Oskar Lafontaine und Ludger Volmer blockiert. Diese hätte sich vermutlich ganz erheblich von dem späteren Schröder-Fischer-Modell unterschieden – das dann vergeblich ökologische und soziale Spielräume gegenüber dem globalen neoliberalen Trend zu erspielen versucht hat.

Inzwischen ist die DDR Geschichte. Die große neue Partei ist die Linke. So wenig wie die Grünen die FDP verdrängen konnten, hat die Linke allerdings die Grünen verdrängt. Klar ist, dass es ohne diese Linke keine alternative Politik in Deutschland geben kann; klar ist nur noch nicht, ob sie selbst sich das vornimmt.

Politisch ist immerhin auch deutlich geworden, dass eine emanzipatorische Alternative in Deutschland mit der FDP nicht zu machen ist. Der deutschen Sozialdemokratie hängt immer noch die Schrödersche Zuspitzung des Machtopportunismus an; aber es wird ohne sie keine linke Regierungspolitik in Deutschland geben. Die Grünen unter Fischer haben bei Schröders Version von Rot-Grün aktiv mitgemacht, sich manchmal sogar wie eine neoliberale Avantgarde aufgeführt. Daher sind die Grünen als Partei heute nicht mehr die erste Adresse für eine Politik der Alternative. Trotzdem werden auch sie gebraucht, und zwar nicht weniger als die SPD. Denn ohne die Grünen ist eine mehrheitsfähige politische Alternative in Deutschland ebenfalls nicht möglich.

Die Frage nach einer radikalen Alternative in Deutschland ist immer noch dringlich. Ohne eine rot-rot-grüne Regierung kann sie nicht beantwortet werden. Aber Schritte in diese Richtung sind nicht absehbar. Die Möglichkeit, diese Frage auf eine auch tagespolitisch wirksame Weise stellen zu können, muss erst noch erkämpft werden. Das werden die Grünen für sich alleine nicht tun.

Frieder Otto Wolf ist Politikwissenschaftler und Philosoph. Von 1994 bis 1999 war er für die Grünen Mitglied des Europäischen Parlaments. Er bloggt unter dem Namen FOW auch auf freitag.de.

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Geschrieben von

Frieder Otto Wolf

Ich lehre als Honorarprofessor Philosophie an der Freien Universität Berlin, bin Mitinitiator des Forums Neue Politik der Arbeit und Humanist.

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