Das Hinterland der neurechten Bewegung

Neue Rechte Deutschland wird von einer neuen rechten Bewegung heimgesucht. Die Gefahr geht dabei insbesondere von einem relativ etablierten ideologischen „Hinterland" aus.

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"Ja, es gibt sie."
"Ja, es gibt sie."

Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Die Alternative für Deutschland (AfD) befindet sich spätestens seit dem vergangenen Herbst im Aufwärtstrend. Sie geriert sich als politischer Arm einer außerparlamentarischen Bewegung von Rechts und nutzt dabei insbesondere die Angst vor „zu viel“ Zuwanderung, angeblicher Überfremdung und „dem“ Islam für ihre Zwecke. In vielen Analysen wird die AfD einer Neuen Rechten Bewegung in Deutschland zugeordnet. Was sich aktuell hinter diesem Sammelbegriff verbirgt war Thema der zweiten Veranstaltung aus der Reihe „Fokus: Neue Rechte” von Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage am 26. Mai in Halle.

Kann oder muss von einer Neuen Rechten Bewegung gesprochen werden? Für den Historiker und Rechtsextremismusforscher Helmut Kellershohn ist die Antwort auf diese Frage einfach: Ja, es gibt sie. Viel wichtiger sei es, danach zu fragen, wie diese Bewegung zu interpretieren ist, so der Mitbegründer des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung.

Ein gegenintellektuelles Elitenprojekt

Neurechte Bewegungen habe es in der Geschichte der Bundesrepublik schon mehrfach gegeben. Die aktuelle Version tritt laut Kellershohn spätestens seit den frühen 1990er Jahren in Erscheinung. Einem ihrer Vordenker, Karlheinz Weißmann, zufolge handelt es sich dabei um eine „jungkonservative neue Rechte”, die sich auf entsprechende Vorbilder in der Konservativen Revolution beziehe – Thema der ersten Veranstaltung in der Reihe „Fokus: Neue Rechte”. Kern der Neuen Rechten seien Intellektuelle (oder besser „Gegenintellektuelle“), die sich in Zirkeln um Verlage und Medien gruppierten. Sie verfolgten ein „Elitenprojekt“ mit dem Ziel, die hegemoniale Elite entweder zu transformieren oder aber eine Gegenelite zu ihr aufzubauen.

Kellershohn schlägt zum Verständnis dieser Neuen Rechten ein Drei-Ebenen-Modell vor: Auf die oberste Ebene ordnet er das metapolitische Hinterland ein, auf die unterste Ebene die Massenorganisationen bzw. Massenbewegungen. Dazwischen vermitteln Multiplikatoren.

Um das Zusammenspiel dieser drei Ebenen zu verstehen, sei zunächst wichtig, sich mit dem Begriff der Metapolitik im Verständnis der Neuen Rechten auseinanderzusetzen. Dazu verweist Kellershohn auf Beiträge in dem neurechten, vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebenem Publikationsorgan Sezession: Unter Metapolitik werde hier der Blick auf weltanschauliche Grundsatzfragen verstanden, die den Rahmen der Alltagspolitik transzendieren (z. B. das Bild des Menschen oder die staatliche Ordnung betreffend). Es handele sich um eine zukunftsorientierte Kritik am gegenwärtigen Zustand mit dem Ziel, angestrebte Veränderungen geistig vorzubereiten:

„Letztendlich ist Metapolitik nichts anderes als eine politische Lagebeurteilung, die von der Frage ausgehen muß, wer der Feind ist, wo er steht und mit welchen Mitteln er den Kampf führt. [...] Denn wenn ich weiß, wie etwas funktioniert, stellt sich die Frage, ob es gut ist, daß es so funktioniert und ob es nicht doch besser wäre, wenn es anders funktionieren würde. [...] [Metapolitik] kann [...] die Bedingungen dafür schaffen, daß sich die Lücke wieder schließt, die sich zwischen Wirklichkeit und Ideologie aufgetan hat” (Erik Lehnert, 2015: Metapolitik und Aufklärung, Sezession, 67).

Anspruch der Metapolitiker in der Neuen Rechten ist folglich, als Gegenintellektuelle die Übernahme der weltanschaulichen Führung im gesellschaftlichen Diskurs voranzutreiben, was Voraussetzung für eine Übernahme der Staatsgewalt sei. Es geht ihr also um nichts Geringeres als um die Erringung der kulturellen Hegemonie – die Anleihen an den italienischen Marxisten Antonio Gramsci sind dabei kein Zufall, sondern bewusst gewählt. Während allerdings Gramsci als progressiver linker Intellektueller das Vorgegebene infrage stellte, bleiben hingegen die Gegenintellektuellen in vorgegebenen, bspw. anthropologischen und ethnozentrischen Dogmen verhaftet.

Uneinigkeit im neurechten Hinterland

Als Akteure im metapolitischen Hinterland benennt Kellershohn unter anderem die Junge Freiheit (JF), die über Auflage die „Massen” zu erreichen suche, das Institut für Staatspolitik (IfS) als neurechte „Denkfabrik” (eng verbunden mit dem Verlag Antaios) oder die Blaue Narzisse, ein laut Selbstbezeichnung „Magazin für Jugend, Identität und Kultur” mit einschlägigen Inhalten (bspw. „Islamisierung”, „Überfremdung”). Diese und andere Akteure stellten quasi die „Artillerie” dar, die aus dem Hinterland die aktuelle Hegemonie durch ein andauerndes geistiges „Flächenbombardement“ mürbe machen und damit den ideologischen Boden für eine Massenbewegung bereiten soll, die dann als „Infanterie” die Straßen übernehmen könne. Die Elite im Hinterland beansprucht für sich, diese Massen, das Volk formen zu wollen, und wird dabei von den Multiplikatoren unterstützt, die die Ideologie „an den Mann” bringen sollen.

Allerdings seien die Gegenintellektuellen keinesfalls einig in ihrer Strategie. Als maßgebliche Pole benennt Kellershohn die Gruppe um den IfS-Frontmann, Antaios-Chef und Sezession-Redakteur Götz Kubitschek auf der einen sowie die beiden JF-Protagonisten Karlheinz Weißmann und Dieter Stein (JF-Chefredakteur) auf der anderen Seite. Die Zuspitzung dieser Polarität führte im Jahr 2014 zum Bruch zwischen den beiden IfS-Gründern Kubitschek und Weißmann. Weißmann verließ daraufhin das Institut, während Kubitschek offen in die Unterstützung des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke – in Kellershohns Drei-Ebenen-Modell ein wichtiger Multiplikator – im innerparteilichen Machtkampf einstieg. Dieser gipfelte schließlich in der Erfurter Resolution von Höcke und seinem sachsen-anhaltischen Pendant André Poggenburg.

Kubitschek und Co., darunter der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer und der Verfassungsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, verfolgten laut Kellershohn ein „fundamentaloppositionelles Konzept” mit einem Zusammenspiel aus (a) außerparlamentarischer Opposition (PEGIDA und Co. als Massenbewegungen auf der Straße), (b) Verfassungsbeschwerden und (c) parteipolitischer Unterstützung aus dem Höcke-Flügel der AfD. Der Schwerpunkt liege dabei auf außerparlamentarischer Bewegung mit zivilem Ungehorsam als entscheidendem Element. Der Fokus auf Wahlen und parlamentarische Prozesse, wie ihn Weißmann vertrete, dauere dieser Strömung zu lange. Berührungsängste zu PEGIDA gebe es dabei schon längst nicht mehr. So ist Kubitschek bereits siebenmal als Redner bei PEGIDA und LEGIDA aufgetreten und auch Höcke sucht immer mehr den offenen Schulterschluss. In Sachsen-Anhalt bewarb sich zudem jüngst PEGIDA-Mitbegründerin Kathrin Oertel als Mitarbeiterin der AfD-Landtagsfraktion – unter öffentlichen Lobesbekundungen durch Fraktionschef Poggenburg.

In seinen „GIDA-Reden“ hatte Kubitschek unter anderem offen zur Blockade von Flüchtlingsheimen und Grenzübergängen aufgerufen. Diesen Aufruf zum Rechtsbruch („jenseits geltender Gesetze zu handeln“) führe er, so Kellershohn, auf eine Pflicht zurück, gegen die angebliche Auflösung des Volkes Widerstand zu leisten – das derzeit viel zitierte Widerstandsrecht in der Verfassung, dessen Anwendung durch das angebliche Staatsversagen in der Geflüchtetenfrage legitimiert sei. Hier schließt sich der Kreis zum Konzept der Konservativen Revolution als Teil der Ideologie des metapolitischen Hinterlands: Der Staat müsse, so habe es einmal Kubitschek ausgedrückt, von seinen abträglichen Institutionen befreit werden, ohne die Institution des Staates selbst infrage zu stellen. Ziel für die jungkonservative Neue Rechte sei letztendlich ein autoritärer Staat.

Gilt Karlheinz Weißmann zwar auch als einer der heutigen Wortführer einer Konservativen Revolution, so verfolgt er laut Kellershohn doch einen konventionelleren Ansatz als die Kubitschek-Strömung, indem er auf eine (langfristige) Neugestaltung des parteipolitischen Systems durch Wahlen und parlamentarische Aktivitäten setzte. Damit sei er eher auf die Seite des heutigen Petry/Meuthen-Flügels der AfD einzuordnen, der denn auch offen von der Jungen Freiheit protegiert wird. Weißmann sehe den Weg von Kubitschek als unpolitisch, während dieser wiederum Weißmanns eher „reformistischen“ Ansatz als fruchtlos betrachten dürfte, so Kellershohns Einschätzung, da er das aktuelle defizitäre und „zur Oligarchisierung neigende Parteiensystem” stütze.

Beide strategischen Optionen existierten laut Kellershohn auch in der AfD parallel. Sie müssten jedoch nicht unbedingt als widersprüchlich betrachtet werden – im Gegenteil könnten sie sich auch gut ergänzen. Nicht zuletzt ist eine parteipolitische Unterstützung in Kubitscheks Weg ja auch ausdrücklich vorgesehen. Die Polarisierung zwischen Weißmann und Kubitschek sei denn auch eher persönlicher Natur, so die Einschätzung des Rechtsextremismusforschers, der gleichzeitig warnt: Sollte sich Höcke in der AfD gänzlich durchsetzen, so könnte dieser beide Optionen zusammenführen und die AfD zur sozial-„patriotischen“ Bewegungspartei formen.

Bewegung und Gegenbewegung

Neben der erwähnten Verfassungsbeschwerde, der Wahlbeobachtungskampagne zu den Landtagswahlen im März 2016 und einer Vielzahl von asylfeindlichen Aktivitäten (für jüngere Beispiele siehe u. a. Felix Korsch, 2016: Wehrhafter Rassismus im Sammelband „Durchmarsch von Rechts” der Rosa-Luxemburg-Stiftung) macht seit Anfang 2016 die Kampagne „Ein Prozent für unser Land” von sich reden – von der taz als „NGO für Rechte in Deutschland” bezeichnet. Die Idee dahinter: Es würden 800.000 Aktivisten in Deutschland reichen, um die Republik zu verändern. Das Ziel: Eine wirkmächtige Gegenbewegung gegen die angebliche Auflösung des Staates, Überfremdung etc. Die Protagonisten: Götz Kubitschek, Jürgen Elsässer, Karl Albrecht Schachtschneider, der sachsen-anhaltische AfD-Abgeordnete und Sprecher der Patriotischen Plattform Hans-Thomas Tillschneider und Philip Stein, ein bekannter Protagonist der Deutschen Burschenschaft.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich diese Kampagne als außerparlamentarisches Flaggschiff der neuen rechten Bewegung durchzusetzen vermag. Mit effektivem Widerstand von links sollte allerdings nicht länger gewartet werden. Kellershohn sieht in der Entwicklung von wirkungsvollen linken Initiativen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen eine Chance, den gesellschaftlichen Diskurs aus der rechten Ecke herauszuholen. Dabei gelte es auch, den Neoliberalismus als hegemoniales Elitenprojekt, das die gesellschaftlichen Zusammenhänge auflöse, zum Gegner zu erklären. Zudem sei es wichtig, angeblich „braune Begriffe”, wie bspw. den Heimatbegriff, von links zu besetzen. Dies sei Aufgabe der linken Intellektuellen.

Und vielleicht können auch die ersten Ansätze von bundesweiten demokratischen Gegenbewegungen, wie „Aufstehen gegen Rassismus” oder „Mit der Demokratie neu beginnen” Chancen darstellen, der neuen rechten Bewegung eine wirkmächtige neue linke Bewegung entgegenzusetzen.

Felix Peter

Felix Peter
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