Ein Publizistischer Akt der Zerstörung

Kommentar Und wieder schreibt ein Journalist, wie ähnlich sich doch Linke und Rechte seien. Ein für den politischen Fortschritt zerstörerisches Narrativ.

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Linke Demonstration am 1. Mai in Berlin. Linken Protest mit Rechtem gleichzusetzen, ist jedoch ein zerstörerisches Narrativ
Linke Demonstration am 1. Mai in Berlin. Linken Protest mit Rechtem gleichzusetzen, ist jedoch ein zerstörerisches Narrativ

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Alexander Görlach, Journalist und Mitbegründer des Magazins The European”, schreibt bei Zeit Online unter dem dramatischen Titel “Links wie rechts nur Zerstörung” über vermeintliche Ähnlichkeiten zwischen Linken und Rechten. Was dabei herauskommt, ist die übliche Mischung aus pauschalen Vorurteilen und Vorwürfen gegenüber einer vermeintlich homogenen Linken und einer weitgehend unkritischen Haltung gegenüber den gesellschaftlichen Zuständen.

Zerrbilder

Gleich zu Beginn seines Essays erhebt Görlach zum Problem, dass sich die Proteste gegen den G20-Gipfel selbst richteten und nicht gegen die Zustände, die die G20-Mitgliedstaaten seiner Ansicht nach ja durch Diskussion und Verständigung anzugehen gedenken. Dies sei “eine interessante Wendung”. Die Erklärung dafür, was an der Tatsache neu ist, dass sich linker Protest nicht nur gegen unerträgliche gesellschaftliche Zustände, sondern immer auch gegen deren Verursacher richten - und hier haben die G20 nicht nur als führende Klimasünder eine gewisse Vorreiterposition -, bleibt er jedoch schuldig. Stattdessen disqualifiziert er die Proteste noch im selben Absatz als “eine Form des Populismus, der uns umgibt” - und bleibt auch hier sogleich wieder schuldig zu erklären, was genau er damit meint: Was er unter Populismus versteht, wie diese spezifische Form aussieht und was daran das Problem ist.

Stattdessen folgt die erste Gleichsetzung zwischen Links und Rechts: “Für Globalisierung und Digitalisierung haben sie [die rechten Populisten] nicht viel übrig, Fortschritt ist ihnen ein Gräuel, ihre Kultur ein nationaler Monolith. Das ist nicht sehr verschieden von dem Weltbild jener Linken, die ebenfalls gegen Globalisierung und Digitalisierung zu Felde ziehen.” Wo er dieses angeblich linke Weltbild hernimmt? Antwort Fehlanzeige! Einziger Hinweis ist ein hinterlegter Link zu einem kurzen Streitgespräch zwischen linken Akteur*innen, in dem ganz unterschiedliche linke Vorstellungen von Politik, Veränderung und Aktivismus zur Sprache kommen - Globalisierung und Digitalisierung sind hingegen gar kein Thema. Stattdessen folgen die üblichen pauschalen Verdächtigungen: Farbbeutelwürfe, zerschlagene Scheiben, abgefackelte Limousinen, Gewalt gegen die Polizei - das sind anscheinend die einzigen Schlagwörter, nach denen so manche Journalist*innen googlen, wenn sie über linke Weltbilder und linken Aktivismus schreiben. Was dabei herauskommt sind allenfalls Zerrbilder, die den spalterischen, menschenverachtenden rechten Populismus aufwerten und die gemeinwohlorientierten Ziele vieler Linker unreflektiert verunglimpfen.

Vernetzte Welt: Ein Segen?

Doch damit hält sich Görlach nicht lange auf. Stattdessen stellt er sich eine Frage: “Muss man nicht den Krawallmachern von links [gemeint sind hier Aktivisten der Roten Flora in Hamburg, so deutet zumindest der Link auf einen ZEIT-Artikel hinter einer Bezahlschranke an] dasselbe zurufen wie denen von rechts, nämlich dass eine vernetzte Welt eine bessere ist als eine, in der Menschen isoliert leben und so einer Willkürherrschaft viel unmittelbarer ausgeliefert sind? Man muss.”

Nun gut. Da kann mensch durchaus anderer Ansicht sein: Jene Menschen zum Beispiel, deren Wälder gerodet werden, deren Land aufgekauft wird, denen die Ernährungsgrundlage entzogen wird - dank globaler Vernetzung. Oder jenen Menschen, die für einen Hungerlohn wie Gefangene in gefährlichen Fabrikenund Gruben zur Stillung des Hungers der westlichen Welt nach Energie, Rohstoffen und Waren. Oder jenen Menschen, die unter der Willkürherrschaft gut vernetzter und von westlichen Demokratien hofierten Despoten leiden und denen deren Vernetzung kein bisschen mehr Freiheit bringt, als sie nicht schon ohne dem angeblichen Segen einer vernetzten Welt hatten. Das soll kein Plädoyer gegen internationale Vernetzung werden, nur eines gegen die Verherrlichung der herrschenden Vernetzungsordnung, die im globalen Maßstab nur wenige Menschen, vor allem uns, mit (relativem) Wohlstand segnet.

Doch auch hierüber geht Görlach galant hinweg und unterstellt stattdessen den radikalen Populist*innen von Links selbiges, was zurecht den Rechten zu unterstellen ist: die Zerstörung des Gemeinwesens. Eine infame Behauptung, ist doch linkes Denken und Handeln - im diametralen Gegensatz zu jenem der Rechten - auf die emanzipatorische Weiterentwicklung eben jenes Gemeinwesens ausgerichtet. Jenes Gemeinwesen, dessen Bestand und Entwicklung durch die Zerstörung der Umwelt, durch die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, durch die Aushöhlung von Bürgerrechten und die Missachtung der Menschenrechte, durch Krieg und Vertreibung massiv bedroht ist. Und die Akteure dieser Zerstörung sind mitnichten irgendwelche Linken. Es sind Staaten und wirtschaftliche Unternehmen, die diese Zerstörung, nicht selten gemeinsam, vorantreiben. Diese Ordnung und ihre Regelwerke verteidigt Görlach nun und verwechselt sie dabei mit dem Gemeinwesen selbst, dessen Gefährdung durch eben jene Ordnung er geflissentlich ignoriert, ja durch seine Worte sogar legitimiert.

Spiel mit der Angst

Doch weiter im Text: “Wenn Linke zur Demo rufen, gehen Schaufenster zu Bruch” lautet da die Überschrift den nächsten Abschnittes. Ein Pauschalurteil, das auf die folgende These einstimmen soll, in der Görlach linken Populisten vorwirft, mithilfe der “Furcht und Angst” der Menschen zu zündeln und zwar, “rechts wie links, mit brutalen Mitteln und auf Kosten der Ehrlichkeit”. Die Lügen und brutalen Mittel aufseiten der Rechten sind bekannt: brennende Asylunterkünfte und Falschmeldungen am Fließband, um nur ein Beispiel zu geben - Görlach nennt andere. Und aufseiten der Linken? “Von links wird das Märchen von Verteilungsgerechtigkeit und Pazifismus munter weitererzählt”. Ab diesem Punkt wird es nur noch lächerlich: “Ich möchte hier keineswegs für den Erhalt unfairer Arbeitsbedingungen werben, sondern darauf hinweisen, dass wir die wirklichen Probleme nicht angehen, nicht besprechen.”

Wer Verteilungsgerechtigkeit und Pazifismus als Märchen abtut, der stellt jeglichen politischen und gesellschaftlichen Fortschritt infrage. Der Autor scheint sich dieses fatalen Gehaltes seiner Worte nicht einmal bewusst zu sein. Denn von welchen “wirklichen Problemen” spricht er da? Ausbeutung von Mensch und Umwelt? Massiver Ungleichverteilung von Wohlstand? Wieder: Fehlanzeige. Stattdessen folgt im Absatz darauf ohne erkennbaren Zusammenhang die befremdliche Einlassung, dass Görlach es interessant findet, “dass die Partei Adolf Hitlers nationalsozialistische Partei hieß, also linkes wie rechtes Gedankengut in einer Bewegung zusammenführen wollte.” Diese Schnittmenge sei immer noch wirkmächtig. Der Gehalt dieses höchst fragwürdigen Vergleiches wurde eigentlich schon 2012 nach einer ähnlichen Einlassung der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach zerpflückt. Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung bezeichnete diese Argumentation damals als historischen “Taschenspielertrick”. Nichts anderes ist es diesmal.

Kein Wort verliert Görlach zudem über die zündelnden Lügen aus der sogenannten politischen Mitte, die seiner Meinung nach doch so sehr am Gemeinwesen interessiert sei. Berüchtigtes Beispiel ist der Bundesinnenminister höchstpersönlich mit seinen wiederholten Entgleisungen gegen Asylsuchende: „Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren.“ So nutzen gerade die etablierten Parteien sehr effektiv die Ängste der Menschen aus um ein Grundrecht nach dem anderen auszuhöhlen und damit die Basis unseres Gemeinwesens. Daran stört sich Görlach nicht im Mindesten. Nein, er stört sich an jenen, die dagegen entschlossenen Widerstand verkünden.

Zum Glück geht dann der Text zuende, nicht ohne schnell noch PEGIDA mit den G20-Protesten gleichzusetzen. Er hinterlässt ein undifferenziertes Zerrbild von einer Linken, die in ihrem Populismus und in ihrer Gewaltbereitschaft den Rechten in nichts nachstehen würde, die fortschrittsfeindlich sei und das Gemeinwesen zerstören wolle. Eine Pauschalkritik, der man unterstellen kann, die öffentliche Anerkennung der Legitimität linker Proteste gezielt torpedieren zu wollen. Ein publizistischer Akt der Zerstörung.

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