Es werde Licht in „Dunkeldeutschland“

Migration Angst, Abwertung, Hass in Deutschland. Ein Plädoyer für eine ganzheitliche Lösung dafür, Zuwanderern, Zugewanderten und immer Dagewesenen mehr Teilhabe zu ermöglichen.

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"Zukunft für alle" als Definitionssache. Rechte demonstrieren in Dresden
"Zukunft für alle" als Definitionssache. Rechte demonstrieren in Dresden

Foto: HarryHuber/Istock

Deutschland 2015. Das Netz und mancherorts auch die Straßen sind voll von Angst, Abwertung und Hass gegenüber Menschen, die ihr Heil in der Flucht in dieses so verheißungsvolle Land im Herzen Europas suchen. Das fängt bei angeblich "massenhaftem Asylmissbrauch" an, geht über "die sollen doch erst mal Zuhause ihre Hausaufgaben machen" oder "die sind alle kriminell" bis hin zu unmissverständlichen Aufrufen zu (auch tödlicher) Gewalt gegen Menschen bzw. deren Obdach. Viele dieser Hass- und Abwertungsbotschaften laufen auf eine – äußerst steile – These hinaus: Sie ("die Ausländer", "die Asylanten") nehmen uns alles – unser Geld, unsere Arbeitsplätze, unsere deutsche Leitkultur. Schön bebildert bspw. mit einem kleinen, weißen Mädchen, das von staunenden Kindern mit deutlich dunklerer Hautfarbe umringt wird, garniert mit dem Begleittext „Deutschland 2030: ‚Wo kommst du denn her?‘“

Diese Botschaften sind nicht neu. Neu ist ebensowenig, dass die damit verbundenen Gefühle nicht nur von einschlägig nationalistischen bzw. rassistischen politischen Gruppierungen angefeuert werden, sondern auch von etablierten beifallssüchtigen Parteien. Nein, neu ist das alles nicht. Allerdings verschlägt einem das Ausmaß dessen die Sprache, was insbesondere das Internet da Tag für Tag an die Oberfläche spült. "Kaltland" und "Dunkeldeutschland" sind als Bezeichnung für eine Nation, die Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit gerade neu auflegt, Tag für Tag schmeichelhaftere Labels.

Mit Zahlen, Daten, Fakten oder gar moralischen Appellen lässt sich gegen diesen wahrhaft braunen Shitstorm nicht ankommen. Auch ist es fraglich, inwiefern sich beim Distanzieren verbal überschlagende Kanzlerinnen und Vizekanzler einen sinnvollen Beitrag leisten, wenn selbst Til Schweiger mit seinen in geübter Tatort-Rambo-Manier in Netz und TV verteilten (dringend notwendigen) verbalen Kopfnüssen gegen verbale Brandstifter keinen Erfolg zu erzielen vermag. Nein, weder Argumente noch Schelte dürften helfen – zumindest zeigen sie schlichtweg keine Wirkung. Nicht mal bei CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der gerne seine Pinnwand bei Facebook durch Bilder mit seinen flottesten zuwanderungsfeindlichen Sprüchen „aufwertet“. So liegt der Verdacht nahe, dass sinnvolle Lösungsansätze deutlich komplexer sein dürften, als es die meisten befürchten – selbst jene, die sehr geübt darin sind, vor einfachen, schnellen Lösungen zu warnen.

Es bedarf eines Ansatzes, der möglichst viele Facetten des Problems umfasst sowie deren Zusammenhang untereinander: den Kampf gegen die braunen Symptome, insbesondere die Auseinandersetzung mit jenen Menschen, die für braune Brandbeschleuniger empfänglich sind, die Auflösung sozialer Ausgrenzung, einen menschenwürdigen Umgang mit Menschen auf der Flucht. Ein solcher Ansatz sollte dafür mindestens folgende Komponenten umfassen:

  1. Interaktion ermöglichen und verstetigen,
  2. gesellschaftliche Institutionen stärken,
  3. positive Kommunikation und Anerkennung herstellen,
  4. individuelle Lebensperspektiven eröffnen.

Interaktion ermöglichen und verstetigen

„Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“. Vorurteile entstehen und festigen sich vor allem dann, wenn man das vorurteilsbehaftete Objekt oder Subjekt gar nicht wirklich kennt, sondern nur hier und da mal etwas gehört hat. Je stärker die Festigung solcher Vorstellungen, desto geringer dürfte die Motivation sein, diese durch Kennenlernen, also direkten Kontakt zu überwinden. Kommen noch Ängste ins Spiel, wird es umso schwieriger. Ein Begegnungsfest kann deshalb ein guter Anfang sein, allein es wird nicht ausreichen jene zu erreichen, die es tatsächlich zu überzeugen gilt.

Einer der wichtigsten, derzeit auch praktizierten Schritte ist der Zugang für Kinder von Zugewanderten zu den Bildungseinrichtungen. Wichtig nicht nur für diese als entscheidende Entwicklungschance, sondern ebenso wichtig für den einheimischen Nachwuchs, der so frühzeitig mit der ganzen Vielfalt, die die Menschheit zu bieten hat, in Kontakt gerät und lernt, dass diese Vielfalt pure Normalität ist – und der es schließlich so schwerer hat, Vorurteile zu entwickeln bzw. zu erlernen. Auch vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Zuwanderung nicht nur auf die Zentren konzentriert wird, sondern ebenso in der Fläche ankommt. Dezentrale "Unterbringung" heißt somit nicht nur, Flüchtende in Städten möglichst gut zu verteilen statt sie in zentralen Sammelunterkünften zu konzentrieren, sondern eben auch in der Fläche. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass man der Fläche überhaupt noch eine Chance geben möchte.

Gesellschaftliche Institutionen stärken

Da offensichtlich vielerorts einige Kinder bereits in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen sind, reicht eine flächendeckende Verteilung „und dann schauen wir mal, was passiert“ allein nicht aus. Ein solcher Prozess sollte begleitet werden und für diese Begleitung kommen insbesondere gesellschaftliche Institutionen infrage:

  1. staatliche Einrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten, öffentliche Verwaltungen, Sozialbehörden sowie
  2. soziale Einrichtungen wie Jugendfreizeiteinrichtungen, Sport- und Freizeitvereine oder Begegnungszentren und warum nicht auch
  3. andere gesellschaftliche Institutionen wie Gewerkschaften, politische Gruppierungen, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen und alle möglichen anderen freien Träger.

Hier hat es in Deutschland allerdings ein partielles „Artensterben“ gegeben, insbesondere den Osten hat es da nach einer kurzen Blüte nach der Wiedervereinigung stark getroffen: Unter den Dogmen „wir leben über unsere Verhältnisse“ und „der Staat ist zu teuer“ und unter dem Eindruck düsterer Bevölkerungsprognosen wurden die unter Punkt a genannten Institutionen mehr und mehr aus der Fläche abgezogen. Gemeinden und Kreise wurden fusioniert, Schulen im großen Stil geschlossen. Die Wege wurden immer länger, der Verbleib in eher ländlich geprägten Räumen unattraktiver. In der Folge zogen jene Menschen nach, die es sich leisten konnten, sodass schließlich auch unter b und c genannte Institutionen verschwanden. Wo viel Geld in Kläranlagen, Autobahnen und Umgehungsstraßen geflossen ist, wurde gleichzeitig der soziale Kitt entfernt. Dies hat gerade jene Menschen getroffen, die ohnehin zu den Schwächeren im Lande zählen, die besondere Unterstützung brauchen um eine Lebensperspektive zu erhalten und diese auch nutzen zu können. Die verbliebenen Institutionen haben sich vonvon den Menschen entfernt, für die sie geschaffen wurden, und die nun weite Wege in Kauf nehmen müssen um sie noch erreichen zu können. Doch nicht nur im ländlichen Raum, auch in vielen Mittel- und Oberzentren, insbesondere in jenen mit einer ohnehin schon angespannten Sozialstruktur, hat der Rotstift zugeschlagen.

Diese sozialen Ressourcen fehlen nun, wenn es darum geht, den Integrationprozess für jene Menschen, die nach Deutschland einwandern, aber auch für jene, die schon hier sind (und jene, die nie woanders waren) zu steuern und zu gestalten – egal ob auf dem Land oder in der Stadt. Zwar gibt es viele Organisationstalente in der Öffentlichen Verwaltung und Ehrenamtliche, die sich tagtäglich sehr darum bemühen, die Lücken zu füllen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass große Lücken in der Versorgung bleiben.

Diese Lücken zu schließen heißt auch, sich entweder zur Fläche zu bekennen und dann dort folgerichtig mit einem erhöhten Einsatz an finanziellen Ressourcen dafür zu sorgen, den sozialen Kitt zu erneuern. Oder: sich von der Fläche in Teilen zu verabschieden um die angeblich knapper werdenden finanziellen Ressourcen künftig stärker auf die Zentren konzentrieren zu können. Der derzeitige Zustand lässt sich vielerorts eher als Kombination aus weder-noch und sowohl-als-auch beschreiben, weil die politischen Entscheidungsträger*innen solche unpopulären Entscheidungen scheuen. Mit allen beobachtbaren Konsequenzen. Dabei würde sowohl eine konzentrierte als auch eine flächendeckende „Reexpansion“ sozialer Ressourcen (gesellschaftlicher Institutionen) nicht nur den Zuwandernden, sondern auch den Einheimischen zugutekommen – insbesondere jenen, die von gesellschaftlicher Teilhabe mehr und mehr ausgeschlossen werden.

Positive Kommunikation und Anerkennung

Dass Menschen, die nach Deutschland einwandern und hier dauerhaft bleiben wollen, auch zügig einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten müssen, verbunden mit der Möglichkeit, an der Arbeitswelt teilzuhaben, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Diese Form der Anerkennung als gleichwertige Menschen und zukünftige Bürger*innen wurde vielfach diskutiert. Vorschläge dazu liegen vor. Ohne geht es nicht, wenn die Sonntagsreden über Integration tatsächlich ernst gemeint sind. Statt den ungeborenen Kindern "biodeutscher" Ehepaare hinterher zu trauern und sich alle Jahre wieder nur neue finanzielle Anreize für eine höhere Vermehrungsfreudigkeit der Alteingesessenen auszudenken, könnten doch Aufmerksamkeit und Ressourcen auch auf jene gelenkt werden, die tatsächlich zur Vergrößerung der Bevölkerung beitragen – und sie endlich auch als solche, statt als Belastung anzuerkennen.

Stattdessen ist der politische Diskurs über Zuwanderung noch immer gespickt mit Vorurteilen, Stigmatisierungen, der Heraufbeschwörung von Befürchtungen und Ängsten bis hin zur gezielten Kanalisierung von Wut. Statt durchaus berechtigte Sorgen der Menschen wie Abstiegs- und Verlustängste ernst zu nehmen, wird aktiv oder passiv in Kauf genommen, dass sich diese auf Menschen projizieren, die gar nichts dafür können, dass in Deutschland bspw. die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft oder dass im Alter immer weniger zum Leben übrig bleibt, oder dass der Rechtsstaat (der ebenfalls vom oben beschriebenen Rückzug der Institutionen betroffen ist) das Sicherheitsbedürfnis immer weniger zu befriedigen vermag. Man möchte fast sagen, dass dies eine sehr willkommene Projektion ist, schließlich lenkt sie vom Versagen der politischen Institutionen bzw. Entscheidungsträger*innen im Land hinsichtlich der Gewährleistung von Chancengleichheit ab.

So lange sich hieran nichts ändert und weiter und in letzter Zeit sogar wieder verstärkt alte Muster in der Kommunikation bedient werden, so lange wird es schwer fallen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland zurückzudrängen und jene Willkommenskultur zu etablieren, von der so gerne gesprochen wird. Zu einer Willkommenskultur gehört neben vielen fleißigen Ehrenamtlichen und starken integrativen gesellschaftlichen Institutionen eben auch: eine entsprechende Kultur der Sprache und Kommunikation.

Individuelle Lebensperspektiven eröffnen

Schlussendlich brauchen alle Menschen, die in Deutschland leben, individuelle positive Lebensperspektiven – und zwar nicht nur jene aus den privilegierten Milieus, sondern vor allem jene, die Teil der stetig wachsenden Milieus sind, die entweder bereits in relativer Armut leben, oder aber mit der ständigen Sorge leben, in diese abzurutschen. Wenn Menschen eine positive Perspektive für ihr eigenes Leben haben, würden jene psychischen Mechanismen an Bedeutung verlieren, die einerseits zwar der Selbsterhaltung dienlich sind, andererseits aber zur Diskriminierung bzw. Verletzung anderer Menschen führen – bspw. das mentale, verbale oder gar aktive Treten nach dem vermeintlichen „Unten“ zur eigenen Aufwertung.

Eröffnen lassen sich solche Perspektiven am besten in den (Aus-)Bildungsinstitutionen, die jedoch bei den letzten Kürzungsrunden ebenfalls nicht verschont geblieben sind. Und Kürzungen gehen gerade hier vor allem zu Lasten derjenigen, die auf funktionierende Förder- und Integrationsangebote außerhalb der Familie angewiesen sind. Einige sind sogar doppelt betroffen, weil nicht nur die Länder im Zuge der Schuldenbremse ihre Haushalte auch auf Kosten von Bildung kurzfristig zu konsolidieren suchen, sondern weil auch die Kommunen durch selbigen Kürzungsdruck freiwillige Leistungen im sozialen Bereich (bspw. in der präventiven Jugendhilfe) zusammengestrichen und gesetzlich festgeschriebene Leistungen auf das Minimum heruntergefahren haben. Die Mittel aus „Bildung und Teilhabe“ wirken da oft nur wie Tropfen auf den heißen Stein, weil sie an den Symptomen ansetzen und nicht an den symptomverursachenden bzw. -begünstigenden Strukturen.

Ein Masterplan für Inklusion wäre hier wünschenswert, allerdings nicht nur bezogen auf Menschen mit (körperlichen, geistigen, seelischen und Lern-)Behinderungen an staatlichen Schulen und in Kindertageseinrichtungen. Das wäre zu kurz gegriffen. Ein solcher Masterplan müsste unter dem Ziel gesellschaftlicher Teilhabe für alle, und zwar unabhängig von individuellen Voraussetzungen, neben den personellen und sächlichen Ressourcen sowie Strukturen im Bildungs- und Erziehungswesen auch die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in den Blick nehmen und die Verzahnung beider Bereiche. Er müsste privilegierte (bspw. staatlich geförderte) Arbeitsmarktchancen für arbeitssuchende Eltern umfassen ebenso wie eine Integration der Unterstützung für Zugewanderte in diese Bereiche.

Nicht zuletzt braucht es auch eine Lösung für jene Bevölkerungsgruppen, die in Deutschland schlichtweg keinen Job mehr finden, weil sie als nicht qualifiziert gelten oder einfach Pech gehabt haben im Leben. Dabei gilt es auch, die Probleme, die der Wandel im Arbeitsmarkt in den letzten zwei, drei Jahrzehnten mit sich gebracht hat, offen zu thematisieren. Dort, wo die freie Wirtschaft versagt oder einfach keine Motivation hat Arbeitsplätze zu schaffen, ist der Staat als Arbeitgeber bzw. Förderer von auskömmlicher und sinnstiftender Arbeit bzw. Beschäftigung wieder stärker gefragt.

Erschöpfend sind diese Komponenten nicht. Und eigentlich ist vieles auch nicht neu. Einiges wird mehr oder weniger erfolgreich praktiziert. Und es ist gut, dass es bereits bewährte Instrumente gibt, die in der aktuellen Situation Fortschritt versprechen und kleine Erfolge erzielen. Nur fehlt nach Ansicht des Autors ein systemischer, fachübergreifender Blick, der die vielen einzelnen bewährten und notwendige neue Ansätze unter einem Ziel integriert betrachtet und entsprechend entwickelt. Integration und Inklusion, die Auflösung von Sorgen und Befürchtungen und das Zurückdrängen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind komplexe und miteinander verknüpfte Aufgaben. Für ein Land wie Deutschland, mit seinen finanziellen, personellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ressourcen sollte dies aber zu stemmen sein - sofern gewünscht und gewollt!

Felix Peter

Felix Peter
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