Furcht vor der Freiheit? Nein!

Grundwerte In einem Essay in der SZ beklagt der Journalist Ulrich Schäfer eine “seltsame Koalition von Rechten und Linken, die unsere offene Gesellschaft gefährdet”. Eine Replik

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Es ist ein seltsames Patchwork an Argumenten, die der SZ-Journalist Ulrich Schäfer da zusammengestellt hat, um seine These von einer “Koalition” von Rechten und Linken gegen das Prinzip der Freiheit zu belegen. Bei immer mehr Menschen treffe man “auf Zweifel und Skepsis, und immer häufiger auch auf offenen Widerstand, wenn es um freien Handel geht”, so seine Diagnose. Mit dem letzten Teilsatz wird allerdings schnell klar, dass es dem Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion im Grunde gar nicht so sehr um das Prinzip der Freiheit im Allgemeinen geht. Es geht ihm um die Freiheit der Märkte.

Freiheit ist mehr als nur Freihandel

Da hilft es auch nicht, schnell noch die Furcht vor den Fluchtbewegungen als Beleg für die vermeintliche Freiheitsskepsis nachzuschieben. Schließlich ist der Text der Online-Ausgabe mit einem eindeutigen Schlagwort versehen: “Globalisierungsgegner”, die der Autor vor allem am “linken Ende des Spektrums” verortet und als solche diffamiert, “die hinter dem Freihandel bloß eine Verschwörung des Großkapitals wittern und Verträge wie TTIP und Ceta mit teils pauschalen Argumenten schlicht verhindern wollen”. Dabei vermag Schäfer weder zwischen “Globalisierungsgegnern” und Globalisierungskritiker*innen zu differenzieren, noch erkennt er an, dass pauschale Argumentationen bis hin zu gezielten Desinformationen auch bei den Freihandels-Befürworter*innen zu finden sind.

Freiheit ist doch so viel mehr, als einfach nur freier Handel. Und das müsste Ulrich Schäfer eigentlich wissen, schneidet er andere Themen doch in seinem Essay zurecht an: die Reise- und Bewegungsfreiheit, die Freiheit zur gesellschaftlichen Teilhabe oder die Freiheit der Daten. Doch all diese Freiheiten wurden spätestens seit den 90er Jahren immer stärker eingeschränkt. Auch dies reißt Schäfer an, ohne jedoch den entscheidenden Punkt zu machen: Sie wurden von Regierungen der Mitte, sei es Mitte-Links oder Mitte-Rechts, beschlossen. Nehmen wir beispielsweise die Agenda 2010 mit ihren repressiven Sanktionen für Leistungsbeziehende. Oder die Kette an Verschärfungen der Sicherheits- und Überwachungsgesetze seit 2001bis zum heutigen Tage. Oder die massiven Asylrechtsverschärfungen der laufenden Legislaturperiode.

Das waren keine Freiheitseinschränkungen durch linke oder rechte Extreme. Sie kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Ebenso wie das von Schäfer selbst beklagte Übermaß an Freiheit für die Finanzmärkte, das bis 2007 in eine globale Finanzkrise führte, die in Europa letztlich massive Einschränkungen der Freiheit weiter Bevölkerungsteile bspw. durch Arbeitsplatzverlust oder Sozialkürzungen zur Folge hatte. Und so stellt sich denn die Frage, warum der Autor so krampfhaft den Eindruck zu erwecken versucht, die Gefahr für die Freiheit ginge allein von beiden politischen Rändern aus, wo er doch zahlreiche Beispiele dafür liefert, wie aktives politisches Handeln aus der Mitte heraus Freiheit immer wieder real eingeschränkt hat.

Dabei verkennt Schäfer auch völlig die Rolle, die der von ihm gelobte Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten bei der Einschränkung von Freiheit hatte. Sieht doch das heute global etablierte neoliberale Programm vor, “Konkurrenzverhältnisse in allen Bereichen menschlichen Lebens, vor allem durch die Selbstdomestizierung des Staates, durchzusetzen”. Liberalisierung der Märkte, Freihandel, Privatisierung und Flexibilisierung sind hier die Schlagworte, die eng verbunden sind mit der Einschränkung demokratischer Prinzipien, dem Abbau des Sozialstaates oder der Beseitigung von Arbeitnehmer*innen-Rechten.

Verantwortungsvolle Freiheit

In diesem Zusammenhang begeht der Autor denn auch einen Kardinalfehler im Umgang mit den drei Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Er nennt zwar immerhin alle drei, koppelt die Freiheit von den anderen beiden jedoch ab und unterschlägt somit, dass Freiheit nur dann für alle Menschen Realität werden kann, wenn Gleichheit und Solidarität dafür die Grundlage liefern. Gleichheit und Solidarität sind allerdings spätestens seit der Umsetzung des marktradikalen neoliberalen Programms wieder auf dem Rückzug. Und so wird es schwer für die Freiheit, sich zu behaupten, da immer weniger Menschen sie sich leisten können bzw. eine solche Freiheit für sie vor allem eines bedeutet: Unsicherheit und Dauerstress.

Wenn der Autor schließlich einen “Schritt zur verantwortungsvollen Freiheit” fordert, dann fordert er zurecht eine Gesellschaft, in der es möglich ist, dass alle partizipieren können. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn Menschen real gleichberechtigt sind und im Umgang miteinander bestimmte Grundprinzipien der Solidarität nicht außer Kraft gesetzt werden. Für ein Mehr an Gleichheit und Solidarität gibt es auch ausreichend politische Vorschläge, allein es fehlt an einer konsequenten Umsetzung: ein Bildungssystem, das nicht nach sozialer Herkunft selektiert, ein Steuer- und Sozialsystem, das alle Menschen nach ihren Möglichkeiten einbezieht, oder eine öffentliche Infrastruktur, die allen gleiche Zugangschancen bietet. So lange in diesen und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens Zugänge durch steigende Kosten erschwert werden, so lange die viel zitierte und belegte Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander klafft, so lange nur diejenigen gute Chancen auf ein sicheres Leben haben, deren Eltern es sich leisten können, so lange also die Grundwerte Gleichheit und Solidarität massiv verletzt werden, so lange wird es nichts mit einer verantwortungsvollen Freiheit.

Und so gibt es auch keine merkwürdige Koalition zwischen Links und Rechts. Sie besteht zwischen der regierenden politischen Mitte auf der einen Seite, die umsetzt, wovon die in die Parlamente drängenden Rechten auf der anderen Seite so träumen: Ungleichheit und Entsolidarisierung. Gerade hier besteht der fundamentale Unterschied zu den Linken (auch wenn es da auch die ein oder andere unrühmliche Ausnahme gibt): Sie denken zu Freiheit Gleichheit und Solidarität mit, im nationalen wie im internationalen Rahmen.

Felix Peter

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