Ohne Gewissen

Kommentar Dem Tod ausgelieferte Schutzsuchende, zerrissene Familien, Deals mit Menschenleben: Eine kurze Bilanz zur Asylpolitik des 18. Deutschen Bundestages.

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Flüchtende auf einem Boot vor der Küste Libyens. An die Todesopfer der gefährlichen Flucht scheint man sich in Europa gewöhnt zu haben
Flüchtende auf einem Boot vor der Küste Libyens. An die Todesopfer der gefährlichen Flucht scheint man sich in Europa gewöhnt zu haben

Foto: ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images

Was bleibt von der Legislaturperiode des 18. Deutschen Bundestages? Es werden vier Jahre gewesen sein, in denen der Rechtsstaat unter der Führung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD bei einer durch klare Mehrheitsverhältnisse und opportunistische Grüne doppelt marginalisierten Opposition sein rechtes Gesicht gezeigt hat.

Es wird eine Legislatur gewesen sein, in der deutlich geworden ist, dass sich die Gewährung von Menschenrechten hierzulande an dem ökonomischen Wert des jeweiligen Menschenlebens ausrichtet. Eine Zeit, in der eiskalt, ohne erkennbare menschliche Regung, Gesetze so angepasst wurden, dass möglichst wenig schutzsuchende Menschen nach Recht und Gesetz noch Schutz erhalten und Menschenleben weggeworfen werden konnten und können, als hätten sie nicht mehr Wert als das Papier, das ihre Registriernummern trägt.

Wir erleben ein Land, zu dessen leitender Kultur es offenbar gehört, Menschen dem Tod auszuliefern oder sie sogar in den Tod zu schicken. Eine Maschinerie, die Familien zerreißt oder sie zerrissen zurücklässt. Ein Staat, der mit Menschenleben handelt und über Menschenleben verhandelt, als wären sie nur Bückware im Discounter.

Im Einzelnen:

Dem Tode ausgeliefert: Die Toten im Mittelmeer, die all jene verantworten, welche die Abschottungspolitik der Europäischen Union vorangetrieben oder bereitwillig hingenommen haben, sind längst “normaler” Alltag geworden. Seit dem Jahr 2000 wurden bereits über 30.000 gezählt, über 5.000 allein in 2016 und in diesem Jahr sind es auch schon Tausende. Schweigeminuten ändern daran nichts, solange es in Deutschland eine Große Koalition der Grenzschützer*innen gibt.

In den Tod geschickt: Wenn Länder, aus denen Menschen aus nachvollziehbaren Gründen flüchten, von alleine nicht sicher werden wollen, wird zudem vom deutschen Rechtsstaat versucht, diese kurzum für sicher zu erklären. Dass nach deutscher Lesart “sichere Herkunftsstaaten” allerdings keineswegs sicher sind, zeigt exemplarisch wie tragisch der jüngste Terroranschlag in Kabul, der Hauptstadt eines solchen “sicheren” Landes, bei dem hunderte Menschen zu Tode oder zu Schaden kamen. Nach Afghanistan sollte zunächst aber weiterhin ungeniert abgeschoben werden, nach einer Verschnaufpause für das deutsche Botschaftspersonal. Ob die angekündigte neue Lagebeurteilung etwas anderes bringt als eine vorübergehende Aussetzung, bleibt abzuwarten.

Zerrissene Familien: Auch das Leid der Eltern, die ihre Kinder nicht aufwachsen sehen, sie nicht bei ihrer Entwicklung fördern können, und das Schicksal der Kinder, die von denjenigen getrennt sind, die doch ihre Grundbedürfnisse nach Zuwendung und Sicherheit erfüllen sollen, scheint politische Entscheidungsträger*innen kaum mehr an ihrem Gewissen zu packen. Im Gegenteil, die Familientrennung wird weiter vorangetrieben, wie das Fernsehmagazin MONITOR gerade wieder belegen konnte. Ein veröffentlichter Brief der griechischen Regierung an den deutschen Innenminister belegt eindrucksvoll die Vorreiterrolle, die Deutschland hierbei einnimmt.

Handel mit Menschenleben: Und schließlich werden Menschen zu Handelswaren in menschenverachtenden Deals verdinglicht, sei es mit der Türkei oder mit Ländern im Norden Afrikas. Rückführung von jenen, die es trotz aller Widrigkeiten doch gewagt haben, einen Fuß auf europäischen Boden zu setzen, werden mit Geld vergolten. Und gleichzeitig werden Fluchtursachen von heute und morgen begünstigt: So ist Deutschland immer noch Spitze beim Verkauf jener Güter, die zur Bedrohung oder Beendigung von Menschenleben produziert werden: Waffen.

Der Rechtsstaat setzt im Großen und Ganzen immer bereitwilliger um, was die (neuen) Rechten seit ihrem Wiedererstarken im Zuge der gestiegenen Zuwanderung in den letzten Jahren öffentlichkeitswirksam gefordert haben: Abschottung vor und Deklassierung von Menschen, die keinen deutschen Pass haben. Und wer damit ein Problem hat und Haltung zeigt, gerät flugs ins Visier der mit immer neuen Mitteln ausgestatteten staatlichen Sicherheitsorgane, wie Nürnberger Berufsschüler*innen gerade angesichts ihres Blockadeversuchs einer Abschiebung während des Unterrichts erfahren mussten.

Irgendwann im Laufe der letzten vier Jahre ist einem entscheidenden Teil der Entscheidungsträger*innen in diesem Land das Bewusstsein für Menschlichkeit nahezu endgültig abhanden gekommen. Eine Politik ohne Gewissen und Mitgefühl beherrscht den legislativen und exekutiven Mainstream. Subtiler zwar als jene der Despoten unserer Zeit. In ihrem Umgang mit Menschenleben aber mitunter ebenso berechnend und abwertend - und im Endeffekt auch immer wieder ähnlich zerstörerisch.

Felix Peter

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