Brief an Petra Kelly

Zum 21.Todestag Über die katastrophale Entwicklung der Grünen

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Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Petra,

mittlerweile sind tatsächlich ganze 21 Jahre vergangen, seit dein intensives, engagiert und unermüdlich für Gerechtigkeit kämpfendes Leben auf so tragische Weise abrupt zu Ende ging. Vielen warst du ein unerreichbares Vorbild an Güte, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Ich hoffe sehr, dass du an deinem jetzigen Aufenthaltsort glücklich und zufrieden bist, weiß aber leider nicht, ob dir ein Blick auf die politische Entwicklung in unserem Land gestattet ist; daher möchte ich dir auf diesem Wege kurz mitteilen, was sich nach deinem Tod bei uns so alles ereignet hat: Also, zunächst konnten die Kapitalisten ihre Helfer noch weitere 6 Jahre auf den Regierungssesseln platzieren, aber 1998 hat`s dann doch geklappt. Deine GRÜNEN haben -zusammen mit der SPD- die absolute Mehrheit im Bundestag erlangt und wir alle waren überzeugt, nun würde eine neue,demokratischere, gerechtere Zeit beginnen -nach den 16 Jahren dieser miefigen schwarz-gelben Regierung von Helmut KaBunzler.

Zwar hatten wir mit Gerhard Schröder keinen Kanzler der gehobenen Kategorie bekommen und dem neuen Außenminister Joschka Fischer war der „Rausch der Macht“ nicht nur äußerlich sichtbar zu Kopf gestiegen, aber das neue Regierungsprogramm schien Hand und Fuß zu haben und dass gerade die GRÜNEN ihre Wahlversprechen einlösen würden, davon mussten und wollten wir ausgehen.

Liebe Petra, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie groß unsere Enttäuschung war, als sich abzeichnete: Diese Schurken setzen nicht nur die alte Politik fort, nein, sie erfüllen sogar noch devoter die Wünsche der Reichen und Mächtigen. Und als sie es im März 1999 schließlich geschafft hatten, mit Oskar Lafontaine das einzige anständige, ehrliche Mitglied aus dem Kabinett zu ekeln, brachen alle Dämme politischer Kultur.

Was ich dir jetzt berichten muss, meine Liebe, wirst du für absolut ausgeschlossen halten, aber es ist die reine, tief traurige Wahrheit: Ausgerechnet ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und die damalige Leitfigur deiner Grünen Partei, dieser Fischer, haben die nach dem Abgang von Hitler und Ribbentrop eingelegte, 54 Jahre andauernde Kriegspause beendet und das sowieso schon unter einem grausamen Diktator leidende Serbien bombardieren lassen. Kurz danach folgte -im Blutrausch besoffen sich labend- die „uneingeschränkt solidarische“ Beteiligung an der Ermordung, Verwundung und Verstümmelung tausender Menschen im längst ausgezehrten, geschundenen Afghanistan; die unglaubliche Begründung: Die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland, Menschen einer anderen Rasse zu bevormunden oder auch abzuknallen, wird jetzt am Hindukusch verteidigt -„seit 5.45Uhr“ haben sie nicht hinzugefügt!

Ganz bestimmt wirst du jetzt sagen: „Unmöglich! Das kann nicht sein! Meine Parteifreunde sind doch keine Massenmörder, keine Kindermörder, keine Terroristen. Krieg, der wird befohlen von asozialen Geisteskranken, von unumkehrbar Kriminellen, von gekauften Marionetten der Rüstungsindustrie, dieser widerlichsten und überflüssigsten Form wirtschaftlicher Produktivität.“ Selbstverständlich hast du recht, vergiss bitte aber nicht: Auch die allergrößten Verräter haben einmal ganz klein angefangen. Und dass Macht und Geld weichen Birnen schaden, ist nun `mal Naturgesetz.

Was gab`s sonst noch bei „Rot-Grün“? Massive Steuersenkungen und unzählige Freundschaftsdienste für Bestverdiener und Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit? Gigantische Sozialhilfezahlungen an Rüstungsdreckzeug-Produzenten, mit der absurden Begründung „Aufrechterhaltung der Landesverteidigung“? Beihilfe zum Massenmord durch die hemmungslose Genehmigung von Waffen-Exporten? Ächtung der Erwerbslosen, denen die Regierung -entgegen ihrer Pflicht- keinen Arbeitsplatz vermitteln konnte? Die Wiedereinführung der Zwangsarbeit (spöttisch „Ein-Euro-Job“ genannt)? Eine Forcierung der bundesdeutschen Überbevölkerung mittels Kindergeld-Überschwemmung? Straffreiheit für Zuhälter und Menschenhändler? Aber klar doch!

Und was war mit der versprochenen Demokratisierung in Form von Volks-Abstimmungen? Der Schaffung einer gerechteren Vermögensstruktur? Hat man sich gegenüber den sogenannten „Entwicklungsländern“ weniger unanständig verhalten, ihnen wirkliche Hilfe zukommen lassen und den deutschen Firmen die grausame Ausbeutung untersagt? Den leicht vermeidbaren täglichen Hungertod von 30.000 Menschen beendet? Wurden die Asyl Suchenden korrekter behandelt? Gab`s hierzulande weniger Naturzerstörung oder zumindest ansatzweise Tierschutz? Wagte man endlich den Versuch, unseren amerikanischen Machthabern nicht ganz so tief in den Arsch zu kriechen wie gewohnt? Wurde der kontrollierte Drogen-Verkauf legalisiert, um die Dealer zu ruinieren, die Süchtigen zu entkriminalisieren und den Fahndern wichtigere Aufgaben anzuvertrauen? Überall Fehlanzeige!

Nach sieben Jahren hatte die Fahrt mit der rot-grünen Lügner- und Betrüger-Geisterbahn schließlich ihr Ende gefunden. Und ausgerechnet deinen GRÜNEN war es gelungen, das eigentlich selbstverständliche Ideal des anständigen, unbestechlichen Politikers unwiederbringlich auszulöschen.

Nun, wo treiben diese Typen heutzutage ihr Unwesen? Versunken in der verdienten Bedeutungslosigkeit, geächtet als weichgespülte Befehlsempfänger des kapitalistischen Terrors, geteert, gefedert und mit einem gewaltigen Arschtritt zum Teufel gejagt? Abgebrannte Politiker eines 0,x%-Grüppchens, das seinen Platz auf der Müllhalde der bundesdeutschen Geschichte gefunden hat? Mitnichten! Genau das Gegenteil ist eingetreten: Eine etablierte, stinknormale Partei sind sie geworden, mit Regierungsbeteiligungen überall in der Republik. Diese schamlosen Dampfplauderer, arroganten Wichtigtuer und Weiber, von denen einige aussehen wie Kerle und sich genau so benehmen!

Ja, jetzt denkst du auch an Albert Einsteins Bonmot: „2 Dinge sind unendlich: das Weltall und die Dummheit der Menschen, beim Weltall bin ich mir allerdings noch nicht sicher.“ Aber ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Denn Viele gehen nach dem rot-grünen Desillusionierungs-Desaster überhaupt nicht mehr wählen, weil sie die Schnauze voll haben von diesem verlogenen, korrupten, als „Drecksäcke“ beschimpften Politiker-Gesindel; und die Anderen, die Unbelehrbaren, sind so verwirrt und orientierungslos, dass sie ihr Kreuzchen einfach irgendwo einzeichnen; schließlich ist es ja scheißegal, wen man wählt, die Macht liegt in einem an indirekter Demokratie leidenden Staat beim Kapital und nicht beim Volk; wenigstens das wissen wir jetzt endgültig.

Liebe Petra, es tut mir unendlich Leid, dass ich dir so gar nichts Erfreuliches berichten kann, sei aber bitte nicht zu entsetzt über die Verlumpung deiner ehemaligen Partei, freu` dich lieber, dass du dieses fürchterliche Trauerspiel nicht mehr miterleben musstest.

Könntest du abschließend bitte noch so lieb sein, Grüße auszurichten an vier Leute in deiner jetzigen Umgebung, die genauso aufrichtig und unbeugsam sind wie du: Rudi Dutschke, Jesus Christus, Hugo Chavez und an Eugen Drewermann -oder lebt der etwa noch hier bei uns?

Für dich alles Liebe und Gute!

Deine

Susi Sonnenschein

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Fräulein Sonnenschein

ab dem 8.März 2014 veröffentliche ich meine Beiträge unter dem Namen "Manuela Eisenstein"

Fräulein Sonnenschein

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