Der Sieg des Berlusconismus

Italien Vor 25 Jahren begann in Italien die Ära Berlusconi. Das war eine Zäsur: eine neue Art, Politik zu machen, setzte sich durch. Die Folgen davon sind noch heute zu sehen.

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Seine politische Karriere ist relativ spurlos an Silvio Berlusconi (Foto aus 2016) vorübergegangen
Seine politische Karriere ist relativ spurlos an Silvio Berlusconi (Foto aus 2016) vorübergegangen

Foto: Marco Luzzani/Getty Images

Fünfundzwanzig Jahre sind die Zeit einer Generation. In fünfundzwanzig Jahren werden die Kinder groß, sie werden erstmal Teenager und dann Erwachsene, sie ziehen aus der Wohnung aus und kriegen selbst Kinder. Für ihre Eltern fängt hingegen ein neuer Lebensabschnitt an: sie nähern sich dem Lebensabend, sie gehen in Rente, manche von ihnen werden zu Großeltern. Egal, ob Generationen heutzutage eher dreißig anstatt fünfundzwanzig Jahren andauern: fünfundzwanzig behält immer noch eine bestimmte Symbolik. Ein Vierteljahrhundert, eine Zahl, die für sich spricht.

Vor fünfundzwanzig Jahren, in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1994, steht ein erfolgreicher Unternehmer namens Silvio Berlusconi vor lautem Applaus und blendendem Kameralicht. Zwei Monate davor ist er mit seiner Partei Forza Italia, die er gerne noch Bewegung nennt, offiziell in die Politik eingetreten. Erfahrung hat er keine, trotzdem – oder gerade deshalb – gelingt es ihm, sich als Homo Novus der italienischen Politik vorzustellen. In den Augen der Wähler ist er der erfolgreiche self-made man: aus dem nichts ist er mit seinem Unternehmen reich geworden und genauso wie sein Unternehmen will er nun den Staat regieren – moderner und effizienter soll er werden, aber vor allem liberaler. Sein Sündenbock sind die Kommunisten, seine Kraft das Fernsehen: er besitzt mehrere Sendekanäle und nutzt diese, um die Menschen direkt und ohne die Filter der Presse anzusprechen. Und tatsächlich fühlen sich die Italiener, eher Fernsehzuschauer als Zeitungsleser, angesprochen wie nie zuvor. Wie zum Beispiel im Januar 1994, als er mittels einer Videoaufnahme seine "discesa in campo", den Einstieg auf das Feld der Politik, verkündet. Berlusconi spricht dabei vom «großen Traum» und vom Kampf gegen die «alte politische Klasse», und die Menschen mögen es. Eine Reihe von gerichtlichen Untersuchungen, die Anfang der Neunziger Jahre durchgeführt wurden, hat nämlich gezeigt, dass das politische System des Landes in großer Maße von Korruption und kriminellen Verflechtungen dominiert ist. Die wichtigsten Parteien der Nachkriegszeit erliegen somit dem Skandal, es ist Zeit für etwas Neues.

Nun steht also Berlusconi da, wenige Tage nach dem Frühjahrsanfang im Jahr 1994. Im Ausland läuft alles wie gewohnt ab: Deutschland befindet sich in der Mitte der Ära Kohl, in Frankreich regiert seit langem Mitterrand, in Großbritannien der Nachfolger von Margaret Thatcher John Major, in den Vereinigten Staaten Bill Clinton. In Italien hat man eben gewählt: die Wahllokale sind seit wenigen Stunden geschlossen und die ersten Wahlprognosen, die Berlusconi in Mailand erreichen, sprechen von einem klaren Sieg seiner Partei und seiner Koalition. Der Cavaliere, zu Deutsch Ritter, wie die Medien ihn nennen, hat es in nur wenigen Monaten geschafft: er wird Ministerpräsident. Seine Ernennung ist ein Moment der Zäsur für die Geschichte des Landes: die sogenannte "Erste Republik" geht zu Ende, eine neue Art, Politik zu machen, setzt sich durch – ein Zufall, dass das eben in Italien passiert? Der Politikwissenschaftler Marco Revelli argumentiert in seinem Buch Populismo 2.0, dass besonders in Italien der Übergang von einer Industrie- zu einer moderneren Dienstleistungsgesellschaft schiefgelaufen war. Wirtschaftlicher Rückgang, Verarmung der Familien und wachsende Ungleichheit hatten sich hier deutlich früher als in den anderen westlichen Ländern verwirklicht und gleichzeitig eine neue soziale Klasse gegründet: diejenige der Unzufriedenen, der Wütenden, der Vertrauenslosen. Diejenige der Menschen, die sich von der Politik nicht mehr vertreten fühlen. Ein optimales Testgelände also, um das traditionelle politische System umzukrempeln – ohne allerdings die tieferen gesellschaftlichen Strukturen und Dynamiken, die ihre Schwäche zeigten, infrage zu stellen.

Silvio Berlusconi zeigt sich sofort als Polarisator und schafft jenes Schlachtfeld, worauf die ganzen Frustrierten des Landes nur gewartet haben. Er hetzt gegen seine politischen Gegner und die Staatsanwaltschaft, verabschiedet Gesetze, die in erster Linie seine eigenen Interessen als Unternehmer betreffen, schwächt die Arbeitnehmerrechte, beeinflusst maßgeblich den öffentlichen Rundfunk, liiert sich mit umstrittenen Leadern wie Gaddafi und Putin, seine engen Vertrauten schaffen Verbindungen mit der organisierten Kriminalität. Sein Frauenbild wird über das Fernsehen übertragen: ein bedeutungsloses Figürchen, fast komplett unbekleidet, das nur dafür da ist, seine Schönheit zu zeigen und damit den männlichen Moderator zu assistieren. In der ausländischen Presse ist stets die Rede von einer politischen Krise, doch die Krise geht weit über das hinaus: sie betrifft alle Aspekte der Gesellschaft.

Dass Berlusconi kein vereinzeltes Experiment, sondern ein wiederkehrendes Motiv der heutigen Politik werden sollte, hat man erst nach der Wirtschaftskrise verstanden, als in vielen westlichen Ländern die traditionellen Parteien in die Krise gerieten. Erst dann verstand man, dass dieser skurrile aber schlaue Staatsmann, der das Medium Fernsehen wie kein anderer zu verwenden wusste, gar keine italienische Anomalie war. Für solche Experimente hat der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde den Begriff "Populismus" verwendet, nämlich «eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Gesellschaft in zwei homogene, antagonistische Gruppen getrennt ist, das ‚reine Volk‘ und die ‚korrupte Elite‘, und die geltend macht, dass Politik ein Ausdruck der volonté générale oder des allgemeinen Volkswillens sein soll».

Fünfundzwanzig Jahre danach spielt Berlusconi in der italienischen Politik keine Hauptrolle mehr. Zwar erreicht seine Partei laut Umfragen immer noch 10% der Stimmen, doch die politische Rechte wird nunmehr vom Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini dominiert. Trotzdem hat der Berlusconismus, wie die Medien diese von ihm geführte politische und soziale Bewegung nannten, erstmal gewonnen. Die linke ist zerstört und unfähig, eine reelle Alternative darzustellen, der Antifaschismus wird nicht mehr als Wert wahrgenommen, das Individuum (und sein Nutzen) hat die Kollektivität ersetzt, das Vertrauen in den Staat ist verschwunden. Noch schlimmer, die Spaltungen in der Gesellschaft – egal ob zwischen Reichen und Armen, zwischen Einheimischen und Ausländern, zwischen Nord und Süd – werden größer. Dass im Moment nicht Berlusconi selbst, sondern die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung von diesem Nährboden profitieren, mag unwichtig sein. Eine Verbesserung (oder besser: eine Normalisierung) des politischen Diskurses scheint nicht in Sicht zu sein – und warum bloß: seit fünfundzwanzig Jahren geht es langsam aber unvermeidlich bergab.

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