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Italien Einsturz der Autobahnbrücke – oder wie man eine Tragödie instrumentalisiert

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Die Verantwortlichen waren schnell gefunden
Die Verantwortlichen waren schnell gefunden

Foto: Jack Taylor/Getty Images

Die Jagd nach den Schuldigen hat diesmal besonders früh angefangen. Wenige Stunden nach dem Einsturz der sogenannten Morandi-Autobahnbrücke in Genua, als die Rettungskräfte im vollen Einsatz waren und viele Menschen noch vermisst wurden, hatte die italienische Regierung die Verantwortlichen für die Tragödie schon gefunden. Der Verantwortliche – so Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio der Fünf-Sterne-Bewegung – habe einen Namen und einen Nachnamen, nämlich der private Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia. Gegen das Unternehmen hat die Regierung unmittelbar nach dem Unfall einen wahren Kreuzzug eingeleitet: „Autostrade muss für die Instandhaltung sorgen und hat dies nicht gemacht“, behauptete Di Maio dem Radiosender Radio Radicale. Der Verkehrsminister Danilo Toninelli sagte, gegen den Betreiber seien Schritte eingeleitet worden, um ihm die Lizenz zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen. Auch Innenminister Matteo Salvini der Rechtsaußen-Partei Lega sprach sich für einen Entzug der Genehmigung im ganzen Land aus. Das sei das Mindeste, was man erwarten könne - neben dem Rücktritt des ganzen Managements.

Autostrade per l'Italia sei aber nicht der einzige Schuldige für den Brückeneinsturz, der bisher das Leben von 43 Personen kostete. Auch die Europäische Union und ihre „verrückten Beschränkungen“ hätten Italien gehindert, „das nötige Geld für die Sicherheit von Flüssen, Schulen, Autobahnen und Krankenhäusern“ auszugeben, schrieb Innenminister Matteo Salvini auf Twitter. Schuldig seien auch die bisherigen Regierungen, die, wie Di Maio sagte, den Autobahnbetreiber „politisch gedeckt haben“ und von der Unternehmerfamilie Benetton, die Autostrade per l'Italia kontrolliert, kassiert hätten. „Es ist Zeit – schrieb Di Maio auf dem Blog der Fünf-Sterne-Bewegung – die Rechnung denen zu präsentieren, die die Italiener betrogen haben“. Salvini ist derselben Meinung: „Zuerst kommt die Sicherheit der Italiener“.

Die Statements der Regierungsvertreter erinnern mehr an einen Wahlkampf als an einen offiziellen Besuch des Unfallortes: wichtig sind dabei die Provokationen und die großen Worte, nicht die Klarheit der Kommentare. Auf so einer Bühne spielt es demnach keine Rolle, dass die Europäischen Kommission für die Instandhaltung von Straßen und Brücken gar nicht zuständig ist, und ebenfalls wird verschwiegen, dass der Entzug der Konzession an Autostrade per l'Italia juristisch sowie wirtschaftlich als unwahrscheinlich, oder zumindest als sehr schwierig, gilt. Vor allem wird aber ignoriert, dass die Ursachen für den Brückeneinsturz erstmal genau untersucht werden müssten, was nicht innerhalb von 24 Stunden passiert. Die Behörden vermuten, dass der Einsturz durch strukturelle Schwächen am Bau ausgelöst worden ist, wer dafür die Verantwortung trägt, muss aber noch geklärt werden. Das sollte am besten durch einen juristischen und nicht durch einen medialen Prozess passieren, wie es in modernen und demokratischen Ländern üblich ist.

Viele Kommentatoren sind der Meinung, dass der Einsturz der Autobahnbrücke von Genua ein Symbol für den schlechten Zustand der italienischen Infrastruktur darstellt. Das mag wohl wahr sein: schon in den letzten Jahren sind Autobahnviadukte oder Teile davon eingestürzt, andere gelten als instabil und reparaturbedürftig. Der Einsturz und dessen Reaktionen sind aber auch das Symbol einer miserablen politischen Debattenkultur, die unfähig ist, klar und vernünftig zu bleiben. Wenige Stunden nach dem Einsturz twitterte Innenminister Matteo Salvini: „An einem so traurigen Tag, eine positive Nachricht. Das Schiff NGO Aquarius wird nach Malta fahren und die Migranten werden zwischen Spanien, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Deutschland verteilt. Wie versprochen, nicht in Italien, wir haben schon genug getan“. Ein Glück, haben im Land bestimmt viele gedacht.

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