Von wegen liberté de la presse

Charlie Hebdo Auch in Italien haben die Menschen für die Pressefreiheit demonstriert. Das Land, wo Korruption und Bedrohung den Journalismus prägen. Zum Teil mit Zustimmung

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Italiens Premierminister Matteo Renzi nach dem Attentat auf Charlie Hebdo in Paris
Italiens Premierminister Matteo Renzi nach dem Attentat auf Charlie Hebdo in Paris

Foto: Matthieu Alexandre/AFP/Getty Images

Wir sind alle Charlie. In Paris, Berlin, Madrid, London. Auch in Rom sind wir Charlie, wir posten das auf Facebook, wir twittern es. "Hast du gehört, was in Frankreich passiert ist?", "Unglaublich, wortlos". Wir sind alle empört, angewidert. Denn wir lieben die Pressefreiheit. Oh ja, wir lieben sie, und wie. Wir unterstützen sie und glauben an die Arbeit der Journalisten. Die Pressenfreiheit ist für unsere Gesellschaft etwas unverzichtbares und dafür kämpfen wir.

In vorigen Absatz stimmt etwas nicht. Nein, Charlie ist leider nicht die Antwort. Der Anschlag auf die Pariser Redaktion hat tatsächlich stattgefunden, wir alle haben die Videos des Polizisten Ahmed gesehen und dutzende Kommentare darüber gelesen. Auch die mediale Resonanz hat stattgefunden: Posts, Artikel, Fotos in der ganzen Welt, zumindest in unserer Welt. Was nicht stimmt ist eher etwas anderes, und zwar die Liebe für die Pressefreiheit. Nehmen wir Italien, das sich traditionell in den Ranglisten der Pressefreiheit sehr schlecht platziert. Heute sind wir alle Charlie, morgen ist aber ein anderer Tag - und von heute auf morgen kann man die Prioritäten eines Landes nicht herumdrehen. Was die Pressefreiheit angeht, scheint sie dort ziemlich weit unten zu liegen.

Darüber gibt es jede Menge Studien, zwei davon sind dem italienischen Publikum wahrscheinlich bekannt. Die erste ist die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, die jährlich den World Press Freedom Index veröffentlicht. 2014 kann man Italien an der 49. Stelle, zwischen Niger und Taiwan und nach einem Großteil der europäischen Länder, finden. Und das ist schon mal gut: denn immerhin hat Italien in diesem Jahr seine Position um acht Plätze verbessert und letztendlich die Farbe "Gelb" (wie Frankreich, Spanien oder Großbritannien und nicht mehr das "Orange" Ungarns oder des Balkans) bekommen. Schlechter fällt hingegen der Bericht von Freedom House aus, der sagt, dass die italienische Presse nur "Partly free" sei (genauso wie in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Griechenland).

Eigentlich ist das keine Neuigkeit, denn in dieser Hinsicht ist Italien seit Jahren auffällig. Selbst die Probleme sind immer die gleichen: Interessenkonflikte, Einmischung in die Redaktionen, schlechte Arbeitsbedingungen für Journalisten, Bedrohungen und darauffolgend Selbstzensur und letztendlich umstrittene Gesetze, die das alles legitimieren. Probleme, die debattiert aber nie gelöst werden und alles mit der Zustimmung vieler Politiker, Unternehmer und Bürger, die aus Interesse oder Faulheit handeln.

In Deutschland wird in diesen Tagen viel über die sogenannte "Lügenpresse" diskutiert, in Italien ist der Ruf schon lange negativ: unter den Leuten gelten die Medien als ignorant, korrupt, arrogant. Ständig sieht man in der Presse den perfekten Schuldigen und ständig hört man Sätze wie: "Die Presse hat uns alle manipuliert", "Die Journalisten sind korrupt" und man könnte so fortsetzen. Doch der Empörung, oft völlig legitim, folgt kein reales Engagement. Der italienische Qualitätsjournalismus leidet und wird zur Nische, die guten Medien sterben, die Information läuft immer mehr über Entertainment-Kanäle. Aber das scheint, zumindest die große Mehrheit, nicht zu stören. Oder, besser gesagt, gleichgültig zu sein. Sieht so Liebe für die Pressefreiheit aus?

Trotzdem sind auch in Italien viele auf die Straße gegangen. Ministerpräsident Matteo Renzi ist nach Paris geflogen. Zuhause wurde und wird darüber gesprochen, sodass man plötzlich dachte, auch hier passiert etwas, auch hier kann man die eigene Pressefreiheit wertschätzen und für sie kämpfen, wie man in der Vergangenheit für die Freiheit, für bessere Arbeitsbedingungen oder selbst für das Brot gekämpft hat. Oder vielleicht nicht. Vielleicht wurde aber auch gar nicht zugunsten der Pressefreiheit, sondern der eigenen Angst demonstriert. Das wäre dann eine andere Geschichte.

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