Die Wirtschaftswissenschaften sollen endlich plural werden, fordern viele Studierende. Die Alteingesessenen der Ökonomik halten dagegen, diese Forderung gehe an der Realität vorbei. Pluralität gebe es längst, die Kritiker trügen Eulen nach Athen, so der selbstgefällige Tonfall vieler Etablierter wie etwa des Nachwuchsbeauftragten der größten deutschen Ökonomen-Vereinigung, des Vereins für Socialpolitik, Rüdiger Bachmann.
Doch dieser Argumentation ist nur schwer zu folgen. Nach dem Verständnis der großen Mehrheit der Ökonomen geht es in ihrem Fach um die „Allokation knapper Ressourcen“. Demnach braucht man immer mehr oder etwas anderes, als man hat. Das soll hinreichend sein für die Erklärung wirtschaftlichen Handelns. Vertreter des Mainstreams propagieren, ein „methodologischer Individualismus“ unter Bezugnahme auf eine zum „Gleichgewicht“ führende „Zielmaximierung unter Beschränkungen“ erkläre jene Allokation knapper Ressourcen. Innerhalb dieses Rahmens werden dann verschiedene Modellvarianten präsentiert. Dass dies kein Pluralismus ist, sondern eine Engführung von Forschung und Lehre nach sich zieht, wollen die Verteidiger des Status quo nicht anerkennen.
Welche Modelle sich Ökonomen für ihre Analysen konstruieren, hängt zum einen davon ab, welcher soziale Kontext betrachtet wird: Einzelakteure, Haushalte, Unternehmen, Kleingruppen, Teilmärkte oder die Marktgesamtheit. Zum anderen variieren die Randbedingungen, die für die Zielmaximierung der Akteure angenommen werden: Werden ihre Handlungen von einer sanften planenden Hand koordiniert, geht es also insoweit um von außen gesetzte parametrische Rationalität? Müssen sie sich gemäß der probabilistischen Rationalität auf Risiken einstellen? Ist strategische Rationalität von Belang, beeinflussen andere Akteure die Zielrealisierung der Akteure? Oder sind die Informationen im Sinne opportunistischer Rationalität asymmetrisch verteilt? Geht es sogar um fehlerhafte Rationalität, sind die Akteure Opfer von Fehleinschätzungen? Die Varianten führen zu unterschiedlichen Modellkonstruktionen, deren Existenz trotz des gemeinsamen konzeptionellen Nenners als Pluralismus ausgegeben wird.
In der die Ökonomik dominierenden „allgemeinen Gleichgewichtstheorie“ wird die geplante Rationalität mit der Betrachtung der Gesamtheit aller Märkte verbunden. Dabei werden die Handlungsmöglichkeiten der Akteure modelltheoretisch so stark eingeschränkt und ihre Informationsausstattung so stark ausgedehnt, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als sich zu einem harmonischen Gleichgewicht zusammenzufügen.
Ein einziger Nenner
Die mit diesem Ansatz verbundenen Plausibilitätsmängel waren der Hintergrund für weitere Ausdifferenzierungen: Die Einbeziehung der strategischen Rationalität erfolgte in Gestalt der „Spieltheorie“, zunächst bei der Betrachtung von Kleingruppen, dann bei der von Teilmärkten und schließlich bei der Analyse der Gesamtheit der Märkte. Darüber hinaus wird in der „Transaktionskostenökonomik“ berücksichtigt, wie die opportunistische Rationalität sich auf die Entscheidungsfindung auswirkt und womöglich in Gestalt einer vertraglichen Vorsorge eingeschränkt werden muss. Neuerdings thematisiert die „Verhaltensökonomik“ sogar, wie ökonomische Akteure aufgrund menschlicher Schwächen von den postulierten Standards abweichen können: Ein Mensch, der nicht einzig auf seinen individuellen Nutzen aus ist, wird im Rahmen der fehlerhaften Rationalität als Teil eines ökonomischen Modells dahingehend geprüft, wie ihm Lernprozesse und „Stupser“ bei der Wiederherstellung der vom Modell geforderten Rationalität dienlich sein könnten.
Diese unterschiedlichen Modellkon-strukte der modernen neoklassischen Mikroökonomik werden flankiert durch die moderne neoklassische Makroökonomik in Gestalt der „Dynamic Stochastic General Equilibrium“-Modelle (DSGE). Die Differenzierungen der Spieltheorie, der Transaktionskostenökonomik und der Verhaltensökonomik sucht man hier vergebens; stattdessen wird die Planungslogik der allgemeinen Gleichgewichtstheorie wiederbelebt, vor allem in Gestalt nur eines einzigen repräsentativen Konsumakteurs, der mit seiner zielmaximierenden Wahl zwischen Konsum und Freizeit das gesamte wirtschaftliche Geschehen vorantreibt und dabei nur durch von außen kommende geldpolitische oder technologische Schocks gestört wird, aber selbstredend, durch seine rationalen Erwartungen geleitet, den Gleichgewichtspfad findet.
Der gemeinsame Nenner dieser Ausdifferenzierungen der modernen Neoklassik ist der Versuch, bestimmte Komplikationen in die Modellkonstruktion einer zum Gleichgewicht führenden Maximierungsrationalität zu integrieren. Da diese Ausdifferenzierungen nicht Werk eines Wissenschaftsplaners sind, sondern an verschiedenen Orten von verschiedenen Personen vorangetrieben wurden, überrascht es nicht, dass diese unterschiedlichen Modellkonstruktionen nicht konsistent ineinander überführt werden können. Dies gilt nicht nur für das angespannte Verhältnis von Mikro- und Makroökonomik, sondern auch innerhalb der Mikroökonomik selbst, indem der leitende Status der allgemeinen Gleichgewichtstheorie sich nicht ohne Weiteres an den mikroökonomischen Ausdifferenzierungen verifizieren lässt.
Alle diese internen Differenzierungen sind aber eingebunden in das allgemeine neoklassische Grundverständnis des Wirtschaftens, sodass es eher naheliegt, von einer arbeitsteiligen Forschungs- und Lehrorganisation innerhalb geteilter Leitvorstellungen, einem „Paradigma“, zu sprechen. Dieses Paradigma dominiert mittlerweile die weltweiten Forschungs- und Lehraktivitäten in der Ökonomik.
Die damit verbundenen Festlegungen sind aber weder zwingend noch in sich konsistent: Die „Allokation knapper Ressourcen“ ist allenfalls für die Entscheidungsfindung von Robinson Crusoe geeignet, nicht aber für die Erklärung moderner Marktgesellschaften. Der „methodologische Individualismus“ wird durch die dem Handeln zugrunde gelegten mathematischen Modellkonstrukte ad absurdum geführt und der Nachweis, dass „zielmaximierendes“ individuelles Handeln ein gesellschaftliches Gleichgewicht hervorbringen würde, wird zwar stets postuliert, bleibt aber ein frommer Wunsch.
Auf sich selbst bezogen
Wie kann die Dominanz dieses Paradigmas erklärt werden? Generell ist mit einer auf sich selbst bezogenen Wissenschaft eine Affinität zu Paradigmen verbunden, da diese für Teilnehmer die Möglichkeit vereinfachen, an das anzuschließen, was andere Wissenschaftler machen. Darüber hinaus weist die moderne Neoklassik Eigenschaften auf, die sie als Paradigma sehr geeignet machen: sie hat ein affirmatives Grundverständnis gegenüber marktwirtschaftlicher Realität, obwohl sie sich im engeren Sinne wenig mit dieser Realität beschäftigt. Sie grenzt sich mit der Orientierung an „pure economics“ klar von sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen ab und erspart so den Ökonomen den mühevollen Blick über den Gartenzaun. Und sie weist, bedingt durch die Verwendung spezifischer mathematischer Methoden, zumindest verglichen mit anderen Paradigmakandidaten eine relativ hohe Stringenz auf. Die Dominanz dieses Paradigmas verdankt sich aber einer vor allem in den USA während und nach dem Zweiten Weltkrieg exerzierten Wissenschaftspolitik, die zur Herausbildung der allgemeinen Gleichgewichtstheorie sowie der Spieltheorie mit allen Folgeentwicklungen Anlass gegeben hat.
Wer einen genauen Blick auf die Ökonomik werfen will, sollte erstens zwischen historischer und moderner Neoklassik unterscheiden. Zweitens sollte die interne Heterogenität der modernen Neoklassik nicht über ihre allgemeine Geschäftsgrundlage hinwegtäuschen. Drittens ist die Dominanz der modernen Neoklassik ein Artefakt, das einen theoretischen Totalitarismus und in der Praxis rigide Ausschlussprozeduren mit sich bringt. Pluralisierung kann daher wohl nicht allein ein forschungsbezogener wissenschaftsinterner Prozess sein, sondern muss mit Bezug auf die universitären Ausbildung etwa über die gesellschaftliche Anforderungen an die politische Bildung hergestellt werden.
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