Eigentlich ist es eine ideale Ausgangsposition: zwei Regierungen in Berlin und Bogotá, die sich einer sozialökologischen Transformation und dabei vor allem einer Dekarbonisierung verschrieben haben. Und doch sind die deutschen Kohleimporte aus Kolumbien im vergangenen Jahr explodiert. Die Sorgen um Umweltzerstörung und missachtete Menschenrechte in dem südamerikanischen Land sind offenbar in die zweite Reihe gerückt – allerdings nicht für die lokale Bevölkerung.
Vom „paz total“, dem totalen Frieden, spricht die linke Regierung von Präsident Gustavo Petro und führt Gespräche mit Guerilla- und paramilitärischen Gruppen. Erkennbar dauert es, bis dies zu spürbarem Wandel in den betroffenen Regionen führt. „
t. „Wir sagen, es gibt keinen Frieden, wenn wir nicht in Sicherheit leben können. Während jetzt alle vom Frieden sprechen, gibt es bei uns mehr Gewalt“, sagt Hilda Victoria Arrieta, Vertreterin afrokolumbianischer Gemeinden im Umfeld der Kohleminen des Bergbaumultis Glencore.Seit Jahrzehnten wird im Norden Kolumbiens, in den Provinzen Cesar und La Guajira, aus riesigen Tagebauen Kohle für den Weltmarkt gefördert. Ein gutes Geschäft für den Konzern und seine Kunden, nur nicht für die Leute vor Ort. Die beiden Provinzen gehören zu den ärmsten Gegenden des Landes; mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist nach den Angaben des UN-Welternährungsprogramms einer unsicheren Versorgung ausgesetzt „Viele unserer Kinder sind krank, besonders die Haut und die Atemwege leiden unter dem Kohlestaub“, klagt die Aktivistin Hilda Victoria Arrieta. „Unter den Erwachsenen gibt es zahlreiche Fälle von Krebs und Infarkten. Wir brauchen unbedingt eine unabhängige Untersuchung zu den gesundheitlichen Folgen des Kohleabbaus.“Seit Jahrzehnten werden die Bergbauregionen von gärenden, teils brutalen Konflikten in Schach gehalten. Ganze Gemeinden mussten weichen, weil ihre Dörfer von den Minen verschluckt wurden, ohne dass an eine Entschädigung zu denken war. Staatlich vorgeschriebene Umsiedlungspläne haben die großen Kohlemultis kaltblütig ignoriert.Auch deshalb hatte die Regierung Petro neben dem Bemühen um Frieden eine Dekarbonisierung der Wirtschaft angekündigt, freilich stiegen in ihrem Antrittsjahr 2022 die Kohleexporte um 117 Prozent auf einen Wert von umgerechnet 11,5 Milliarden Euro, stimuliert nicht zuletzt durch die wachsenden deutschen Direktimporte, die sich im Vorjahr gegenüber 2021 mehr als verdreifacht haben. Mindestens 16 Prozent der in Deutschland verfeuerten Kohle stammen aus Kolumbien. Sie ersetzt für RWE und andere Energieunternehmen die Kohle aus Russland, und das ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.Die Ausfuhren dürften mittelfristig zurückgehen, wobei sich vor Ort schon jetzt ein makabres Ausstiegsszenario zeigt. Glencore hat 2020 plötzlich die Schürflizenzen für zwei seiner Minen in Cesar zurückgegeben, trotz einer längeren Laufzeit der Verträge. Tausende wurden entlassen, was die Ökonomie einer ganzen Region zu Boden geworfen und zu einer extrem angespannten Situation geführt hat. Fast alle Unterzeichner einer „tutela“ – einer in der Verfassung verankerten Grundrechtsklage – gegen eine Tochterfirma von Glencore in Kolumbien haben Morddrohungen über Telefon erhalten. „Wir wissen nicht, von wem die Drohungen kommen, aber die Botschaft ist klar: Zieht euch von der Klage zurück oder ihr werdet die Konsequenzen spüren“, so die Rechtsanwältin Diana Marcela Álvarez von der Unterstützergruppe „Tierra Digna“. In einer Region, in der paramilitärische Gruppen eine lange Tradition hätten, sei das keine zu vernachlässigende Drohung. Eine Anklage gegen zwei Direktoren des anderen großen Kohlemultis in Kolumbien, des US-Konzerns Drummond, hat die Generalstaatsanwaltschaft in Bogotá soeben angekündigt. Begründung: Das Unternehmen fördere Paramilitärs.Die zwölf Gemeindeverbände und zwei Gewerkschaften bekamen mit ihrer „tutela“ Recht: Glencore müsse einen runden Tisch zum Auffangen der Minenschließung einrichten. Aber der in der Schweiz beheimatete Konzern bewegt sich nicht, lässt stattdessen in dieser Boomzeit aus informellen Minen in anderen Provinzen Kohle herankarren und über kolumbianische Häfen verschiffen. Was Glencore zur Imagepflege verbreitet, wirkt da geradezu zynisch: „Im Jahr 2022 haben wir 90 Millionen Dollar für Programme zur Gemeindeentwicklung ausgegeben. Das ist ein Anstieg von 33 Prozent gegenüber 2021.“ Was nicht erwähnt wird: Im Vorjahr konnte Glencore seinen Nettogewinn auf 17,3 Milliarden Dollar verdreifachen, wovon mehr als die Hälfte aus dem Kohlegeschäft resultierte.Kolumbien ist von der Bundesregierung zum Partnerland in Südamerika auserkoren worden und ist beliebtes Reiseziel grüner Politiker. Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan war dort, die Minister Cem Özdemir und Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock erst vor wenigen Tagen. Sie möge bitte ins Kohlegebiet reisen und sich ein eigenes Bild machen, hatte Jakeline Romero von der indigenen Frauenorganisation „Fuerza de Mujeres Wayuu“ aus der Region der riesigen Glencore-Mine Cerrejón gebeten. Nichts dergleichen geschah.Es entsteht der Eindruck, dass die deutsche Regierung die Augen vor den Realitäten beim Kohleabbau in Kolumbien verschließt. Sicherlich ist es keine leichte Mission, langjährige Strukturen neokolonialer Ausbeutung und radikaler Naturzerstörung zu überwinden. Nur muss man genau hier ansetzen, wenn Präsident Gustavo Petro in dieser Woche Berlin besucht und erste Leitplanken einer Klimapartnerschaft erkennbar werden sollen. Wie sonst sollte eine auf Werte bedachte Außen- und Entwicklungspolitik Gestalt annehmen, wenn nicht durch den Schutz von Menschenrechten in einer durch die Ausbeutung von Ressourcen schwer gezeichneten Natur?Diese Lage kann man nicht überwinden, indem großen Unternehmen statt der Kohleförderung die Produktion von Wind- und Sonnenenergie überlassen wird, ohne die lokalen Gemeinden einzubeziehen – was bereits in den beiden Provinzen Cesar und Guajira zu massiven Konflikten geführt hat.