Schon recht früh nach der Geburt von BB aus dem Geiste des kommerziellen Fernsehens war offensichtlich, dass hier ein neuartiges Format auf der Bildfläche erschienen war. Dieses beschränkt sich nicht allein auf die formale Durchmischung von Elementen der Soap, des Reality-TV und der Gameshow, sondern scheint den Zuschauern ein Fernseherlebnis zu bieten, das sich entgegen früherer Abgesänge noch lange nicht verbraucht hat, vielmehr sich gerade erst in verschiedenste Versionen aufzufächern beginnt. Die jüngst gestartete Abart Girlscamp macht nun das Dutzend voll.
Die von den Spielregeln verordnete Kargheit der Bedingungen im Container scheint nicht zu den tragenden Säulen des gesamten Formats zu zählen. Das Camp der Girls ist eine prunkvolle Villa auf einer Insel im atlantischen Ozean. Aber im ironisierenden "Back to Luxus" der Girlscamp-Homepage zeigt sich das "back to" als paradigmatisch: Das Versprechen einer Authentizität, die paradoxerweise erst unter Sonderbedingungen erzeugt werden kann.
Genauso austauschbar scheinen die verschiedenen Aufgaben zu sein, die die Kandidaten in den jeweiligen Settings zu bewältigen haben. Die jeweiligen Spiele, sei es der Überlebenskampf in Dschungel oder Luxusvilla, stellen nur die Folie dar, auf der sich die Charaktere offenbaren können. Die Kandidaten der ersten Stunde hatten also die weitgefasste Aufgabe, sich in den "wichtigsten Wochen ihres Lebens" (Manu) eine soziale Identität zu bauen, die sich sowohl aus der Innenperspektive der Container-Gruppe als auch der der Öffentlichkeit als konsensfähig erweist. Gefragt waren damit Selbsttechniken, die letztlich auf ein effektives Beziehungsmanagement ausgerichtet sind. Wie im wirklichen Leben war dabei immer der Spagat zu leisten, sich zum einen angesichts der Anforderungen der sozialen Umgebung, hier der Container-WG, als integrationsfähig, als zugehörig zu beweisen. Gleichzeitig musste man und frau natürlich die "kleinen Unterschiede" aufweisen, die einen gegen die Anderen auszeichnet. Konkret hieß dies, ein möglichst dichtes Beziehungsnetz im Container aufzuspannen, ohne sich freilich zu everybody's Darling zu machen.
Diese Aufgabe entspricht der zeitgenössischen Âganzheitlichen Erweiterung des Eignungstests, im Mediensystem Casting genannt. Der nicht enden wollende Nachlauf zur eigentlichen Staffel hat gezeigt, welche Figuren sich auch noch zum x-ten Recycling ("Mit Zlatko auf dem Einwohnermeldeamt") eigneten. Diese Entwicklung entstammt ursprünglich veränderten Anforderungen an die Arbeitskraft, in einschlägiger Literatur wird offen von "Self-Management" gesprochen. Die Docu-Soaps zeigen eindringlich, wie die Bedingungen des Erwerbslebens sich in den Bereich der sogenannten Freizeit ausdehnen. Sich als Freizeit-Profis kompetent der Beziehungspflege zu widmen, wird auch in der dritten Staffel die Aufgabe der wackeren Truppe sein.
Jeder aber merkt, wenn auch sonst nichts, dass es im Girlscamp um Sex geht. Schon lange vor Sendestart warben allüberall die Kandidatinnen oder solche, die es werden wollten, für knappe Bademoden. Hier wird der Mechanismus noch einmal verlängert: die Vorauswahl der Kandidatinnen wird selbst noch medial inszeniert, quasi als Casting zum Casting.
Ein zweiter Blick auf das Regelwerk verrät allerdings eine regelrechte Verbannung der erotischen Hauptsache. Haben sich nämlich Boy und Girl endlich gefunden, verschwinden sie aus dem Format zu einer intimen Traumreise (auch wenn diese parallel wohl doch wieder medial begleitet werden sollte). Der Aufenthalt eines ausgewählten Mannes für ein Wochenende in der Villa dient erklärtermaßen der Auswahl, nicht dem Vollzug. Im Girlscamp ist nicht die Vereinigung selbst, sondern der Weg dorthin der Gegenstand der Bewährung. Es wird die Fähigkeit evaluiert, erfolgreiche Techniken einer Produktion von Begehrtheit zu entwickeln. Dies ist das charakteristische Extra zum traditionellen Setting, das auch hier aus den bewährten Nominierungsverfahren besteht. "Die Trauminsel ist eine Herausforderung und gibt sich nicht jedem gleich hin - sie will erobert werden", erfahren wir auf der Homepage über den Ort der Handlung. Gemeint sind natürlich die "schönen Single-Frauen".
Die Pointe der Sendung geht damit über geile Männer, die halbnackte Frauen begaffen, hinaus: Über das voyeuristische Interesse findet handfeste Sozialisation statt. Männer und Frauen gleichermaßen bekommen vermittelt, welches Produkt auf dem Markt des Begehrens in welchem Kurs steht. Börsenkurse aber, das weiß heute jedes Kind, können sich täglich ändern. Der Markt muss permanent beobachtet werden, um flexibel reagieren zu können. Mithilfe der medialen Abgussformen können die Identitäten dann in Serie gehen, jenseits aller angeblichen Individualisierung.
In Köln-Hürth ging es noch darum, ein nach vielen sozialen Seiten hin erfolgreiches Selbst zu kreieren. Hier wird dies auf die Beziehungskonstellation des Begehrens und Begehrt-Werdens zugespitzt. Girlscamp ist ein Special-Interest-Titel innerhalb eines differenzierteren Formats. Dieser Umstand lässt zur Zeit noch weitere Expansionspotenziale vermuten. Dass der Bedarf seitens der Zusehauer wohl auch nicht so bald verbraucht sein wird, liegt in der Natur der Sache: Das Leben, so weiß man heute, ist schließlich ein dauernder Prozess, der immer wieder neu gemeistert werden will.
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