24 Stunden sind eine Serie

Medientagebuch Verbrecherjagd in Echtzeit-Stücken: Die Fernsehserie "24" führt das Format des Realtime-TV ein

Auf Theodor W. Adorno und Max Horkheimer geht die Beobachtung zurück, dass amusement nichts weiter als die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus ist. Die US-Produzenten Joel Surnow und Robert Cochran haben mit der Fernsehserie 24 eine ganz eigene Interpretation dieser Theorie abgeliefert. 24 handelt vom längsten Tag im (Arbeits-)Leben des CIA-Antiterror-Agenten Jack Bauer (Kiefer Sutherland). Und zwar von jeder einzelnen Stunde.

Bei Jack ist allein schon das Privatleben ein Fulltime-Job: Da sind die Eheprobleme zwischen ihm und seiner Frau, mit der er nach längerer Trennung wieder zusammenlebt. Kimberly, die Tochter im Teenager-Alter, macht das Familienleben auch nicht gerade einfacher. Sie schleicht sich - es sind kaum fünf Minuten der ersten Folge vergangen - aus dem Haus und taucht trotz verzweifelter Suchaktionen der Eltern fürs erste nicht wieder auf. Bald wird klar, dass ihr Verschwinden mit dem Verbrechen zu tun hat, das im Mittelpunkt von 24 steht. Auf den ersten farbigen Präsidentschaftskandidaten soll in Kalifornien ein Anschlag verübt werden, was Jack gegen den Widerstand falschspielender Agenten verhindern muss.

Weil Reality-TV inzwischen ein alter Hut ist, führt 24 die Idee des Realtime-TV ein. Die meisten Serien reihen ihre Episoden zwar chronologisch, aber trotzdem mehr oder weniger zeitlos aneinander. 24 packt einen Tag in eine 24-teilige Serie, die mithin in fiktionaler "Echtzeit" stattfindet. Jede Folge dauert eine Stunde und handelt von eben diesem Zeitraum. Die nächste Folge schließt nahtlos an, wo die vorherige aufhörte, und die Zeit wird regelmäßig durch eine tickende Digitaluhr eingeblendet. Die erste Folge beginnt um Null Uhr, die letzte endet um 24 Uhr. Der Cliffhanger am Übergang zwischen zwei Folgen gehört in diesem Format zur Serienausstattung: Wenn die Uhr weitertickt, will man wissen, wie es weitergeht.

Das Konzept bringt auch Probleme mit sich. Die Drehbuchautoren mussten nicht nur einen Spannungsbogen konzipieren, der sich über 24 Stunden, also über die gesamte Serie hinzieht - gleichzeitig musste auch jede einzelne Episode, jede einzelne Stunde, dramaturgisch zum Dranbleiben animieren. Mit einem bisweilen unglaubwürdigen Verwirrspiel gelingt das den Machern weitgehend: jede Figur wird hier kurz zum Verdächtigen, nur um sich Minuten später als Retter in der Not zu erweisen und Stunden (also einige Folgen) später vielleicht doch wieder zum Bösewicht zu mutieren.

Das nimmt man wohlwollend in Kauf, weil 24 aus der Not des starren Formats eine Tugend gemacht hat: Es wird dicht und in hohem Tempo erzählt. Jack Bauer erlebt innerhalb von zehn Minuten mehr als mancher Serienheld in seiner gesamten Fernsehkarriere. In jeder Folge werden so viele verschiedene Handlungsstränge verfolgt, dass selbst in langsameren Momenten Hochspannung herrscht. Darüber hinaus arbeitet 24 mit einem Bombardement von Split-Screens, die das Neben- und Miteinander verschiedener Figuren aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen - manchmal in vier Bildern gleichzeitig. Mit dramatischer Ironie kreuzen sich immer wieder die Wege der Hauptfiguren - ohne dass sie selbst es wissen, während wir gleichzeitig an allen Schicksalen teilhaben. Zugegeben, in 24 triumphiert bisweilen der Stil über den Inhalt, das aber auf sehr mitreißende Art und Weise.

Der Export des US-amerikanischen Formats geht leider nicht ohne Anpassungsverluste vonstatten. In den USA dauert eine einstündige Fernsehserie nach Abzug der Werbung nur 42 Minuten. Die Werbepausen sind zeitlich gesehen in 24 fester Bestandteil der Sendung; die tickende Uhr ist Garant, dass während einer vierminütigen Unterbrechung auch das Leben der Serienfiguren um diese Zeit voranschreitet. Bei RTL2 gibt es nun statt fünf nur zwei Werbeblöcke, und so stimmen in Deutschland Erzählzeit und erzählte Zeit nicht mehr völlig überein. Wo die Amerikaner dem Zeitgeist voraus sind und die Werbung kurzerhand zum Programm erklären, muss RTL2 bei der Einpassung in den heimischen Fernsehmarkt das Konzept aufweichen.

Ob die Serie richtig tickt oder nicht, darüber lässt sich also streiten. Die US-Kritiker lobten sie in höchsten Tönen, während die Zuschauer zumindest bei der ersten Staffel nur mäßiges Interesse zeigten. Was vermutlich auch daran lag, dass man nur schwer hineinfindet, wenn man die erste Folge verpasst. Auf jeden Fall gehören Ticken und Klingeln zum festen Grundton der Serie - nicht nur wegen der eingeblendeten Uhr, sondern auch wegen diverser Bomben, Zeitzünder und den allgegenwärtigen Handys, die ab Folge Eins im Dauereinsatz sind.

Bei den Kostümdesignern kann dagegen von Dauereinsatz keine Rede sein. Sie sind wohl die einzigen, bei denen das Serienkonzept zu einer Verkürzung der Arbeit führte. Innerhalb von 24 Stunden schlüpft man selbst in Hollywood nur selten in neue Klamotten. Für alle anderen Beteiligten bedeutet 24 tatsächlich eine Verlängerung der Arbeit: Für Sutherland, der als Jack Bauer sein Comeback feierte und in den USA ab diesem Herbst schon in der dritten Staffel 24-Stunden-Arbeitstage durchleben darf. Aber auch für die Zuschauer: Sich auf 24 einzulassen bedeutet bei aller Faszination ein hartes Stück Arbeit. Entweder bleibt man von der ersten bis zur letzten Sekunde dran - oder man lässt es ganz bleiben.

24; ab 2. September dienstags, freitags und sonntags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen auf RTL2.

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