Rivalen der Einmischung

Im Kino "Der Stille Amerikaner" wird bei uns mit einjähriger Verzögerung gezeigt - genau zur rechten Zeit

Das nennt man schlechtes Timing. Am 11. September 2001 hatte der australische Regisseur Phillip Noyce um neun Uhr früh einen Termin bei Miramax-Boss Harvey Weinstein - in Downtown Manhattan. Das Treffen, bei dem es um die Veröffentlichung von Noyces Film Der stille Amerikaner gehen sollte, fand nicht statt. Der Starttermin wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. In die Zeit des Kriegs gegen den Terror schien der Film nicht recht zu passen.

Der stille Amerikaner basiert auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autors Graham Greene und lässt amerikanische Außenpolitik nicht sonderlich gut aussehen. Geschildert werden die Ereignisse im Vietnam des Jahres 1952, also zu einer Zeit, als die französische Kolonialmacht im Indochina-Krieg gegen die nordvietnamesischen Kommunisten kämpfte. In US-amerikanischen Politkreisen hatte sich die Überzeugung breit gemacht, dass eine dritte, unabhängige - oder allenfalls von den USA abhängige - Kraft die Führung in Vietnam übernehmen sollte: eine Alternative zu Kommunismus und Kolonialismus.

Vor diesem Hintergrund entfaltet Noyce ein tiefgründiges Drama, in dessen Mittelpunkt der britische Journalist Thomas Fowler (Michael Caine) steht. Der schreibt zwar nur selten Artikel für sein Heimatblatt, die Londoner Times, genießt dafür umso mehr das Leben in Vietnam. Kein Wunder, besteht dieses doch überwiegend aus Opiumkonsum, Aufenthalten in den Cafés der betörenden Stadt Saigon und seiner Liebesbeziehung zur bezaubernden Vietnamesin Phuong. Vor Jahren erlöste er sie von ihrem tristen Dasein als Tänzerin in einem französischen Lokal. Nun ist er mehr von ihr abhängig als sie von ihm. Wenn sie ihn verließe, weiß Fowler, wäre das für ihn der Anfang vom Ende. Als der schüchterne, vermeintlich unerfahrene Amerikaner Alden Pyle (Brendan Fraser) in Fowlers Leben tritt, scheint diese Angstvorstellung auf einmal wahr zu werden.

Pyle gibt vor, medizinische Hilfsdienste in Vietnam leisten zu wollen und freundet sich mit Fowler an. Als sich der junge Amerikaner in Phuong verliebt, werden die beiden ungleichen Männer zu Rivalen. Dies aber nicht nur in emotionaler Hinsicht. Auch zwischen ihren politischen Ansichten liegen Welten. Fowler, ganz der neutrale Reporter, hat sich angewohnt, keine Meinung zu vertreten und sich aus allem herauszuhalten. Pyle dagegen mischt sich, naiv und doch bestimmt, in die Dinge ein - seien es nun Liebesbeziehungen oder die politischen Verhältnisse. Für sein vermeintliches Ziel, den Menschen zu helfen, ist Pyle im Zweifelsfall auch bereit, über Leichen zu gehen, was er bald grausam unter Beweis stellen wird. Die Moral wähnt er dabei auf seiner Seite: "Langfristig werde ich Leben retten", argumentiert er.

Sätze wie diese kommen uns, nur wenige Wochen nach dem Einmarsch der US-Truppen im Irak, seltsam bekannt vor. Ebenso wie die Einsicht von Fowlers Redaktionsassistenten Hinh, früher oder später müsse man Partei ergreifen, wenn man menschlich bleiben wolle. Durch Pyles Taten wird Fowler gezwungen, seine Lethargie aufzugeben und Stellung zu beziehen. Am Ende stellt sich die Frage, ob persönliche Gefühle oder politische Einsichten ihn dazu motiviert haben.

In den neunziger Jahren zeichnete der australische Regisseur Phillip Noyce hauptsächlich für spannende und gut gemachte Thriller mit Starbesetzung verantwortlich: Mit Harrison Ford drehte er Die Stunde der Patrioten und Das Kartell nach den Romanen von Tom Clancy, in Sliver rückte er Sharon Stone als Voyeursopfer ins rechte Licht. Im neuen Jahrtausend scheint er sich auf anspruchsvollere Themen zu konzentrieren, was er auch mit seinem visuell bestechenden Aborigene-Drama Long Walk Home beweist, der ebenfalls dieser Tage in die deutschen Kinos kommt.

Bei seiner Filmfassung von Greenes Roman Der stille Amerikaner hält sich Noyce dicht an die Vorlage - dichter, als dies Joseph Mankiewicz 1958 in seiner Verfilmung des Buches tat. Diese wurde, so vermutet man, vom CIA finanziert, weshalb darin Fowler als Verräter und Pyle als Held dargestellt wurden. In Noyces Version spielen die politischen Verwirrungen nicht unbedingt die Hauptrolle, sondern werden subtil in das Geschehen eingebunden. Immer wieder konzentriert sich der Regisseur auf die Dreiecksbeziehung zwischen den beiden Männern und ihrer Geliebten, schildert dieses Verhältnis langsam und bedächtig. Doch weil Der stille Amerikaner durchaus als Kritik an der damaligen wie heutigen amerikanischen Außenpolitik verstanden werden kann, war lange unklar, ob er jemals in die Kinos kommen würde. Dem jetzigen Starttermin ist eine gewisse Aktualität nicht abzusprechen. Diesmal, so scheint es, stimmt das Timing.

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