Richard Underwood III.

Fernsehserien Wie viel Shakespeare steckt tatsächlich in „House of Cards“? Der Übersetzer Frank Günther gibt Auskunft
Ausgabe 13/2015

Heute wäre William Shakespeare, der größte Dramatiker der Weltliteratur, Drehbuchautor in Hollywood, wurde häufig angemerkt. Zur Serie House of Cards um die Intrigen eines skrupellosen US-Politikers hat er jedenfalls 400 Jahre nach seinem Tod ein paar brillante Grundideen beigesteuert – wenn auch nicht so viele, wie oft behauptet wird.

Spoiler-Warnung

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Am auffälligsten sind die Parallelen zu Richard III., dem königlichen Verbrecher im Bürgerkrieg zwischen den Sippen York und Lancaster. Shakespeare schuf in Richard den Mythos des machiavellistischen Zynikers, der wortwörtlich über Leichen geht. Frank Underwood in House of Cards ist sein begabter Nachfahre; er räumt beiseite, wer ihm beim Aufstieg im Weg steht. „Es gibt nur eine Regel: Jage oder werde gejagt“, so nennt es Frank, so sehen es beide.

Shakespeares neuer Trick im alten Spiel war die Durchlöcherung der „vierten Wand“ zwischen Bühne und Zuschauerraum. Sein Schurke Richard tritt immer wieder aus dem Spiel heraus und plaudert an der Rampe witzig und offenherzig mit dem Publikum über finsterste Pläne. Ebenso in House of Cards der Schuft Frank Underwood, der mitten in der Szene wie beiläufig direkt in die Kamera spricht, den Zuschauern ins Auge blickt und sie mit frechen Bonmots in seine zynischen Absichten einweiht.

Ein Theatermittel im realistischen Film. Das hat beabsichtigte Folgen: Der Zuschauer wird zum Vertrauten des sympathischen Bösewichts. Er wird zur Identifikation mit der amüsanten Figur verleitet – und dadurch zum Komplizen. Wie Shakespeares Richard, der Conférencier des Grauens, so Frank Underwood, der Charmeur des Bösen – sie zwingen den Zuschauer in das moralische Dilemma, den Täter zu mögen trotz seiner üblen Taten. Laster macht mehr Spaß als brave Tugend; man stelle sich vor, wie viel weniger spannend House of Cards wäre ohne Shakespeares Trick.

Frank Günther übersetzt seit 40 Jahren Shakespeare und könnte der Erste sein, der alle Dramen übertragen hat (derzeit 34 von 37)

Foto: Privat

Bei aller Ähnlichkeit hat Massenmörder Richard im Wettbewerb der Verbrecher die Nase vorn. Wo Frank Underwood seinen Rachefeldzug nur wegen einer Zurücksetzung auf der Karriereleiter beginnt und die Welt allein im Verhältnis von Geld und Macht denkt, geht es Richard ums Grundsätzliche. Er ist von Geburt an verwachsen, mit Buckel, lahmem Arm und Klumpfuß. Seine Machtgier entspringt einem fundamentalen Hass auf die Natur, also auf sein Schicksal, auf Gott, der ihn aus der menschlichen Gemeinschaft ausgegrenzt hat. Drum ist er allein, und darauf ist er stolz: „Ich, der ich weder Mitleid, Furcht noch Liebe kenn … Ich bin alleine ich." Teufel Richard hat faszinierende Größe; Frank Underwood ist dagegen blutiger Anfänger.

Die zweite große Shakespeare-Anleihe für House of Cards (im Original ja eine britische Serie) ist Macbeth. Das gleichnamige Ehepaar aus Schottland, das den König ermordet, um auf den Thron zu kommen, ist zugleich Shakespeares größtes Liebespaar: zweieinige Partner im Verbrechen, wie das schicke Power-Duo Frank und Claire Underwood in Washington. „Ich liebe diese Frau“, sagt Frank in der ersten Staffel, „ich liebe sie, wie der Hai Blut liebt!“ Claire wie Lady Macbeth ist der Mann nicht hart genug. Die Lady staucht den schwächelnden Macbeth so zusammen: „Du bist zu voll der Milch der Menschheitsgüte,/Den nächsten Weg zu gehen. ... Hast du wohl Angst,/Derselbe Mann in Tat und Mut zu sein,/Der du im Wünschen bist?“ Ein Vorwurf wie von Claire („Mein Mann entschuldigt sich nicht. Nicht einmal bei mir“).

Manche Shakespeare-Anspielungen in der Serie sind wohl nur für Kenner gesetzt. Gespenster als Metaphern für leichte Gewissensbisse etwa, Zwiegespräche mit Toten (bei Shakespeare: Macbeth mit dem Geist Banquos, in House of Cards: Frank mit dem Russos in der ersten Staffel). Die kühlschrankkalte Claire opfert dem Kampf um die Macht alle Mutterfreuden mittels dreier Abtreibungen, wo die Lady schwor, sie hätte ihrem Kind lieber „die Zitze weggezerrt vom weichen Gaumen/Und ihm das Hirn zu Brei zerhaun“, als vom Mordplan abzulassen. Bei einem frühen Underwood-Mord wird ein tropfender Wasserhahn ins Bild gerückt, der später von Claire repariert wird (die da auch noch die „Clean Water Initiative“ leitet) – „ein wenig Wasser reinigt von der Tat“, meint Lady Macbeth nach dem Mord am König, verfällt aber trotzdem wahnhaftem Waschzwang.

House of Cards zitiert Shakespeares Dramen also weniger in großen Strukturen als in solchen kleinen Anspielungen; und je länger die Serie läuft, umso seltener wird auf Shakespeare angespielt. Sie entwickelt ihr eigene Erzählung – ohne Shakespeare.

Und es gibt einen großen Unterschied. Für Frank Underwood ist die Welt ein moralisches Vakuum, in dem kein Gott Regeln über Gut und Böse setzt; die Serie ist eben doch nur eine raffinierte politische Soap, die spekulativ mit dem Kitzel des ethisch Verbotenen spielt. In Shakespeares Universum gilt anderes, wenn der Königsleib, der „heilige Tempel“, der mystische Stellvertreter Gottes, getötet wird. Dann stürzt die universelle, metaphysische Weltordnung.

Die Spiel-um-die Macht-Soap kann nicht ewig laufen: Präsident ist Frank Underwood – was kann er noch werden? Wie wird er enden? Krepieren wie Richard, zerquält von Gewissensbissen („Ich werd verzweifeln. Kein Geschöpf liebt mich,/Und wenn ich sterb, zeigt keine Seele Mitleid“)? Oder eher wie Macbeth: „Ich hab genug gelebt: mein Lebensweg/Führt in die Dürre, unters gelbe Laub .../Mich müdet langsam alles Sonnenlicht,/Möcht sehn, wie alle Welt in Trümmer bricht. –/Los, läutet Sturm! – Blas, Wind! Komm, Untergang!/In Rüstung sterben wenigstens gelang.“

Warten wir’s ab.

Info

House of Cards ist in der dritten Staffel auf Sky zu sehen, auf DVD/Bluray im Herbst

12 Monate für € 126 statt € 168

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