Es gibt Krankheiten, die entwickeln sich mit der Kraft und Folgerichtigkeit einer griechischen Tragödie. Die erbliche Muskelerkrankung "Duchenne Muskeldystrophie" (DMD) gehört dazu: Die Kinder - fast ausschließlich Knaben - haben Schwierigkeiten, das Laufen zu lernen, die Muskeln schwinden, bis sie mit etwa zehn Jahren einen Rollstuhl benötigen. Ist die Atemhilfsmuskulatur betroffen, gewähren moderne Beatmungsmaschinen Erleichterung und Lebensverlängerung. Die meisten sterben im jungen Erwachsenenalter an den Folgen eines zusätzlich erkrankenden Herzmuskels.
Selbst wenn es sich bei der DMD um eine der häufigsten Erbkrankheiten handelt, - einer von 3.500 neugeborenen Knaben trägt den zur Erkrankung führenden Defekt -, ist es eine seltene Erkrankung. Damit fehlt für die Pharmaindustrie ein potenzieller Markt und der Anreiz, sich mit der Entwicklung von Medikamenten gegen Erkrankungen dieser Art zu beschäftigen, da diese in der Entwicklungs- und Vermarktungsphase enorme Summen verschlingen. Eine EU-Verordnung, die dafür sorgt, dass die Entwicklung (zum Beispiel Durchführung von Studien) und die Zulassung von Arzneimitteln gegen eine seltene Erkrankung - man nennt sie auch "orphan drugs" - finanziell und administrativ erleichtert wird, trat erst im Jahr 2000 in Kraft. In den USA existiert eine "orphan drug"-Gesetzgebung hingegen schon seit 1983.
Dieser Ausweglosigkeit wollten Connie und Klaus Over aus Hausen bei Koblenz etwas entgegensetzen, als bei ihrem Sohn Benni die DMD diagnostiziert wurde. 1996 gründeten sie die aktion benni co mit dem Ziel, Geld, viel Geld, zu sammeln, um die medizinische Erforschung einer potenziellen Therapie dieser Erkrankung zu fördern und zu intensivieren. Viele betroffene Familien aus ganz Deutschland schlossen sich an. Über Benefizveranstaltungen und Spendenaufrufe wurden Jahr für Jahr mehrere hunderttausend Euro gesammelt. Schon seit Ende der neunziger Jahre konnten Wissenschaftler am renommierten Friedrich Baur Institut für Muskelforschung in München finanziert werden, die im Forschungsprojekt "Somatische Gentherapie bei Duchenne Muskeldystrophie" tätig sind. In einer weiteren Therapiestudie wurde die Wirksamkeit von Prednisolon (Cortison verwandt, aber stärker wirkend - d. Red.) untersucht. Die Förderung anderer Projekte in Deutschland, aber auch Australien und England folgte.
In der Projektliste der action benni co spiegelt sich die Stoßrichtung der internationalen Muskelforschung deutlich wieder. Das Beispiel verweist darauf, welche Dynamik privates bürgerschaftliches Engagement auf dem Gebiet der Life Sciences, der medizinischen Forschung auslösen und befördern kann.
Man wünscht sich einen Ausgang wie im Märchen. Ein erkennbarer Therapieerfolg blieb der action benni co bislang jedoch verwehrt. Anders ausgedrückt: Außer Prednisolon, bei dessen Anwendung man noch über die nebenwirkungsärmste Dosis debattiert, und der Gentherapie hat die internationale Muskelforschung bislang keine griffige Idee, die Behandlung von erblichen Muskelerkrankungen anzugehen.
Bei der Gentherapie wird angestrebt, ein verändertes, meist in Viren verpacktes - die dann Vektor genannt werden -, aber "gesünderes" Gen (Gen = Abschnitt auf der Erbinformation, der die kodierte Information zur Bildung eines bestimmten Proteins trägt) in eine ausgereifte Zelle zu schleusen, damit diese dort ein funktionstüchtiges Eiweiß produzieren kann. Diese Herausforderung lässt sich mit der Aufgabe vergleichen, eine Herde ausgewachsener Elefanten in standardisierten Schiffscontainern zu transportieren und auf Helgoland anzusiedeln. Da jede erwachsene Zelle irgendwann abstirbt, wären regelmäßige Auffrischungsinjektionen im Abstand weniger Tage oder Wochen notwendig. Erstrebenswerter wären natürlich Darreichungen wie Tabletten oder Infusionen. Stattdessen kann sich der Experimentator bei der Gentherapie am Muskel bislang lediglich zwischen zwei kruden Applikationsarten entscheiden: Er kann die Substanz in Millimeterabständen in den Muskel injizieren oder das Mittel in abgebundene Schlagadern spritzen, damit die Substanz auf diese Weise wenigstens das örtliche Versorgungsgebiet dieser Schlagader erreicht. Letzteres wurde allerdings nur bei Mäusen ausgetestet. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie weit man zur Zeit noch von einer realistischen Anwendung der Gentherapie entfernt ist.
1989 führten Rosenberg und Mitarbeiter am Nationalen Krebsinstitut in Bethesda, USA - intellektuell brillant und experimentell einleuchtend - die Gentherapie am Menschen ein. Man erhoffte sich ein wirkungsvolles Mittel gegen Krebs und seltene Erbkrankheiten. Ein Erfolg dieser Behandlungsform hätte eine gewisse Signalwirkung haben können: Seit der Entdeckung und Einführung des ersten hilfreichen Arzneimittels zur Behandlung der Schizophrenie, dem Chlorpromazin, durch die französische Pharmafirma Rhone-Poulance 1952 wurde bislang jeder Wettlauf zwischen universitären Einrichtungen und Pharmafirmen um die Entdeckung neuer Arzneien bzw. Therapieformen von letzteren dominiert und schließlich gewonnen. Seit jenem ersten Versuch in Bethesda wurden bis Anfang 2004 über 900 Gentherapieversuche, die Mehrzahl in den USA und auf dem Gebiet der Krebsforschung, durchgeführt. Die neunziger Jahre waren eine Phase der optimistischen und zugleich heroischen Anwendung der Gentherapie, eine Phase der Versprechungen. Doch man scheiterte. Nur etwa zwei Prozent aller Gentherapieversuche wurden als Phase-III-Versuche durchgeführt. Keinem einzigen Präparat gelang die Zulassung als Medikament.
Der 18-jährige Jesse Gelsinger, der an einer schwerwiegenden erblichen Stoffwechselkrankheit litt, verstarb 1999 an einer fulminant verlaufenden Entzündungsreaktion auf einen Vektorvirus. 2002 starben zwei von zehn Kindern mit einer schweren angeborenen Immunschwäche an einer Leukämie-ähnlichen Erkrankung, da im Prozess des Vektoreinbaus in die Zelle quasi ungewollt ein fatales Gen eingeschaltet wurde.
Insgesamt sind die Erwartungen an einen absehbaren Erfolg der Gentherapie gedämpft. Man beschränkt sich momentan darauf, das Verfahren zu verfeinern. Es ist gemeinhin Konsens, dass die Gentherapie in dieser Generation wohl noch nicht als Heilmittel zur Behandlung von Muskelerkrankungen zur Verfügung stehen wird. Vorerst bleibt die Gentherapie nur Vision eines genialen Therapiekonzeptes. Doch trotz aller Rückschläge: Der Weg der aktion benni co ist richtig, bewunderns- und nachahmenswert.
Privates Engagement
Stiftungen, die sich im Bereich der Wissenschaftsförderung auf dem Feld der Life Sciences engagieren, sind in Deutschland im Vergleich zum Volumen staatlicher Förderung (Deutsche Forschungsgemeinschaft) extrem selten. Neben der aktion benni co wurden mittlerweile weitere Stiftungen dieser Intention in Deutschland gegründet, so die Tom Wahlig Stiftung für spastische Spinalparalyse in Jena (seit 1998) oder die NCL-Stiftung für neuronale Lipofuszidose in Hamburg (seit 2001).
Die angelsächsischen Länder hingegen stehen diesbezüglich in einer ganz anderen Tradition: In Großbritannien gibt es seit 1936 die aus einem Nachlass hervorgegangene unabhängige Forschungsstiftung The Wellcome Trust, die mit privaten Stiftungsgeldern jährlich 400 Millionen Pfund in biomedizinische Forschung investiert. Das Finanzvolumen des Wellcome Trusts macht immerhin fast 30 Prozent der für die Forschung in Großbritannien zur Verfügung stehenden Geldmittel aus.
Doch auch die Privatisierung staatlicher Unternehmen bietet eine Chance, für Forschung Mittel abzuführen. Die Haltung der Bundesregierung ist in dieser Hinsicht bislang nicht konsequent: In den fünfziger Jahren beschlossen sie und das Land Niedersachsen, die damalige Volkswagenwerk GmbH in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und aus dem Erlös eine Stiftung zu gründen. Bei dem Verkauf der UMTS-Lizenzen (Universal Mobile Telecommunication Systems) im Jahr 2000 wurde diese Chance vertan.
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