Die schwäbische Hausfrau

Ausstellung Ein Muss für Bankangestellte und Steuerberater, die nicht nur mit nackten Zahlen, sondern auch mit klassischer Bildung beeindrucken wollen: "Goethe und das Geld"

Der große Ahnungsvolle – diese Charakterisierung Goethes als Wissenschaftler werden wohl auch jene akzeptieren, die nicht der Philologenweisheit anhängen, wonach Goethe sowieso alles immer schon einmal besser formuliert habe. In der Erdwissenschaft hat er die seinerzeit gängige Vorstellung in Frage gestellt, Findlinge, die geologisch nichts mit ihrer Fundstätte zu tun haben, seien von vulkanischen Kräften dorthin geworfen worden. Oder der Zwischenkieferknochen, den er bereits 1784 zumindest beim menschlichen Embryo entdeckte. Galt bis dahin das Fehlen dieses Knochens als Unterscheidungsmerkmal zwischen Säugetier und Mensch, so war danach die Trennlinie längst nicht mehr so streng zu ziehen.

Bei soviel universaler Treffsicherheit nimmt es fast Wunder, wenn in der jetzt in Frankfurt am Main zu sehenden Ausstellung Goethe und das Geld. Der Dichter und die moderne Wirtschaft der Anteil Goethes an der Sanierung der Finanzen im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August eher nach unten korrigiert wird. Zurückhaltender jedenfalls, als das in der Literatur geschehen ist, die auch hier meinte, den Ausdruck von Goethes Genie entdecken zu können. Das differenzierende Urteil weist zugleich auf ein Manko der ansprechenden, von Vera Hierholzer und Sandra Richter kuratierten Schau: Man muss es im Katalog nachlesen.

Die Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus ist also vor allem mit Leseaufwand verbunden. In den Vitrinen werden amüsante, auch erhellende Trouvaillen gezeigt, Zeugen eines versunkenen Alltaglebens. Das geht von zeitgenössischen Schlittschuhen (Goethe und das Eis), gestrickten Geldbeuteln (Goethe und das Geld), Stiche von Goethe im Schäferkostüm (Goethe in Italien), zeitgenössische Münzen und Papiergeld (Goethe und der Teufelspakt). Aber auch hier gilt: Wem die materialistische Geschichtsauffassung mehr ist als ein Clinton’sches „It’s the economy, stupid!“, der muss lesen. Und mag das auch verwundern bei einem Katalog, der mit dem nicht mehr taufrischen Zitat aus Faust I beginnt: „Nach Golde drängt,/ Am Golde hängt/ Doch alles. Ach wir Armen.“ Die Publikation stößt im weiteren aber auf einen unbekannten Goethe, dort finden sich tatsächlich überraschende Aspekte.

Zu denen gehört, in welchem Ausmaß sich die Epochenabschnitte, deren teilnehmender Zeuge Goethe war, in seinem ökonomischen Verhalten niederschlagen: Sturm und Drang, Revolutionszeit, Napoleonische Kriege, Wiener Kongress, Biedermeier – stets zeigt sich ein anderer. Der Goethe – Kenner der nationalökonomischen Schriften seiner Zeit –, der kühne Spekulationen zumindest dichterisch durchdringt und deren Ambivalenz aufscheinen lässt. Oder der Goethe, der als biedermeierlicher Bibliotheksdirektor der von Angela Merkel so geschätzten schwäbischen Hausfrau gleicht.

Die Ausstellung ist sicherlich ein Muss für alle Bankangestellten und Steuerberater, die ihrer Klientel nicht nur mit nackten Zahlen, sondern auch mit klassischer Bildung kommen wollen. Nicht ganz verschwinden will indes der Eindruck, dass hier eine allzu angestrengte Antwort auf die kanonische Frage des Mittelstufen-Besinnungsaufsatzes gesucht wurde: Was hat uns Goethe heute noch zu sagen?

Goethe und das Geld. Der Dichter und die moderne Wirtschaft Goethe-Haus/Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt/M.

Bis 30. Dezember.

Der Katalog kostet 25 €

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