Man versäumt sicher in diesen Integrationskursen, den Fremden zu erklären, warum der Deutsche so gern reimt. Dies wird, wie Vorfälle zeigen, immer dringlicher. Wie sonst soll ein Außenstehender begreifen, dass wir Deutschen den Reim brauchen, um uns unserer sprachlichen Meisterschaft zu versichern - oder sie zu ersetzen, ganz nach Belieben.
Was das Vergnügen an der Sprache betrifft, steht bei uns das Reimen gleich auf Platz Zwei, gleich nach der Bildung zusammengesetzter Substantive.
“Reim dich oder ich schlag dich tot” lautet das nur rein sprachlich ungereimte Motto.
Das Reimen fällt den Deutschen an wie andere Leute eine Niesattacke. Es geht nicht anders, alles muss dann raus.
Wenn ihm zum Beispiel sein deutsches Schnitzel schmeckt, kann es leicht passieren, dass der Germane nach dem Gästebuch verlangt, um einen Lobes-Vers zu hinterlassen. Keinesfalls tut er dies, wenn es nicht schmeckt. Jedenfalls nicht im Gästebuch.
In der deutschen Geschichte, die zu einem nicht geringen Teil Reimgeschichte ist, wurde abseits des Theaters, das sonst in der Welt als ein Gehege des Reimes gilt, gereimt, um zu rühmen und zu preisen, sei es Stalin, die Oma oder ein Schokoriegel: Mars macht nicht einfach nur mobil, sondern bei Arbeit, Sport und Spiel.
Wo man reimt, da schmeckt es, da fühlt sich der Germane wohl aufgehoben. Gedichte, die sich nicht reimen, kamen meist von Störenfrieden. Die neuerdings häufiger auftretende Form des gereimten Schmähgedichtes ist letztlich auch nur eine Hülle für das Wohlbehagen des Schmähfreudigen.
Ein Reim schafft auch einen vom Inhalt unabhängigen Eindruck von Ordnung. Eins passt bereits zum anderen, bevor es etwas bedeuten muss. Da ist auch zünftiger Gleichschritt, lustvolle Unterwerfung unter Regeln - und deutsche Ingenieurskunst! Außer Flughäfen kriegen wir alles zusammenmontiert. Festgedichte zeugen davon ganz besonders.
Es stört dort erstaunlich Viele gar nicht, wenn das Versmaß stolpert und die Reime schief sind - es geht schließlich ums Prinzip! Man muss ja nicht gleich ein Feingeist werden.
Der Reim ist auch die Rückversicherung des Deutschen, seine sperrige Muttersprache doch irgendwie zu beherrschen. Während man etwa in dem vielen Gleichklang des Italienischen als dortiger Prosaschriftsteller seine liebe Not hat, Reime zu vermeiden, zeigt das Deutsche sich da herausfordernd sperrig. Auf “Mensch” zum Beispiel gibt es gar nichts.
Gequält und geschunden ist unser Volk von den Nötigungen des Genitivs oder den Unbilden der Konjunktivformen starker Verben. Wir sind verloren in Satzklammern, deren anderes Ufer man bei gleichzeitigem Denkenmüssen rasch aus dem Auge verliert. Aufgerieben von Amtsdeutsch, Dialekten und Rechtschreibreformen suchen wir im Reim nach der Schönheit unserer selbst.
Im Reim sind wir daheim.
Kommentare 8
...von den "Un-Gereimtheiten" ganz zu schweigen!
|| Ein Reim schafft auch einen vom Inhalt unabhängigen Eindruck von Ordnung. ||
Stimmt. Aber nicht bei mir.
So sieht's aus.
Alle Welt reimt, alle Welt tanzt gerne, alle Welt ritualisiert (selbst den Clo-gang). Und hauptsächlich ist doch das Denken unter Menschen weit verbreitet. Man muß also Ihre Aussage verallgemeinern, die Deutschen haben da kaum eine Sonderstellung: der Mensch ist ein Ordnung schaffendes Wesen. Er vereinfacht die Welt (reduziert Komplexität). Tatsächlich kompliziert er sie durch die Hinzufügung seines vereinfachten Modells einer begriffenen Welt, was manchmal zu heftigen Widersprüchen führt (wo sich herausstellt, daß er die Welt falsch begriffen hatte). Aber meistens ist es doch nützlich. Ich weiß nicht, ob Sie die Reimer nun loben oder tadeln wollten (beides berechtigt), ich bleibe bei ersterem.
dass wir Deutschen den Reim brauchen
na, worauf reimt sich denn das?!
ich meine den ungereimten binnenreim "wir Deutschen".
und ich ziele auf den aberwitz, wir brauchten reime. quark!
.....und/aber/denn: "WEHE dem, DER......!!!" (nicht "nur" das Schweigen bricht!)
W.Endemann: Habe zumindest bei Fremdsprachlern mitunter Erstaunen darüber geerntet, dass Werbebotschaften in Deutschland häufig einen Gleichklang auf der letzten Silbe der Zeile haben. Solches wurde als kurios bewertet. Bin im übrigen auch weniger gegen das Reimen als immer noch erstaunt, wie innig es in uns steckt. Handwerksmeister reimen auf der Karosse des Kleintransporters, Hausmeister auf dem Klo...
ich ziele auf den aberwitz, wir brauchten reime. quark!
Brauchen nicht, lieber Helder, aber wir tun es. Die Funktion in der Werbung ist klar, man merkt sich das label und greift im Supermarkt danach. Wiederholung routinisiert. Routinen sind entreflektierte, standardisierte Handlungen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall in den wunderschönen Gedichten bspw unserer Romantik. Da stellt der Reim oberflächlich beziehungsloses in einen Zusammenhang oder verdichtet seine Aussage. Auch Janto Ban hat ein paar Beiträge weiter ein schönes kleines Gedicht zum Besten gegeben. Hätte er das prosaisch sagen können? Wohl kaum. Aber so saugen wir den Gedankennektar gerne auf. Es wird die Suggestivität des Gesagten erhöht, natürlich kann diese Aufladung der Aussage der Wahrheit wie der Lüge zugute kommen. Man muß immer fragen, wozu ein rhetorisches Mittel dient. Das ist wie mit der Sprache insgesamt, auch sie kann zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden.