Die Drängler, die Akkuraten und ich

KEHRSEITE In meinem früheren Leben war ich Radfahrer. Ich fuhr quer über den Bürgersteig, manchmal auch am Rand der Straße dicht neben dem Bordstein, aber nie ...

In meinem früheren Leben war ich Radfahrer. Ich fuhr quer über den Bürgersteig, manchmal auch am Rand der Straße dicht neben dem Bordstein, aber nie auf Radwegen. Radwege finde ich bis heute uncool, eine Erfindung der Alt-68er für ihre Sonnenblumen pflückenden Kinder. Mein damaliges Mountainbike trug ich auf der Schulter die vier Stockwerke hoch in die Wohnung. Im Hausflur ließ ich es nie stehen. Da hätte ich es ja auch gleich verschenken oder in die Spree schmeißen können. Also schleppte ich mein Rad in die Wohnung und stellte es neben mein Bett. Das war der sicherste Platz.

Damals hasste ich Autofahrer, weil die ihr Auto nicht in den vierten Stock tragen mussten, weil die eine Stereoanlage hatten, automatische Fensterheber, einen Kofferraum und keinen Blick für Radfahrer die von rechts überholten. Wenn sie uns trotzdem sahen, versperrten sie an den Kreuzungen den schmalen Streifen zwischen Bürgersteig und Beifahrertür, indem sie ihren Wagen ganz nahe an den Straßenrand heranmanövrierten, so als hätten sie vergessen, dass es auf dieser Welt auch Menschen ohne Kofferraum gibt. Sie wollten uns stoppen.

Echte Mountainbiker lassen sich von niemandem stoppen. Sie reißen den Vorderlenker hoch, springen mit dem Rad auf den Bordstein, tänzeln mit dem noch auf der Straße schleifenden Hinterrad am Autofahrer vorbei oder fliegen auf die Schnauze. Autofahrer halten es eben nicht aus, dass sie die gleichen Fahrradfahrer an der nächsten Kreuzung wieder treffen. Sie verkraften den Kampf zwischen Mensch und Maschine nicht, sobald eine Ampelanlage dazwischen kommt und ihre PS ungenutzt im Leerlauf verkümmern.

Eines Tages trug ich mein Fahrrad nicht mehr nach unten. Ich griff mir den Autoschlüssel, ein paar Zigaretten und eine gute Kassette. Es war ein roter Opel Kadett. Ich hatte ihn einem Berliner Türken für 3.500 Mark abgekauft, 500 Mark mehr als geplant. Dafür hatte er ein Schiebedach, fünf Türen, ein Ersatzrad und eine Stereoanlage mit vier Boxen - zwei vorn und zwei hinten. Auf der Autobahn brachte er es auf 180 km/h und war so laut wie ein Ferrari im ersten Gang.

Ich stieg ein und 2Pac rappte los, dass es wummerte. Nachdem ich die Scheiben runter gekurbelt hatte, hängte ich meinen linken Arm aus dem Fenster, zündete mir eine Zigarette an, klemmte das Handy in die Halterung und fuhr los. In den ersten Tagen fühlte ich mich als freier Mensch, immerhin schon zum zweiten Mal in meinem Leben. Das erste Mal kaufte ich mir in Hong Kong ein Eisenbahnticket für die Linie Peking - Moskau.

Seitdem ich das Auto habe, hasse ich die anderen Autofahrer noch mehr als in meinem früheren Leben als Radfahrer. Gäbe es nicht so viele von ihnen, müsste ich nicht im Halteverbot parken, käme ich schneller durch den Stau, ja es gäbe ihn gar nicht. Ich will den ADAC und die Straße für mich allein, ohne die Drängler, die um jeden Meter Asphalt kämpfen, noch vor der nächsten Ampel die Spur wechseln und sich mit ihren Wagen vor meinen schieben. Ich gebe mich nach einem scharfen Seitenblick oft geschlagen, weil ich nicht der Typ bin, der irgendwelche Rennen im Innenstadtbereich provoziert.

Neben den Dränglern gibt es die Akkuraten, die mehr auf ihr Tachometer als auf die Straße gucken. In den dreißiger Zonen der Stadt kommt es mir so vor als würden sie einen Kinderwagen mit 10 km/h hinter sich herschleifen. Ihr Charakter ist präventiv ausgerichtet und lässt sich mit dem von Beamten vergleichen. Abbremsen wo es geht. Manchmal haben sie schon seit Jahren ein großes "A" in ihrem Rückfenster. Aber nur manchmal.

Als die Bonner im vergangenen Jahr nach Berlin zogen, kam es mir so vor, als würde die Zahl der Akkuraten in der Stadt zunehmen. Komischerweise sah ich nie Bonner Kennzeichen, obwohl ich mich auf sie gefreut hatte. Nur ein einziges mal erblickte ich auf der Straße des 17. Juni ein BN. Ich schaltete einen Gang runter und pirschte mich von hinten an den Mercedes Benz, der die Spur suchte, doch die ist hier aus historischen Gründen gar nicht erst eingezeichnet. Dann trat ich das Gaspedal durch und zeigte ihm die dritte Spur, indem ich ihn gezielt an den Rand drängte, vor der nächsten Kreuzung ausbremste und mich beim gelbroten Licht der Ampel davon machte. Ich weiß ziemlich genau, worüber sich Fahrer und Beifahrer unterhalten haben. Vor wenigen Wochen las ich dann die Schlagzeile: "Senator Peter Strieder für autofreien Sonntag in Berlin" War das der Anfang? Ich fühlte mich schuldig.

Ich habe es schon immer geahnt, dass sich die Zugezogenen schnell ein Berliner Kennzeichen besorgt haben. "Bloß nicht auffallen in der Großstadt", haben sie sich zugeflüstert. Einmal belauschte ich eine Unterhaltung unter Bonnern im "Weinstein", einem Restaurant im Prenzlauer Berg. Der eine fragte: "Hast du auch schon ein neues Kennzeichen?" "Aber natürlich", antwortete sein Gegenüber. Dann kicherten beide verschwörerisch. Der Beweis: Die Bonner tarnen sich mit unseren Kennzeichen. Seitdem bin ich etwas verunsichert und stürze mich zur Abwechslung auch mal auf eine Berliner Nummer. Es könnte ja ein versteckter Bonner sein. Wenn es möglich ist, gucke ich mir die Gesichter der Fahrer an. Denn die können die Bonner Beamten nicht so schnell ablegen.

Im Dezember läuft mein TÜV aus. Die Werkstatt will meinen Opel nicht noch einmal fit machen. Man müsste ziemlich viel zusammenschweißen, haben sie gesagt. Ich glaube ihnen.

Mein Fahrrad steht noch immer in der Wohnung. Der Sattel ist so eingestaubt, dass man problemlos Kapuzinerkresse auf ihm anpflanzen könnte. Sicher man müsste auch mal Luft auf die Reifen pumpen. Ansonsten rollt es.

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