Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es in ganz normalen Gesprächen und Alltagsdialogen zwischen Freunden, Kollegen oder Partnern meist um Geld in irgendeiner Form geht? Achten Sie mal darauf, welch überproportional großen Teil unserer Zeit, Energie und Denkleistung wir darauf verwenden, Preise zu vergleichen, irgendetwas günstiger zu bekommen, nicht übervorteilt zu werden, das Kleingedruckte zu lesen, im richtigen Moment zu buchen, eine billigere Tankstelle zu finden – und uns darüber mit anderen auszutauschen.
Die umfassende Ökonomisierung der Gesellschaft hat längst die Sphären der Wirtschaft verlassen und alle Lebensbereiche und unseren Alltag bis in die letzte Faser durchdrungen. Die thematische Verengung der zwischenmenschlichen Kommunikation ist eine Folge davon. Aber was soll’s, uns geht’s gut! Weshalb der junge Schweizer Regisseur Cyril Schäublin seinen Film über die neoliberale Zurichtung des Menschen auch Dene wos guet geit nennt. Was natürlich ironisch gemeint ist, denn seiner Diagnose zufolge leben wir in einer zutiefst kranken Gesellschaft. Die Omnipräsenz des Geldes ist nur ein Symptom dieser Krankheit.
Die sympathische junge Alice wirkt allerdings recht gesund und lebendig, wie sie da ihrer Arbeit in einem Callcenter nachgeht und den Kunden, vornehmlich älteren gutgläubigen Leuten, Versicherungen und Handyverträge aufschwatzt. In ihrer Freizeit betrügt sie solvente Senioren. Sie gibt sich am Telefon als deren in Geldnot steckende Enkelin aus, um an ihr Erspartes zu kommen – die Masche ist bekannt als „Enkeltrick“.
Eigentlich braucht Alice das Geld nicht, es scheint sich mehr um ein Hobby zu handeln, etwas, das ein wenig Nervenkitzel in ihr Leben bringt. Die Opfer, meist im fortgeschrittenen Stadium der Vereinsamung oder Demenz, sind ihr gleichgültig und Skrupel fremd. Typisch Wohlstandsverwahrlosung. Das ist ein Begriff, der gerne verwendet wird, um die emotionale Regression und den modischen Zynismus wohlsituierter junger Menschen zu beschreiben. Deren materieller Überversorgung steht, so die Theorie, ein Mangel an Zuwendung durch die sich im Hamsterrad abstrampelnden Eltern gegenüber. Ergebnis sind emotionale Kälte und eine Unfähigkeit zur Empathie.
Am Ende wird Alice von der Polizei verhaftet, so viel dürfen wir verraten, denn die Story ist eigentlich gar nicht so wichtig und spielt sich fast wie nebenher ab. Dene wos guet geit ist ein Thesenfilm – ein gelungener, wie gleich dazugesagt werden soll –, der mit Stilisierungen arbeitet, um etwas Übergreifendes zu erzählen. Wichtiger als die reine Handlung ist dem Regisseur die Erkundung von Orten und Menschen, die alle auf irgendeine Weise mit Alice in Verbindung stehen. Der Film spielt in Zürich, sozusagen der Hauptstadt des großen Geldes. Bei Schäublin ist sie ein kalter und zugiger Ort, Ausdruck des Unbehaustseins in einer gefrorenen, vermittelten Welt. Ein Großteil des Geschehens findet im öffentlichen Raum statt, die handelnden Figuren agieren auf Verkehrsinseln, in sterilen Parkanlagen, an Bankschaltern oder vor schmucklosen Betonfassaden. Die Kamera von Silvan Hillmann filmt die Protagonisten häufig mit einem Teleobjektiv aus weiter Entfernung. Durch diesen optischen Effekt verschmelzen sie mit dem sie umgebenden Stadtraum und werden Teil eines urbanen Konzepts, das in seiner kalten Rationalität nicht für Menschen gemacht zu sein scheint.
Wo gibt’s hier WLAN?
Das eingangs beschriebene Phänomen der Reduktion der Sprache auf pekuniäre Belange treibt Schäublin, der selbst das Drehbuch schrieb, in den Dialogen auf groteske Weise auf die Spitze. Ständig und überall wird gesprochen, aber sosehr die Menschen auch miteinander reden, so wenig verstehen sie sich wirklich. Sie sind durchaus freundlich und einander zugewandt, doch wirken ihre Gespräche standardisiert und austauschbar. Wie Marionetten scheinen sie von einer unsichtbaren Matrix gesteuert. Jeder ist seine eigene Echokammer, ein echter Austausch findet nicht statt.
Die Unterhaltungen bestehen nur mehr darin, sich gegenseitig Tipps für vermeintlich besonders günstige Versicherungen oder Internet-Tarife zu geben. Die Unfähigkeit, wahrhaftig miteinander zu kommunizieren und dabei die Seele des Gegenübers zu erreichen, wird durch Dialoge verdeutlicht, in denen sich die Gesprächspartner Passwörter oder Codes in Form von langen Zahlenreihen mitteilen; permanent werden Kontonummern, Zugangscodes, WLAN-Passwörter referiert.
Fast müßig ist es, zu erwähnen, dass in der Welt, wie Schäublin sie sieht, das Smartphone jede unmittelbare Kommunikation ersetzt hat. Auch diese Beobachtung werden viele Zuschauer teilen, jeder kennt ja das Bild, dass Menschen beieinanderstehen oder -sitzen und doch jeder für sich bleibt und auf sein Gerät schaut. In diesem Sinne behauptet der Dene wos guet geit nichts, er verdichtet lediglich Alltagserfahrungen.
Am Anfang lässt sich das noch als dramaturgische Überzeichnung abtun, zunehmend macht sich jedoch Beklemmung breit, weil sich der Betrachter ertappt fühlt und beginnt, sein eigenes Kommunikationsverhalten zu hinterfragen. Eigentlich also das, was Kunst kann und soll. In diesem Sinne ist Dene wos guet geit große Kunst. Vielleicht ist der Begriff „Thesenfilm“ irreführend, und man sollte lieber von einem Manifest sprechen. „Hört auf, als willenlose Konsumenten zu funktionieren! Wehrt euch gegen die Degradierung des Menschen zum reinen Wirtschaftssubjekt!“, scheint Schäublin sagen zu wollen.
Diese wohltuend dezidierte Haltung hat er in eine formal interessante Filmerzählung übersetzt. Zwar wird die Absicht des Regisseurs schnell erkennbar, doch folgt man ihr gerne und auch mit Interesse, zumal der Film eine überschaubare Länge hat. So ganz ohne Hoffnungsschimmer entlässt er uns dann doch nicht, auch wenn dieser nur auf der kleinen Geste eines Callcenter-Mitarbeiters beruht, der einem potenziellen Opfer aufgrund von dessen Alter am Ende doch vom Wechsel der Krankenkasse abrät und damit seine Provision aufs Spiel setzt.
Info
Dene wos guet geit Cyril Schäublin Schweiz 2017, 71 Minuten
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