Die Steigerungsform von Feind sei Parteifreund, sagt ein beliebtes Bonmot. Im Fall von Sahra Wagenknecht erfährt es neue Berechtigung, wie Sandra Kaudelkas Dokumentarfilm über das bekannteste Gesicht der Linken deutlich macht. Zwei Jahre hat die Regisseurin die Politikerin mit der Kamera begleitet. Es ist ein Glücksfall für den Film, dass es sich um zwei für die Laufbahn Wagenknechts dramatische Jahre handelt. Kaudelka begann im Herbst 2017 zu drehen, als die Spitzenpolitikerin der Linken sich im Bundestagswahlkampf für ihre Partei aufrieb und es kurzzeitig sogar die Hoffnung gab, eine neue Regierung könne nicht ohne Beteiligung der Linken gebildet werden. Am Ende der zwei Jahre stand Anfang 2019 der Rückzug Wagenknechts vom Fraktionsvorsitz und allen politischen Ämtern. Zwei Jahre, in denen sie sich quälenden und von persönlichen Ressentiments geleiteten Debatten innerhalb der eigenen Partei stellen musste, ihre Kraft in internen Machtkämpfen verschliss, mit der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ scheiterte und am Ende ausgebrannt das Handtuch warf.
Wirklich nahe kommt Kaudelka ihrer Protagonistin nicht. Wagenknecht scheint zwar Vertrauen zur Regisseurin gehabt zu haben und ließ sie weitgehend machen. Trotzdem ist sie Profi genug, um die Kontrolle über ihr Bild in der Öffentlichkeit nie aus der Hand zu geben. Die Offenheit beschränkt sich außerdem auf ihr Dasein als Politikerin. Die Privatperson, der Mensch hinter der Kunstfigur, die ein Politiker zwangsläufig auch ist, wird in diesem Film nicht fassbarer, auch wenn wir sie in einer Szene in ihrer Privatwohnung (mit Goethe-Bild an der Wand!), ganz kurz sogar mit offenem Haar sehen. Die fehlenden privaten Momente sind kein Manko, welchen Mehrwert sollte es auch haben, Sahra händchenhaltend mit Oskar auf dem Sofa zu sehen. Eher stört die doch recht deutliche Parteinahme der Regisseurin, die sich nicht bemüht, ihre Sympathie zu verbergen, und dem Film dadurch eine leicht propagandistische Schlagseite verleiht.
Kipping muss schweigen
Inszenieren brauchte Kaudelka nichts, sie musste lediglich die Kamera laufen lassen. Die Aufgabe lag eher darin, die Materialfülle zu strukturieren und in eine dramaturgische Abfolge zu bringen. Hier wäre ein erkennbares Bemühen um einen kritisch-distanzierten Blick auf die Politikerin von Vorteil gewesen. Stattdessen kann Wagenknecht unwidersprochen ihre Sicht der Dinge referieren. Katja Kipping hingegen – von vielen Medien als „Gegenspielerin“ Wagenknechts inszeniert – darf bei gemeinsamen Veranstaltungen nur maliziös lächelnd am Rande stehen und kommt ansonsten nicht zu Wort. In einer Schlüsselszene schneidet Sahra Wagenknecht vor der versammelten Presse Bernd Riexinger unverhohlen das Wort ab und lässt ihn wie einen dummen Schuljungen neben sich stehen. In solchen Momenten wird deutlich, dass sich auch die Heroine der Linken auf die Machtrituale versteht, die wohl Voraussetzung sind, an die Spitze zu kommen – und vor allem, dort auch zu bleiben. Hier wäre der Punkt gewesen, an dem es hätte interessant werden können; leider interessiert sich Kaudelka nicht für einen tiefergehenden Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs – oder er blieb ihr verwehrt.
Wagenknecht vermittelt immerhin einen hochspannenden Einblick in den Alltag einer Spitzenpolitikerin, der wahrlich nur selten beneidenswert scheint. Die Kamera ist stets dicht dran, sitzt mit in der Limousine, in der Wagenknecht einen Großteil ihrer Zeit verbringt, um von Termin zu Termin zu hetzen, begleitet sie auf endlos erscheinenden Sitzungen und beobachtet sie bei der Arbeit in ihrem Bundestagsbüro. Der Terminus „öffentliche Person“ gewinnt im Laufe des Films eine ganz neue Bedeutung – immer ist irgendein Statement abzugeben, müssen lauernden Interviewern druckreife Sätze serviert werden, denn jeder unpräzise Satz könnte eine Schlagzeile ergeben. Immer muss sie beherrscht sein, stets verbindlich agieren und niemanden verprellen. Auf Kundgebungen reden, für Selfies zur Verfügung stehen und Politikerin „zum Anfassen“ sein. Die Bürger ernst nehmen, Projektionsfläche für deren Anliegen und Sorgen sein, nebenbei noch einen Stab von Mitarbeitern führen. Es ist, gerade in Wahlkampfzeiten, ein erschöpfendes Pensum, was es zu absolvieren gilt.
Der Spannungsbogen des Films zieht sich entlang der innerparteilichen Flügelkämpfe, welche seit Jahren die Außenwahrnehmung der Linken prägen. Die „Flüchtlingskrise“ von 2015 heizte den innerparteilichen Streit, der nach Gysis und Lafontaines Rückzug beigelegt schien, erneut an; und als sich Wagenknecht gegen das linke Dogma der „offenen Grenzen für alle“ aussprach, wurde ihr von den eigenen Genossen Populismus, Rassismus und Nähe zur AfD unterstellt.
Höhepunkt der Auseinandersetzungen ist der Leipziger Parteitag 2018: Geschickt fängt die Kamera die eisige Stimmung zwischen Kipping/Riexinger auf der einen und dem Wagenknecht-Lager auf der anderen Seite ein, und auch wenn alle versuchen, die Contenance zu bewahren, ist die gegenseitige Abneigung an der Körpersprache der Beteiligten abzulesen. Das sind Bilder, die sonst so nicht zu sehen sind, und das macht den Erkenntnisgewinn des Films über bereits Bekanntes hinaus aus. Zu schmunzeln gibt es auch etwas; etwa über das Brainstorming der Initiatoren über den Namen der in Gründung befindlichen Sammlungsbewegung. „Ahoi“ ist im Gespräch, auch „Aufbruch“ oder einfach nur „Auf“. Wir wissen, dass es letztlich „Aufstehen“ geworden ist, aber auch, wie verfehlt der Optimismus der Runde aus heutiger Sicht war – ist diese Bewegung doch wieder im politischen Nirvana verschwunden.
Info
Wagenknecht Sandra Kaudelka Deutschland 2020, 99 Minuten
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