Folgt man einer kürzlichen Meldung, ist das Berghain nicht mehr der coolste Club Deutschlands, sondern laut DJ Mag das Kölner Bootshaus. Geht’s jetzt bergab mit der legendären Berliner Clubkultur? Die Gentrifizierungsprozesse in der Hauptstadt gehen bekanntlich seit geraumer Zeit Hand in Hand mit einem veritablen Clubsterben. Trotzdem sollte man sich vor falscher Dramatisierung hüten. Zum einen eröffnen neue Tanzlokale, zum anderen ist das Verschwinden von Freiräumen in einer wachsenden Stadt unausweichlich. Sowieso: Nach wie vor billigfliegen Myriaden von Jugendlichen aus ganz Europa in die Stadt, um vom Mythos Berlins als Partymetropole zu zehren. Dennoch scheint die Ära des Zelebrierens elektronischer Tanzmusik an abseitigen Orten nun in ihre Historisierungsphase einzutreten. Der Mauerfall, der zum Katalysator für eine neuartige Jugendkultur wurde, ist jetzt dreißig Jahre her, der Generationswechsel in der Clubszene in vollem Gange.
Die Ausstellung No Photos on the Dance Floor! bei C/O Berlin kommt somit zur rechten Zeit, um den damals Beteiligten die Gelegenheit zu geben, ihre Version der Geschichte(n) zu erzählen. Die Kuratoren Felix und Heiko Hoffmann vereinen nicht nur Fotografie, Videokunst und Film, sondern planen darüber hinaus, mit bekannten DJs aus der damaligen und aktuellen Szene die Ausstellungsräume selbst temporär in einen Club zu verwandeln. Ihre Absicht, damit die Historie sinnlich und musikalisch erfahrbar zu machen, dürfte freilich an Grenzen stoßen, denn wie der einstige Clubbetreiber und Fotograf Martin Eberle im Begleitband schreibt: „Die Erinnerung an das Club-Gefühl ist untrennbar mit der Erinnerung an das Stadtgefühl verbunden, an die Leere, die Brachen, das Ungestaltete, das eben erst Zusammengebrochene, in Nachbarschaft des schon seit Jahrzehnten unbeachtet liegengelassenen Kaputten, an die nun fieberhaft halluzinierten Möglichkeiten.“
Vom Besetzer zum Besitzer
Was bleibt, ist die Faszination für die Chuzpe, mit der sich die Szene damals die Überreste von Krieg, Nachkrieg und vierzig Jahren Sozialismus aneignete und in einen neuen Bedeutungszusammenhang stellte. Die Ruinen wurden zu Chiffren für den Kampf um die Deutungshoheit über die Stadt.
Jede Legendenbildung hat freilich den Nachteil, eher unkritisch zu sein, dabei gäbe es begründete Einwände gegen die (Selbst-) Stilisierung einer Szene zur kulturellen und gesellschaftlichen Avantgarde. Man darf durchaus skeptisch sein gegenüber dem unpolitischen Hedonismus einer selbstbezogenen Jugendkultur, die nichts anderes wollte und will als feiern. Eine Gegenkultur war Techno nie, eher nahm der Narzissmus der Party-People die spätere Fragmentierung der Gesellschaft in lauter kleine Ich-AGs vorweg.
Nur verhuscht und in Andeutungen wird überdies die Rolle von Drogen thematisiert, als wären die nicht geradezu Basis und Gleitmittel durchfeierter Wochenenden. Und welche Rolle spielte eigentlich Geld? Der Idealismus der 1990er, als am Eingang eines Clubs jemand mit einer kleinen Geldkassette saß und die häufig auf Spendenbasis erhobenen Einnahmen kaum die Ausgaben deckten, wich spätestens nach der Jahrtausendwende einer Professionalisierung und Kommerzialisierung des Clubbetriebs. Mit dem Aufkommen des Easyjetsets wurden die früheren Idealisten zu Unternehmern, die angesagten Clubs zu Gelddruckmaschinen. Viele der handelnden Personen von damals agieren heute in der Musikindustrie, aber auch im Immobilienbereich, wie das Beispiel der Business-Hipster vom Holzmarkt zeigt. Die einstigen Betreiber der legendären Bar25 und des Kater Holzig machen inzwischen nur mehr mit ihren Bauprojekten von sich reden. Vom Besetzer zum Besitzer, sozusagen. Die Grundlagen für die heutigen Verdrängungsprozesse in der Stadt haben die Entrepreneure der Clubkultur ironischerweise selbst (mit-)geschaffen, wie der Journalist Kito Nedo konstatiert: „Die Mischung aus Nachtleben und Kunst war eben offensichtlich auch für das Politik-, Immobilien- und Tourismuswesen ein attraktives Elixier (...), um die ehemalige Frontstadt Berlin nach dem Ende des Kalten Krieges international als noch kaputte, aber äußerst vitale Szene-Metropole mit Entwicklungspotential neu zu positionieren.“
Martin Eberles Bilder erzählen von dieser Übergangszeit, als sich Berlin als Partymetropole erfand. Entstanden zwischen 1997 und 2001, zeigen sie die Temporary Spaces, allerdings bei Tage und ohne Publikum, was die Konturen schärfer hervortreten lässt. Eberles Innenansichten der Clubs zeigen das Provisorische der oft sehr kleinen Räume, die Partykelleratmosphäre. Die Außenaufnahmen erlauben einen geradezu nostalgischen Blick auf jene Zeit, als die Stadt voller heimeliger Nischen war.
Kein Vergleich mit den Bildern von Giovanna Silva und ihrer Serie Nightswimming. Sie ist zwischen 2014 durch die Berliner Clubs geschwommen und hat, ähnlich wie Eberle, deren menschenleere Interieurs fotografiert. Der Gegensatz ist enorm: durchgestylte Räume mit aufwendigen Lichtinstallationen, die von viel Kreativität (und Geld) zeugen, aber nur noch wenig mit dem Geist der Neunziger zu tun haben.
Womöglich wäre es spannender gewesen, den Fokus auf dem Zauber des Anfangs zu belassen, anstatt den großen Bogen bis in die Gegenwart zu schlagen. Fehlte es dafür schlicht an Material? Der Titel der Ausstellung No Photos on the Dance Floor! verweist ja auf ein zentrales Handicap der Musealierung der Clubkultur, nämlich die Tatsache, dass in den meisten Clubs damals wie heute ein mehr oder weniger striktes Fotografierverbot herrscht(e). Heute mag das Verbot privater Bilder auch ein Marketinginstrument sein, um den Mythos am Leben zu erhalten – was hat man nicht schon alles von den Darkrooms im Berghain gehört! Das Tabu gab es jedoch von Beginn an, als an die massenhafte Verbreitung von Handys in Tateinheit mit „sozialen“ Medien noch nicht zu denken war. Grundlage für die Abneigung gegen das Fotografieren war das „Verständnis, dass Publikum und Musik an diesem Ort eine sehr intime Verbindung eingehen und dass diese Verbindung vor unkontrollierten Blicken zu schützen ist“. Die Clubs wurden als Freiräume betrachtet, in denen man sich ohne Angst vor späteren Konsequenzen dem Kontrollverlust hingeben konnte.
So kommt es, dass die Fotografen, deren Bilder überliefert sind, meist Freunde und somit Teil der Szene waren. Die Porträtarbeiten in der Ausstellung sind deshalb alle aus der Insiderperspektive fotografiert, was ihnen eine besondere Intimität verleiht. Wolfgang Tillmans wurde mit Anfang 20 zum aktiven Teil dieser Jugendbewegung und verfiel dem Acid House. Seine Bilder zeigen die Vertrautheit mit ihrem Sujet, ebenso wie die bedeutungsschwangeren Schwarz-Weiß-Porträts von Sven Marquardt. Er ist einer der Aktivisten der ersten Stunde und hat schon zu DDR-Zeiten die Szene porträtiert. Inzwischen ist er als Türsteher des Berghain zu einer Marke geworden und auch als Fotograf erfolgreich.
Die ausgewählten Arbeiten erlauben einen eindrucksvollen Einblick in das Lebensgefühl der Generation Techno, fotografisch und bildästhetisch verlassen sie aber kaum den Pfad des Erwartbaren. Eine umso überraschendere Entdeckung ist die Sammlung von Flyern, denen angesichts der Tatsache, dass es weder Facebook noch überhaupt Internet gab und die meisten Ostberliner Wohnungen nicht mal Telefon hatten, eine wichtige Funktion zukam. Die Kommunikation lief entweder über Mundpropaganda oder eben über Flyer, die zu einer eigenen Kunstgattung wurden. Die Übergänge zwischen Clubkultur und Kunstbetrieb waren ohnehin fließend, viele Clubbetreiber verstanden sich als Künstler und ihre Partys als Happening im kunsttheoretischen Sinne. Häufig fällt in den Selbstbeschreibungen der Partymacher der von Joseph Beuys geprägte Begriff der „Sozialen Plastik“, um dem Geschehen auf den Dancefloors höhere Weihen zu verleihen und es in einen Kunstkontext zu stellen. Begleitend dazu repräsentierten die Flyer den State of the Art der Underground-Grafikkunst. Dazu kreiert, eine Anmutung der zu erwartenden Party zu erzeugen, können sie den kreativen Geist, der in den Clubs herrschte, womöglich sogar besser vermitteln als viele Fotos. Einer der Flyer, der für eine Party 2001 im Ostgut wirbt, trägt das aufschlussreiche Motto: „Oben Gucci, Unten Lutschi“. Bloß gut, dass Fotos verboten waren.
Info
No Photos on the Dance Floor! Berlin 1989 – Today C/O Berlin, bis 30. November, der Bildband zur Ausstellung ist bei Prestel erschienen, 272 S., 36 €
Beilage
Dieser Beitrag ist Teil des Berlin Art Week Spezials – einer Kooperation des Freitag mit der Berlin Art Week
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