America First

REFORMPARTEI Mit seinem rechtspopulistischen Isolationismus hat Pat Buchanan diesmal keine Chance. Das kann sich in acht Jahren, wenn der Wirtschaftsboom vorbei ist, ändern

Im US-Präsidentschafts-Wahlkampf 1992 trat der republikanische Kandidat Patrick Buchanan, Berater von drei Präsidenten und landesweit bekannter Fernsehjournalist, erstmals zu einer Präsidentschaftswahl an. Zwar hatte er wegen seiner »extremistischen« Ansichten nie eine echte Chance, sich gegen George Bush durchzusetzen, aber er zog mit seiner christlich-populistischen Rhetorik eine Menge Wähler ins republikanische Lager. Dafür durfte er auf dem Wahlkonvent 1992 eine Grundsatzrede halten, der später wegen ihres aggressiv-polarisierenden Charakters - Buchanan rief unter anderem zum »Kulturkrieg« auf - die Schuld an Bushs Niederlage gegen Clinton zugeschrieben wurde. 1996 versuchte er es wieder gegen Bob Dole, diesmal etwas zurückhaltender, und gewann immerhin noch ein Viertel der republikanischen Vorwahlstimmen.

Nun also der dritte Anlauf, diesmal unter der Flagge der Reformpartei des Milliardärs Ross Perot, dessen skurrile, selbstfinanzierte Präsidialkampagnen 1992 und 1996 eine gewaltige national-populistische Massenbewegung gegen die Plutokratisierung des modernen Zweiparteiensystems in den USA auf die Beine gebracht hatten. Das Medienecho ist diesmal gleich Null. Die republikanisch-demokratischen Vorwahlspektakel, bei denen alle vier aussichtsreichen Kandidaten sich darin zu übertreffen suchen, jeweils am weitesten »in der Mitte« zu landen, absorbiert alle journalistische Aufmerksamkeit.

Buchanan und seine Kandidatur sind mega-out im boomenden Clinton-Amerika. Ein Grund dafür könnte sein, dass er in seinen Reden, die eher moderat und seriös daherkommen, etwas Ungeheures tut: Er verletzt amerikanische Tabus und zitiert zum Beispiel aus dem neuesten Buch des Harvard-Ökonomen George J. Boras, das den Titel trägt: Heaven's Door: Immigration Policy and the American Economy. Boras analysiert darin die Masseneinwanderung der vergangenen Jahre und behauptet, dass es sich dabei - ganz ähnlich wie bei der Fettsucht vieler Amerikaner - um ein Phänomen handele, das nur unter Klassengesichtspunkten richtig verstanden werden könne. Die mittleren und oberen Klassen profitierten davon, denn auf diese Weise bekämen sie billige Gärtner, Kindermädchen und immer wieder neue Restaurants, in denen man in der Büropause zu vernünftigen Preisen leckere Speisen zu sich nehmen könne, die nicht dick machten. Die unteren Klassen dagegen - in den USA generell definiert als Menschen ohne College-Ausbildung - gerieten dadurch in Bedrängnis: Boras schätzt, dass mindestens die Hälfte der gewaltigen Reallohn-Einbußen dieser Bevölkerungsgruppe seit den siebziger Jahren mittelbar auf die Masseneinwanderung zurückzuführen seien.

Ob das nun so genau berechnet werden kann, sei dahingestellt - doch unleugbar ist der kontinuierliche, bis zum heutigen Tag anhaltende Niedergang bei den Realeinkommen un- oder angelernter Arbeiter seit den siebziger Jahren, einschließlich der früher zur internationalen Arbeiteraristokratie zählenden Automobilbauer. Dabei handelt es sich nicht um irgendein ehernes »Naturgesetz« des Kapitalismus, sondern um Politik: Das systematische Hinauskomplimentieren der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterklasse aus dem Status einer middle class, den sie unter dem egalitär-korporativen Nachkriegsregime zwei Dekaden lang genießen durfte, war das absichtsvolle Ziel des unter Carter begonnenen und von Reagan vehement voran getriebenen »Neokonservatismus«. Der Import einer lohnarbeitenden Reservearmee - die achtziger Jahre waren die Dekade mit der absolut höchsten Einwanderung in der US-Geschichte - ist ebenfalls ein Element dieser Strategie, die »terms of trade« auf dem heimischen Arbeitsmarkt unerbittlich weiter zugunsten der Kapital- und Geldeigentümer zu verschieben.

Schon 1996 war Buchanan der einzige ernstzunehmende Kandidat, der diese Dinge zumindest implizit ansprach. Seine politische Plattform umfasste neben katholischer Anti-Abtreibungsrhetorik und demonstrativer Nähe zu Rassisten wie David Duke stets auch die Opposition gegen NAFTA und polemische Seitenhiebe an die Adresse unpatriotischer Multis, die ihre Produktionsstätten über die Grenze nach Mexiko verlagern, um Lohnkosten zu sparen. Nicht wenige linke Kommentatoren und politische Aktivisten haben ihn seinerzeit deswegen gelobt und als eine Art temporären Verbündeten gesehen.

Populismus ist stets zwiespältig. In den USA mischt er sich in der Regel mit abstrusen, geradezu kindlichen Vorstellungen über Gott, die Welt und Amerika. Als stolze Bannerträger und Teilhaber einer selbsternannten Führernation sind deshalb auch die Fürsprecher der »kleinen (weißen) Leute« - wie jene selbst - nicht an Gleichheit und Gerechtigkeit interessiert, weder zu Hause noch in der Welt. Für alle reicht es eben nicht. Ihre Parole lautet daher America First!, und so plädieren sie ganz im Sinne der Gründerväter Washington und Jefferson für den Isolationismus. Leider ist bei dieser sympathisch klingenden Idee nie so ganz klar, ob sie damit für nationale Selbstbeschränkung eintreten oder sich nur verbitten wollen, von außen an der rücksichtslosen Verfolgung nationaler Interessen behindert zu werden.

So auch Pat Buchanan. Als Mitarbeiter von Reagan war er an der illegalen Verschwörung gegen Nikaragua beteiligt. In seinen Schriften hat er sich als vehementer Verteidiger und einfühlsamer Interpret von europäischen Klerikalfaschisten wie Tiso, Franco, Salazar, Pavelic, Horthy und selbst Hitler hervorgetan. Einer seiner erklärten Haupthelden ist der Atlantikflieger Charles Lindbergh, dessen Sympathien für Göring und die deutsche Luftwaffe ebenso notorisch waren wie sein Rassismus und Antisemitismus.

Umso erschreckender erscheint es, dass Buchanan gegenwärtig weit und breit der einzige ernst zu nehmende Politiker in den USA ist, der so etwas wie eine Opposition zur ansonsten unangefochtenen »Globalisierung made in USA« repräsentiert. Doch gerade darin sehen einige kluge Kommentatoren sein Zukunftspotenzial. Sie verweisen auf die Präsidentenwahl 1964. Damals war Barry Goldwater der »extremistische» Gegenkandidat zum sozialliberalen Johnson. Goldwater verlor haushoch, aber aus dem harten Kern seiner geschlagenen Anhänger rappelte und organisierte sich jene konservativ-neoliberale Kraft, die in den achtziger Jahren zum bestimmenden Element amerikanischer Politik werden sollte.

Auch Buchanan hat natürlich nicht die geringste Chance bei der Wahl 2000. Aber die beiden Pfeiler seines politischen Programms - Opposition gegen das globale Freihandelssystem und Kritik an der internationalen Rolle der USA - werden mit großer Wahrscheinlichkeit in nicht allzu ferner Zukunft wieder nachgefragt werden. Der gegenwärtige Beschäftigungsboom (und damit die politische Stärke des Clinton-Liberalismus) beruhen wesentlich auf der Dienstleistungsnachfrage der wohlhabenden, aktienbewährten Nachkriegsgeneration. Wenn der Boom spätestens mit Beginn der zweiten Hälfte des Jahrzehnts abklingt, wofür allein schon demographische Entwicklungen sprechen, werden auch Rufe nach Protektionismus und Isolationismus wieder laut werden. Spätestens dann wird man sich an Buchanan erinnern. Was 2000 angesichts der entpolitisierten Bonanza-Stimmung im öffentlichen Bewusstsein als Sakrileg oder skurriles Sektierertum erscheint, kann vielleicht 2008 schon zur ideologischen Basis für eine neue Orthodoxie geworden sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden