Er wurde keine 40 Jahre alt: Vor 225 Jahren – am 10. Januar 1794 – starb im revolutionären Paris Deutschlands erster großer Welterkunder, der Aufklärer, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster. Ein Toter von vielen im Nivôse 1794, dem grausamen Schneemonat im Jahr II der französischen Republik. Für die einen war er eine Lichtgestalt der deutschen Aufklärung, Mitbegründer der ersten deutschen Republik, Organisator der ersten demokratischen Wahlen in deutschen Landen, Verkünder der Pressefreiheit in der Stadt Gutenbergs – für die anderen ein Vaterlandsverräter, der seine Mainzer Republik lieber dem aufsässigen französischen Erbfeind anschließen, als noch einmal zurück zum Feudalabsolutismus wollte.
Für Alexander von Humboldt der „hellste Stern“ seiner Jugend, für Schiller ein „rasender Thor“. Deutschnationale und Nationalsozialisten versuchten seinen Namen aus der Erinnerung der Deutschen zu löschen. „Verkannt, vergessen“, beklagte noch vor dreißig Jahren der Forster-Biograf Klaus Harpprecht. Doch das historische Gedächtnis, auch das kollektive, hat eigene Gesetze: Im Frühjahr 2018 wurde die von mir kuratierte erste Georg-Forster-Dauerausstellung der Bundesrepublik in der UNESCO-Welterbestätte Schloss Wörlitz eröffnet, für Mai dieses Jahres ist die Rückkehr ins Licht der ethnologischen Artefakte der Wörlitzer Forster-Sammlung geplant, und dieser Tage erinnert das Deutsche Historische Institut Paris an den Tod des ersten deutschen Abgeordneten der französischen Nationalversammlung.
Forsters letzte Übersetzungsarbeiten, Landkarten, die er fiebernd in seiner Dachkammer in der Rue des Moulins studierte, und seine Korrespondenz mit dem Pariser Außenministerium belegen, dass er die bedrohliche „Krummzapfenmusik“ in seiner Lunge zwar nicht mehr ignorieren konnte, seine Gedanken aber bis zuletzt auf ein Zukunftsprojekt gerichtet waren: Forster, der schon ab dem 17. Lebensjahr als Naturforscher und Zeichner mit dem legendären britischen Seefahrer James Cook drei Jahre lang den Pazifik entdeckt und erkundet hatte, wollte zwei Jahrzehnte später erneut aufbrechen. Schon im Sommer 1793 hatte er dem französischen Außenminister Le Brun-Tondu vorgeschlagen, eine Mission nach Indien zu führen. Doch sollte es diesmal nicht nur um naturhistorische und völkerkundliche Forschungen gehen. Vielmehr wollte Forster die indischen Aufständischen um Tippu-Sahib gegen englische Kolonialtruppen unterstützen, Munition und eine Druckerpresse zu den Aufständischen bringen und dem historischem Bruch Frankreichs mit der Sklaverei praktische Geltung verschaffen. Diese kämpferische Haltung gegen den sich Bahn brechenden Kolonialismus zeichnete jedoch nicht erst den Revolutionär, sondern schon den jugendlichen Welterkunder aus. In seinem Bericht von der zweiten Cook’schen Weltumseglung hatte der Zwanzigjährige die ketzerische Frage gestellt, ob die Völker der Südsee nicht besser von den Europäern unentdeckt bleiben sollten.
Keine Geheimniskrämerei
Seit einigen Wochen wird Forsters Name auch bemüht, wenn es um das Selbstverständnis deutscher Museen geht. So stellte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp Georg Forster wiederholt in eine Reihe mit Leibniz und mit den Brüdern Humboldt, um den aufklärerischen Geist der ethnologischen Sammlungen in Deutschland zu beschwören. Georg Forster als eine Art Symbolfigur deutscher Sammlungskultur?
Das hat vor allem mit dem Druck zu tun, den deutsche und europäische Museen verspüren, seit Frankreichs Präsident Macron im November letzten Jahres den Vorschlägen seiner Berater Bénédicte Savoy und Felwine Sarr zur Rückgabe afrikanischer Kunst gefolgt ist und die Restitution erster Benin-Bronzen auf den Weg gebracht hat. Keine Geheimniskrämerei mehr in den Museen, Umkehr der Beweislast zugunsten früherer Kolonien, Restitution als Staatsziel – das ist in der Tat eine kulturpolitische Revolution. Eine, die auch auf Berlin übergreifen könnte? Als einer der drei Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums sieht Horst Bredekamp vermutlich vor allem diese größte kulturpolitische Baustelle der Bundesrepublik in Gefahr. Und er hat Grund dazu. Dass man an der Spree dabei ist, ethnologische Stücke aus vielen Jahrhunderten ins Scheinwerferlicht zu heben, während die Nachbarn an der Seine ihre Museen durchkämmen und koloniale Beutestücke zurück nach Afrika expedieren, muss verstörend wirken. Dazu passt – Zufall oder nicht –, dass der Restitutionsleitfaden des Deutschen Museumsbundes bis auf Weiteres überarbeitet werden soll, mindestens bis Ende dieses Jahres.
Hinzu kommt der Faktor Savoy. Die Kunsthistorikerin berät nicht nur Emmanuel Macron, sondern hält auch einen Lehrstuhl in Berlin. Dass sie im Sommer 2017 mit Aplomb aus dem Beratergremium des Humboldt-Forums austrat, macht die Sache noch heikler. In geselliger Runde kommt Bénédicte Savoy schon mal verschmitzt auf den Vorschlag ihrer Studenten zu sprechen, ein „faked Schloss“ könne doch auch „faked artefacts“ präsentieren – das Humboldt-Forum im nachgebauten Berliner Stadtschloss also Kopien seiner ethnologischen Stücke ausstellen.
Bredekamp versucht mit Georg Forster dagegenzuhalten: Indem er den aufgeklärten Welterkunder aufs Panier seines Schutzschildes hebt, soll vor allem die Gleichsetzung deutscher Sammlungen mit denen Frankreichs verhindert werden, die in Bredekamps Diktion den Geist des Sonnenkönigs, des absolutistischen Zentralstaats und des jahrhundertealten Kolonialreichs atmen. Soll heißen: Kein Wunder, dass Frankreich restituieren muss. Forster mag da als lichtes Gegenbild erscheinen. Doch lassen sich deutsche Völkerkundemuseen (wie auch immer man sie nennt) nie und nimmer en bloc exkulpieren, indem man ihnen das Forster-Lable des aufgeklärten Weltgeistes anheftet. Dazu wirft allein die Kolonialgeschichte des deutschen Kaiserreichs viel zu viele Fragen auf.
Doch bleiben wir bei Forster. Ist der aufklärerische Geist, der mit seinem Namen herbeizitiert wird, ohnehin Fiktion, wie der Hamburger Kolonialforscher Jürgen Zimmerer meint? Die Wahrheit ist immer konkret: Ab kommenden Mai sollen in Wörlitz wieder jene ethnologischen Stücke gezeigt werden, die Vater und Sohn Forster in der Südsee gesammelt und dem Dessauer Fürstenpaar 1775 in London zum Geschenk gemacht haben. Dieser Rückkehr ins Licht der Forster-Sammlung gingen jahrelange Recherchen zu Provenienz, Herkunft und Erwerb jedes einzelnen Artefakts voraus, wobei sich die Schriften der Forsters als profundeste Grundlage erwiesen. Insofern ist Georg Forsters aufklärerischer Geist höchst lebendig. Der amerikanische Cook-Biograf Tony Horwitz sagt es so: „Wenn Cooks Schiff eine neue Insel entdeckte, fragten sich die Briten: Wie viel Klafter Holz gibt das? Georg Forster hingegen interessierte sich für die fremde Kultur und ihre Menschen.“ Und schrieb alles auf.
Captain Cooks Rolle
Bleiben wir konkret: Steht fest, dass die Forsters ihre „Südsee-Curiositäten“ auf Tahiti, Tonga und Neuseeland fair einhandelten? Das ist in der Tat schwer zu sagen, denn eine unverbindliche Preisempfehlung besaßen bei ihren ersten Kontakten ja weder Europäer noch Polynesier. Belegt ist, dass die Forsters im Tonga-Archipel viele rote Federn eintauschen konnten, die im weiteren Reiseverlauf auf Tahiti und anderswo ihren Wert vervielfachten – „Kursgewinne“, die ein kleinliches Gefeilsche erübrigt haben könnten.
Was die Forsters da aber genau eingetauscht hatten, war ihnen selbst nicht immer klar. Oft limitierte Captain Cook die Zeit für Erkundungen, hinzu kam die Sprachbarriere. So findet sich in der Wörlitzer Sammlung ein kunstvoll dekorierter Korb, den man für eine schlichte Tasche hielt, bis er jetzt als hoheitliches Statussymbol erkannt wurde – bei Weitem nicht die einzige fehlerhafte Zuordnung, die 250 Jahre lang unbemerkt blieb.
Dass diese grundlegenden Korrekturen heute möglich sind, ist vor allem dem Austausch mit Kulturwissenschaftlern aus Tonga und Neuseeland zu verdanken, die im letzten Jahr einer Einladung in die Wörlitzer Restaurierungswerkstatt folgen konnten und das Forster-Projekt seitdem begleiten. Eine Partnerschaft, die keine Einbahnstraße bleiben soll: Im Mai steht in Wörlitz ein Symposium mit der Frage an, wie die Forster-Sammlung konkret zur Revitalisierung des polynesischen Kulturerbes beitragen kann. Vielleicht – so die Idee – mit einer ersten Forster-Ausstellung in Tongas Hauptstadt Nuku’alofa, Arbeitstitel: „Freye Ventilation“.
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