Einen Bismarck für Schäuble

Europa Angela Merkel kann noch eine Retterin Europas werden. Dafür muss sie Schäuble hinter sich lassen

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Haben sie die gleiche Meinung - und wie lange noch? Foto: Tobias Koch (OTRS) [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons

„Frau Bundeskanzlerin, unsere Botschaft an Sie ist klar: Wir bitten Sie, die lebenswichtige Führungsrolle für Griechenland, Deutschland und die Welt zu übernehmen. Ihre Taten in dieser Woche werden in die Geschichtsbücher eingehen. Wir zählen auf Sie für mutige und großzügige Schritte auf Griechenland zu – Sie werden Europa auf Generationen dienen.“

Zitat aus dem Offenen Brief von Ökonomen (u.a. Thomas Piketty u. Heiner Flassbeck) an Angela Merkel v. 7. Juli 2015

Einst meinte Merkel, sie wolle „Deutschland dienen“. Die BILD-Zeitung erinnerte sie kürzlich daran mit der Forderung, in der Krise um Griechenland die „Eiserne Kanzlerin“ zu geben. Was sonst nur die vielen europäischen Kritiker Merkels und die britische Boulevardpresse fertigbrachten – Merkel unter der Pickelhaube –, verbildlichte die BILD selbst – und zwar mit positiver Konnotation. Ein so aberwitziger wie erschreckender Vorgang. Aber der Vergleich mit dem zweigesichtigen Reichsgründer hat so seine Tücken. Er kann auch mit der gegenteiligen Forderung verbunden werden. Deutschland zu dienen hieße dann, Europa zu dienen.

Bismarck wusste, wann er aufhören muss

Bismarck wusste, wann er aufhören muss, die Gegner seiner Reichsidee niederzuschlagen und zu demütigen. Österreich besiegte er auf dem Schlachtfeld, ließ es aber dennoch glimpflich davonkommen. Die Feinde von gestern sollten gute Freunde in der Zukunft werden. Den notorisch klammen bayerischen König Ludwig II. schmierte er kurzerhand aus einer schwarzen Kasse, damit dieser sein Einverständnis mit der deutschen Kaiserwürde in preußischem Gewand erklärte.

Frankreich nahm er Elsaß-Lothringen ab und ließ es für seinen von ihm kühl provozierten Angriffskrieg Reparationen zahlen. Aber dann galt ihm das Reich als „saturiert“. Der Reichskanzler dachte nicht daran, eine deutsche Weltstellung aufbauen zu wollen, wie sie Wilhelm II. später forcieren sollte. Bismarck einte mit Zuckerbrot und Peitsche eine Nation unter dem Banner eines ihrer Teilstaaten, eine Nation, die lange als heillos chaotischer Flickenteppich inklusive unvereinbarer Sonderinteressen galt.

In Frankreich gilt Bismarck bis heute vor allem als Vorläufer von Wilhelm II. und Hitler. Wird durch Deutschland im oberflächlichen Sinne der „Eisernen Kanzlerin“ der BILD-Zeitung weiter eine zerstörerische Krisenpolitik gegenüber Griechenland betrieben, droht seine erneute Isolierung. Statt die historische Chance zu nutzen, als führende Kontinentalmacht gemeinsam mit Frankreich die in den letzten Jahren entwickelte Wirtschaftsdiktatur endlich in die politisch-demokratische Form eines europäischen Sozialstaats zu gießen, lässt Regierungschefin Merkel den deutschen Kassenwart Wolfgang Schäuble auch noch das letzte Porzellan – den „deutsch-französischen Motor“ – zerschlagen.

Es geht um die Einheit der europäischen Nation

Die Einigung einer europäischen Nation rückt in weite Ferne. Freiheit, Wohlstand und Frieden scheinen sich wie die Lebensgeister aus einem tödlich Kranken wieder aus ihr zurückzuziehen. Die europäischen Bürger ziehen sich im selben Maße in ihre regionalen Schneckenhäuser zurück, ein gemeinsames Interesse aller Europäer ist für sie nur noch schwer auszumachen. Eine demokratische Einigungsbewegung von unten ist nicht existent und wird im aufgezwungenen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte immer unwahrscheinlicher.

Merkel scheint nicht das Format zu haben, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Bismarck war auf der einen Seite für das „Sozialistengesetz“ verantwortlich, dennoch gilt er bis heute mit Recht auch als Begründer des deutschen Sozialstaats. Er machte einen Flickenteppich aus Ländern zu einem Binnenmarkt mit sozialökonomischen Ansätzen. Man konnte dem preußischen Junker gar einen „konservativen Sozialismus“ nachsagen. Er hatte trotz aller konservativen Verwurzelung und einer Menge rückwärtsgewandter Vorbehalte einen Blick für die Erfordernisse seiner Zeit.

Fehlt Merkel das Format?

Merkel konstatierte in der Regierungserklärung vom 18. Juni dagegen in völliger Umnachtung: „Seit Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise verfolgt Deutschland ein klares Ziel: Europa soll stärker aus der Krise hervorgehen, als es in sie hineingekommen ist. Auf diesem Weg sind wir weit vorangekommen.“ Die deutsche Regierung zieht mal wieder unbeirrt meilenweit am Ziel vorbei.

Erstmals seit den gewaltsamen Versuchen des 20. Jahrhunderts hat Deutschland die Chance, sein Gewicht für die Einigung Europas in einem positiven Sinne einzusetzen. Echte Hilfe statt ökonomisches Trockenlegen und demokratiepolitische Erosion, eine Sammlung des Kontinents unter einer sozialen Leitidee statt mit einer diktatorischen Wettbewerbsagenda des Jeder gegen Jeden, die letztlich alle doch auseinanderbringen muss.

Die verbohrten Kleingeister um Schäuble – nur die Kontosalden im Blick – führen sich als mittelalterliche Ärzte auf, wie es der Ökonom Paul Krugman treffend umschrieb. Der Patient muss zur Ader gelassen werden, damit er gesundet. Und will er dadurch nicht gesunden, dann muss er noch mehr bluten. Der Patient mag daran sterben, Hauptsache die fiskalischen Prinzipien der schwäbischen Hausfrau haben sich durchgesetzt.

Schäuble muss gehen

Es fällt schwer, sich von liebgewonnen Überzeugungen und bisher mit Vehemenz vertretenen Meinungen zu distanzieren, gar eine volle Wende zu vollziehen. Schäuble wird dies nicht mehr gelingen, er muss über kurz oder lang abtreten. Obwohl er sehr gut weiß, was schwarze Kassen (Stichwort CDU-Spendenaffäre) und Schattenhaushalte (die kreative Bilanz der „schwarzen Null“) sind und wie man in Teilen eines Währungsraums über Lohnpolitik so abwertet, dass die Wirtschaft immerhin noch wachstumsfähig bleibt, statt völlig in die Knie zu gehen (Beitritt der DDR zur BRD). Schäuble sollte sich ein Vorbild an seinem griechischen Ex-Kollegen nehmen. Er sollte den Varoufakis machen.

Bismarckische Qualitäten hat dagegen die Kanzlerin schon mehrmals erkennen lassen. Merkel hat bewiesen, dass sie Kehrtwenden mit einer gewissen Beiläufigkeit zu vollziehen in der Lage ist (Stichwort Atomausstieg). Würde sie in diesen Tagen in der griechischen Frage ihr Entgegenkommen erklären, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Ginge sie noch weiter, und stellte sich an die Spitze derer, die in der europäischen Einigung wirklich fort- statt zurückschreiten wollen – ihre Führungsrolle wäre nicht nur gefestigt, sondern auch geläutert. Für eine Sozialdemokratisierung des Konservativen stünde sie deshalb noch lange nicht.

Griechenland steht vor dem Schuldenschnitt - ob mit oder ohne Grexit. Während aber der Ausschluss aus der Eurozone das Projekt Europa in Gänze gefährdet, birgt eine Restrukturierung der Schulden am lebenden Patienten entschiedene Vorteile. Wenn Merkel diese Möglichkeit ausschließt, torpediert sie nicht nur die europäische Einheit, sie schadet Deutschlands Zukunft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Frank Fehlberg

Historiker und Sozialwissenschaftler

Frank Fehlberg

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