Die Sonne schickt uns keine Rechnung

Kommentar Fluchtwege aus dem Treibhaus

Die zehn wärmsten Jahre seit 1880 gab es nach 1988. 2007 dürfte ein weiteres Rekordjahr werden. Anfang Januar herrschten in New York 22 Grad Celsius - normalerweise liegen dort zu dieser Jahreszeit die Temperaturen um den Gefrierpunkt. Frühlingshafte Temperaturen gab es Mitte Januar in ganz West- und Mitteleuropa, dafür froren die Kalifornier wie schon lange nicht mehr.

Killerkeime bedrohen inzwischen Europa: Es treten plötzlich Erkrankungen auf, die sonst nur in den Tropen verbreitet sind. Bei Badegästen an der Ostsee wurden vergangenen Sommer eitrige Wundentzündungen an den Beinen diagnostiziert - ausgelöst durch das Tropenbakterium Vibrio Vulnificus. Kein Wunder, die Ostsee war 2006 so warm wie seit über 120 Jahren nicht. Und Malaria-Mücken wurden in Seen bei München gesichtet. "Achtung, Weltuntergang", schürte der Spiegel apokalyptische Ängste.

Kaum noch ein Klimaforscher bezweifelt, dass es immer heißer wird auf unserem Planeten. Im Januar 2007 blühten in Hamburg die Kirschen, bei uns in Baden-Baden die Krokusse. Vor einer Woche wurde Westeuropa vom Orkan Kyrill heimgesucht. Lag im 20. Jahrhundert die globale Erwärmung noch bei moderaten 0,8 Grad Celsius, prophezeien 1.800 Klimaforscher der UNO für das laufende Jahrhundert einen vergleichbaren Wert von bis zu acht Grad. Die Folgen können wir uns kaum vorstellen. Wenn wir mit der heutigen Energiepolitik fortfahren, dürfte es in 100 Jahren in den Alpen keinen einzigen Gletscher mehr geben.

Die Frage lautet: Gibt es noch einen Fluchtweg aus dem Treibhaus? Chancen bestehen zumindest. Noch können wir mit einer Doppelstrategie das Schlimmste verhindern. Wir können intelligenter mit Energie umgehen, und die Restenergie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Sollten wir auch unsere 17 Atomkraftwerke länger laufen lassen, falls Öl und Gas aus Russland wieder einmal ausbleiben? Nur löst Kernkraft in Deutschland kein Ölproblem. Da werden ständig Äpfel mit Birnen verglichen. Zudem bleiben Atommeiler gefährlich, und niemand weiß, wohin mit dem Atommüll. Wir wissen nur, dass Atommüll viele tausend Jahre strahlt. Bauernpräsident Sonnleitner stellte gerade auf der Grünen Woche in Berlin das neue Motto einer künftigen Bioenergiepolitik vor: "Kornkraft statt Kernkraft!"

Beispiele, die erkennen lassen, dass es grundsätzlich anders, preiswerter und intelligenter geht: Mein Kollege Rolf Schlenker vom SWR zeigt in diesem Frühjahr in der ARD zwei Dokumentationen über den Umbau von 60 Altbauten in Karlsruhe. Die Häuser sind etwa 60 Jahre alt und verbrauchten bis zu 30 Liter Heizöl pro Jahr und Quadratmeter. Während der vergangenen Monate wurden sie energetisch umgerüstet und besser gedämmt, so dass der Wärmeverbrauch um bis zu 90 Prozent reduziert werden konnte. Die Restwärme entsteht ausschließlich über Bioenergie, die Kohlendioxid-neutral ist und nicht das Klima belastet.

Ähnliche Erfahrungen kann die BASF in Ludwigshafen bei Altbauten vorweisen, die jetzt besser wärmegedämmt sind. Statt 30 Liter Heizöl bisher werden in diesen Gebäuden nur noch zwei Liter pro Jahr und Quadratmeter verbraucht. Fazit: Um den Faktor 15 weniger Heizölverbrauch. Das bedeutet keinen Verzicht, sondern doppelten Gewinn: Für die Umwelt und für den Geldbeutel. Es ist einfach nicht wahr, dass Umweltschutz zu teuer ist. Ein geradezu lächerliches Argument angesichts steigender Öl-, Gas- und Strompreise. Holzpellets sind zur Zeit etwa 30 Prozent billiger als Heizöl und Erdgas. Worauf warten wir eigentlich?

Es gibt einfach keine Ausreden mehr. Die Solarenergiewende ist sicher nicht von heute auf morgen, aber gewiss innerhalb der nächsten drei bis vier Jahrzehnte möglich. Und die Sonne schickt uns keine Rechnung - der große ökonomische Vorteil der ökologischen Energieerzeugung. Neben der Sonne, die uns jeden Tag 15.000 mal mehr Energie zur Verfügung stellt, als alle Erdenbewohner momentan verbrauchen, gibt es noch Windenergie, Wasserkraft, Bioenergie und Erdwärme. Wir haben alles, was wir brauchen, wenn wir nicht mehr gegen, sondern endlich mit der Natur wirtschaften. Es gibt also noch einen Fluchtweg aus dem Treibhaus. Was am meisten fehlt, sind Informationen, die Hoffnung vermitteln. Kanzlerin Merkel hat immerhin angekündigt, sie wolle als EU-Ratspräsidentin und G 8-Vorsitzende den Klimaschutz samt Energiewende zum Thema Nr. 1 der Weltpolitik erklären. Sicher ist: Die Energiewende kostet - aber keine Energiewende kostet die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Franz Alt, Publizist


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