Gorbatschows "Zehn Gebote"

Kommmentar Internationales Grünes Kreuz

Peter Ustinov hat ihn einmal als "den wichtigsten Menschen des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Inzwischen ist er 76 Jahre alt und noch immer kommen Tausende in aller Welt zu seinen Vorträgen. Auch am vergangenen Wochenende wollten 2.000 Menschen Michail Gorbatschow in der Bochumer "Jahrhunderthalle" auf einem Zukunftskongress zum Thema "Die Schöpfung bewahren - ein neuer Umgang mit der Zukunft" hören.

Nach dem Perestroika-Politiker, dem Präsidenten der einstigen Sowjetunion und dem Friedensnobelpreisträger erlebte man jetzt einen neuen - den grünen Gorbatschow. Dabei weiß in Deutschland kaum jemand, dass Gorbatschow Gründer der Umweltorganisation Internationales Grünes Kreuz ist und für die Vereinten Nationen mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt eine "Erdcharta" verfasst hat. Darin beschwört er die Einheit von Ökologie und Ökonomie. "Wir zerstören durch die globale Erderwärmung die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Durch die Klimakatastrophe kommt auf die Welt auch eine Wasserkatastrophe zu. Schon heute sterben täglich 15.000 Menschen durch Wassermangel. Und es werden noch viel mehr - wir brauchen eine neue Wasserethik", meinte er in Bochum.

Es war unsere fünfte persönliche Begegnung seit 1997. Seine Schlagfertigkeit hat er auch mit 76 Jahren nicht verloren. Über George W. Bush sagt Gorbatschow ganz undiplomatisch: "Weil er Kraft hat, glaubt er, seinen Verstand nicht nutzen zu müssen." - Nicht nur der Irak-Krieg und die Spannungen zwischen den USA und Iran, auch "das Chaos im Nahen Osten und vor allem die ökologischen Gefahren" machen dem Grandseigneur der Weltpolitik große Sorgen: "Die USA nehmen unter diesem Präsidenten ihre Verantwortung für den Klimawandel einfach nicht ernst. Wie kann man von China und Indien eine Klimaschutzpolitik erwarten, wenn die größten und reichsten Energieverbraucher in den USA Klimaschutz ignorieren?"

Als wir uns für eine Fernsehsendung 1997 zum ersten Mal begegneten, fragte ich ihn: "Sie haben das Sowjetreich zerstört und am Schluss auch Ihre politische Macht verloren - bereuen Sie Ihren Weg?" Gorbatschow fragte zurück: "Was bedeutet politische Macht, wenn sie nicht dem Volk dient?" und fügte hinzu: "Ich würde alles noch einmal so machen." Seine Frau Raissa, promovierte Soziologin, nickte damals zustimmend. "Ohne meine Frau hätte ich die Politik von Perestroika und Glasnost nicht durchgehalten", beteuerte Gorbatschow und lächelte sie an.

Das Ehepaar Gorbatschow, das war ein Liebespaar, das sich gegenseitig inspirierte. "Der wache Geist und die weibliche Intuition Raissa Maximownas, ihre unmittelbare Anteilnahme an all meinem Tun und Lassen waren von unschätzbarem Wert", erzählt Gorbatschow. "Wir wussten immer, wie es dem anderen auch beruflich geht, freuten uns über seinen Erfolg und nahmen uns auch die Rückschläge des anderen so zu Herzen, als wären es die eigenen."

Im Herbst 1999 starb Raissa an Leukämie.

Woher nimmt Gorbatschow heute, nach dem Tod seiner Frau, Energie und Kraft für seine Arbeit weltweit? "Im russischen Wald so wie ein religiöser Mensch in seiner Kirche. Zur Natur laufe ich mit meinen Beschwernissen wie ein Kind zu seiner Mutter." Der Agnostiker kommt ins Schwärmen und spricht plötzlich von der "Schönheit der Natur", von "Wundern", von "Stille", vom "Glück in Großvaters Zaubergarten mit den vielen Obstbäumen" und von den "wogenden Kornfeldern in der Stawropoler Steppe im Kaukasus Ende Juni".

Es war dieser kraftvolle Gorbatschow, der die Gefahr eines Atomkriegs bannte und den Kalten Krieg beendete. Heute sagt er wieder sorgenvoll: "Wenn wir die Atomwaffen nicht vollends abschaffen, könnten sie eines Tages uns abschaffen."

Gorbatschow nennt seine Erd-Charta "Die Zehn Gebote für heute. Ein ökologisches Neues Testament, um ökologisches Wirtschaften zu lernen. Und das heißt: Nicht mehr gegen die Natur, sondern mit der Natur." Sein Grünes Kreuz arbeitet augenblicklich in 30 Ländern. Es setzt sich für einen sparsamen Gebrauch von Energie, den Kampf gegen die Ausbreitung der Wüstengebiete ein, für erneuerbare Energien und eine neue Wasserpolitik. "Wir brauchen eine planetarisch-ökologische Bewusstseinsrevolution", hat er in Bochum unter Beifall ausgerufen. Gorbatschow bleibt ein idealistischer Realpolitiker.

Franz Alt ist Buchautor und Journalist.


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