Abgeräumt wie ein Christbaum

Österreich Trotz einer verheerenden Wahlniederlage konnte die ÖVP ein fulminantes Verhandlungsergebnis einfahren

Nun hat er also doch gewonnen, der Wolfgang Schüssel. Und das auch noch haushoch. Bei den Wahlen vernichtend geschlagen, hat er diese Scharte via Verhandlung mehr als ausgebügelt. Und Schüssel wird auch weitermachen, und zwar als Fraktionsführer des ÖVP-Parlamentsklubs. Nachfolger als ÖVP-Chef soll der neue Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer werden.

Bei der Präsentation des Koalitionsübereinkommens zwischen SPÖ und ÖVP hatte Schüssel sichtlich Schwierigkeiten, sein Schmunzeln zu unterdrücken. Die Christ-Sozialen mussten sich überhaupt kräftig zurückhalten, nicht in triumphalistisches Geheul auszubrechen: denn den Gusenbauer - so der Tenor -, den habe man wirklich abgeräumt wie einen Christbaum.

Bei der Ratifizierung des Regierungsprogramms gab es in der Volkspartei keine einzige Gegenstimme. Man hat sich nicht nur inhaltlich durchgesetzt, sondern sich auch bei der Ressortvergabe das Außen-, das Innen- und das Finanzministerium gesichert. Der scheidende Finanzminister Karl-Heinz Grasser spricht aus, was Sache ist: "Die Wende von 2000 wird fortgesetzt."

Apropos Grasser: Der einzige Punkt, bei dem Schüssel gescheitert ist, war die Inthronisierung des parteilosen KHG als Vizekanzler. Der Jet-Set-Minister war einigen christ-sozialen Granden dann doch zu viel. Gusenbauer hätte zweifellos auch jenen als seinen Vize geschluckt, ebenso wie er einen seiner übelsten Gegenspieler, den ÖVP-Generalsekretär Lopatka, als Aufpasser im Bundeskanzleramt akzeptiert hat. Der ist nun Staatssekretär. Alfred Gusenbauer ist zwar immer mit SPÖ-Positionen in die Gespräche reingegangen, aber stets mit ÖVP-Beschlüssen wieder rausgekommen. Dafür darf er den Kanzler machen.

Nachdem die SPÖ im November die Gunst der Stunde nicht zu einem Minderheitenkabinett nutzte, war sie Wolfgang Schüssel, der nichts mehr zu verlieren hatte, ziemlich hilflos ausgeliefert. Bestenfalls war ein lauer Kompromiss zu erwarten. Das allergrößte Problem besteht jetzt allerdings darin, dass sich weder Partei noch Wählerschaft im Resultat wieder finden. Die gute Stimmung ist dahin. Zwar könnte man inzwischen wissen, dass es mit Wahlversprechen so eine Sache ist, aber derart offensichtlich auf zentrale Forderungen zu verzichten, gleicht einem freiwilligen Striptease. Bei den Studiengebühren wie auch beim Eurofighter hat die SPÖ auf ganzer Linie kapituliert. Dass Josef Cap, der Fraktionsführer der SPÖ im Parlamentsclub, nun Nachverhandlungen vorgeschlagen hat - was die Gegenseite prompt ablehnte -, zeigt, wie die Gespräche gelaufen sind. Dümmer hätte man sich nicht anstellen können.

Das Verhandlungsergebnis ist nicht nur eine schwere politische Niederlage, sondern eine mentale Katastrophe. Das wahre Fiasko liegt in der Performance. Am meisten ärgert wohl die öffentliche Demütigung, die der SPÖ-Vorsitzende seiner Partei zugefügt hat oder zufügen ließ. Der Unmut ist groß, auch in der Parteispitze, und an der Partei- wie Funktionärsbasis stehen Austritte auf der Tagesordnung. Der dem rechten Parteiflügel der SPÖ zugehörige Hannes Androsch, nennt die Parteienübereinkunft schlicht "skandalös": "Das ist ja eine ÖVP-Regierung mit einem SPÖ-Kanzler darunter", sagt Bruno Kreiskys langjähriger Finanzminister. Er forderte daher offen dazu auf, im Parteivorstand dem Koalitionsabkommen nicht zuzustimmen. Ein Viertel der Mitglieder ist dem auch nachgekommen. Die Front der Ablehner ist jedenfalls nicht nur in der unzufriedenen Parteijugend zu suchen, sie umfasst wichtige Landesorganisationen bis hin zum mitgliederstarken Pensionistenverband.

Das vorliegende Regierungsprogramm selbst entschuldigt nichts. Es ist eines der altbekannten und neumodernen Phrasen, es ist etwa die Rede von "nachhaltiger Landwirtschaft", einem "effizienteren Gesundheitssystem" und so weiter. Da wird korrigiert, optimiert und vor allem valuiert. Beabsichtigt sind zahlreiche Expertenkommissionen. Konkret hingegen sind nur diverse Belastungen betreffend Steuer oder Krankenversicherungsbeiträge. Wenn Josef Cap von "dicken roten Markierungen" spricht, dann denkt man eher an die Blutspuren sozialdemokratischer Verhandler. Der Vertrag ist inzwischen auch schon Gegenstand erster Zerwürfnisse der Koalitionäre selbst.

Als Beobachter wird man den Verdacht nicht los, es sei Alfred Gusenbauer zuletzt einzig und allein um den Kanzler gegangen. Hauptsache, er hat seine Bestallungsurkunde in der Hand. "Ich kann jetzt das tun, was ich immer wollte", ließ er in einer Mischung aus Anmaßung und Selbstüberschätzung wissen. Das macht nicht unbedingt sympathisch. Vielleicht wird er auf seine alten Tage einmal erzählen, dass er in diesen verhängnisvollen Wochen bereit gewesen wäre, alles hinzunehmen, um Schüssel aus dem Kanzleramt zu bugsieren. Der ÖVP-Obmann hätte zweifellos noch Monate weiter verhandelt.

Hat sich Schüssel einst ins höchste Regierungsamt getrickst, so ist der SP-Chef dort nach diversen Stürzen regelrecht reingestolpert. Dementsprechend bekleckert und blessiert sieht er aus. Die Angelobung geriet nicht zum Volksfest, sondern zum handfesten Krawall, Farbbeutel flogen, Eier wurden geworfen und immer wieder ein altbekannter Ruf skandiert: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Zum Amtsantritt konnte der neue Kanzler nur unter Polizeischutz seine Wohnung verlassen. Ob Gusenbauer sich von alldem erholen kann, ist keineswegs sicher.


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